Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.Und wer franzet oder brittet, Italiänert oder teutschet, Einer will nur wie der andre Was die Eigenliebe heischet. Denn es ist kein Anerkennen, Weder vieler, noch des einen, Wenn es nicht am Tage fördert Wo man selbst was möchte scheinen. Morgen habe denn das Rechte Seine Freunde wohlgesinnet, Wenn nur heute noch das Schlechte Vollen Platz und Gunst gewinnet. Wer nicht von dreytausend Jahren Sich weiss Rechenschaft zu geben, Bleib im Dunkeln unerfahren, Mag von Tag zu Tage leben. 7
Und wer franzet oder brittet, Italiänert oder teutschet, Einer will nur wie der andre Was die Eigenliebe heischet. Denn es ist kein Anerkennen, Weder vieler, noch des einen, Wenn es nicht am Tage fördert Wo man selbst was möchte scheinen. Morgen habe denn das Rechte Seine Freunde wohlgesinnet, Wenn nur heute noch das Schlechte Vollen Platz und Gunst gewinnet. Wer nicht von dreytausend Jahren Sich weiſs Rechenschaft zu geben, Bleib im Dunkeln unerfahren, Mag von Tag zu Tage leben. 7
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Und wer franzet oder brittet,
Italiänert oder teutschet,
Einer will nur wie der andre
Was die Eigenliebe heischet.
Denn es ist kein Anerkennen,
Weder vieler, noch des einen,
Wenn es nicht am Tage fördert
Wo man selbst was möchte scheinen.
Morgen habe denn das Rechte
Seine Freunde wohlgesinnet,
Wenn nur heute noch das Schlechte
Vollen Platz und Gunst gewinnet.
Wer nicht von dreytausend Jahren
Sich weiſs Rechenschaft zu geben,
Bleib im Dunkeln unerfahren,
Mag von Tag zu Tage leben.
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/107>, abgerufen am 23.02.2025. |