verzeiht uns die Eilfertigkeit mit welcher wir an diesen Schätzen vorüber gehen.
Beyspiels willen jedoch gedenken wir des Buches Ruth, welches bey seinem ho- hen Zweck einem Könige von Israel an- ständige, interessante Voreltern zu verschaf- fen zugleich als das lieblichste kleine Ganze betrachtet werden kann, das uns episch und idyllisch überliefert worden ist.
Wir verweilen sodann einen Augenblick bey dem hohen Lied, als dem zartesten und unnachahmlichsten was uns von Ausdruck leidenschaftlicher, anmuthiger Liebe zuge- kommen. Wir beklagen freylich dass uns die fragmentarisch durcheinander geworfe- nen, übereinander geschobenen Gedichte keinen vollen reinen Genuss gewähren, und doch sind wir entzückt uns in jene Zu- stände hinein zu ahnden, in welchen die Dichtenden gelebt. Durch und durch we- het eine milde Luft des lieblichsten Bezirks von Canaan; ländlich trauliche Verhältnisse, Wein-, Garten- und Gewürzbau, etwas von städtischer Beschränkung, sodann aber ein königlicher Hof, mit seinen Herrlichkeiten im Hintergrunde. Das Hauptthema jedoch
verzeiht uns die Eilfertigkeit mit welcher wir an diesen Schätzen vorüber gehen.
Beyspiels willen jedoch gedenken wir des Buches Ruth, welches bey seinem ho- hen Zweck einem Könige von Israel an- ständige, interessante Voreltern zu verschaf- fen zugleich als das lieblichste kleine Ganze betrachtet werden kann, das uns episch und idyllisch überliefert worden ist.
Wir verweilen sodann einen Augenblick bey dem hohen Lied, als dem zartesten und unnachahmlichsten was uns von Ausdruck leidenschaftlicher, anmuthiger Liebe zuge- kommen. Wir beklagen freylich daſs uns die fragmentarisch durcheinander geworfe- nen, übereinander geschobenen Gedichte keinen vollen reinen Genuſs gewähren, und doch sind wir entzückt uns in jene Zu- stände hinein zu ahnden, in welchen die Dichtenden gelebt. Durch und durch we- het eine milde Luft des lieblichsten Bezirks von Canaan; ländlich trauliche Verhältnisse, Wein-, Garten- und Gewürzbau, etwas von städtischer Beschränkung, sodann aber ein königlicher Hof, mit seinen Herrlichkeiten im Hintergrunde. Das Hauptthema jedoch
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verzeiht uns die Eilfertigkeit mit welcher
wir an diesen Schätzen vorüber gehen.
Beyspiels willen jedoch gedenken wir
des Buches Ruth, welches bey seinem ho-
hen Zweck einem Könige von Israel an-
ständige, interessante Voreltern zu verschaf-
fen zugleich als das lieblichste kleine Ganze
betrachtet werden kann, das uns episch und
idyllisch überliefert worden ist.
Wir verweilen sodann einen Augenblick
bey dem hohen Lied, als dem zartesten und
unnachahmlichsten was uns von Ausdruck
leidenschaftlicher, anmuthiger Liebe zuge-
kommen. Wir beklagen freylich daſs uns
die fragmentarisch durcheinander geworfe-
nen, übereinander geschobenen Gedichte
keinen vollen reinen Genuſs gewähren, und
doch sind wir entzückt uns in jene Zu-
stände hinein zu ahnden, in welchen die
Dichtenden gelebt. Durch und durch we-
het eine milde Luft des lieblichsten Bezirks
von Canaan; ländlich trauliche Verhältnisse,
Wein-, Garten- und Gewürzbau, etwas von
städtischer Beschränkung, sodann aber ein
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im Hintergrunde. Das Hauptthema jedoch
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/259>, abgerufen am 22.12.2024.
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