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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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sey; diese ruhet auf der Poesie, die uns
älteste Geschichte in fabelhaften Bildern
überliefert, nach und nach sodann ins Klare
hervortritt und ohne Sprung die Vergangen-
heit an die Gegenwart heranführt.

Unter diesen Betrachtungen gelangen
wir also in das zehnte Jahrhundert unserer
Zeitrechnung. Man werfe einen Blick auf
die höhere Bildung die sich dem Orient,
ungeachtet der ausschliessenden Religion,
immerfort aufdrang. Hier sammelten sich,
fast wider Willen der wilden und schwachen
Beherrscher, die Reste Griechischer und Rö-
mischer Verdienste und so vieler geistreichen
Christen, deren Eigenheiten aus der Kirche
ausgestossen worden, weil auch diese, wie
der Islam, auf Eingläubigkeit los arbeiten
musste.

Doch zwey grosse Verzweigungen des
menschlichen Wissens und Wirkens gelang-
ten zu einer freyern Thätigkeit!

Die Medicin sollte die Gebrechen des
Mikrokosmus heilen, und die Sternkunde
dasjenige dolmetschen, womit uns für die
Zukunft der Himmel schmeicheln oder bedro-
hen möchte; jene musste der Natur, diese

sey; diese ruhet auf der Poesie, die uns
älteste Geschichte in fabelhaften Bildern
überliefert, nach und nach sodann ins Klare
hervortritt und ohne Sprung die Vergangen-
heit an die Gegenwart heranführt.

Unter diesen Betrachtungen gelangen
wir also in das zehnte Jahrhundert unserer
Zeitrechnung. Man werfe einen Blick auf
die höhere Bildung die sich dem Orient,
ungeachtet der ausschlieſsenden Religion,
immerfort aufdrang. Hier sammelten sich,
fast wider Willen der wilden und schwachen
Beherrscher, die Reste Griechischer und Rö-
mischer Verdienste und so vieler geistreichen
Christen, deren Eigenheiten aus der Kirche
ausgestoſsen worden, weil auch diese, wie
der Islam, auf Eingläubigkeit los arbeiten
muſste.

Doch zwey groſse Verzweigungen des
menschlichen Wissens und Wirkens gelang-
ten zu einer freyern Thätigkeit!

Die Medicin sollte die Gebrechen des
Mikrokosmus heilen, und die Sternkunde
dasjenige dolmetschen, womit uns für die
Zukunft der Himmel schmeicheln oder bedro-
hen möchte; jene muſste der Natur, diese

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[296/0306] sey; diese ruhet auf der Poesie, die uns älteste Geschichte in fabelhaften Bildern überliefert, nach und nach sodann ins Klare hervortritt und ohne Sprung die Vergangen- heit an die Gegenwart heranführt. Unter diesen Betrachtungen gelangen wir also in das zehnte Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Man werfe einen Blick auf die höhere Bildung die sich dem Orient, ungeachtet der ausschlieſsenden Religion, immerfort aufdrang. Hier sammelten sich, fast wider Willen der wilden und schwachen Beherrscher, die Reste Griechischer und Rö- mischer Verdienste und so vieler geistreichen Christen, deren Eigenheiten aus der Kirche ausgestoſsen worden, weil auch diese, wie der Islam, auf Eingläubigkeit los arbeiten muſste. Doch zwey groſse Verzweigungen des menschlichen Wissens und Wirkens gelang- ten zu einer freyern Thätigkeit! Die Medicin sollte die Gebrechen des Mikrokosmus heilen, und die Sternkunde dasjenige dolmetschen, womit uns für die Zukunft der Himmel schmeicheln oder bedro- hen möchte; jene muſste der Natur, diese

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/306>, abgerufen am 23.12.2024.