der Uebersetzer ganz willkührlich was ihm gefällt, weg- läßt, und darunter häufig das Wichtigere, schiebt er bei jeder Gelegenheit die Thaten des Ogier aus den Heldenromanen Carls des Großen bis nach Indien ein, von dem M. nichts weiß. So ist denn das Ganze zu dem verworrenen Galimathias geworden, den das ge- genwärtige Volksbuch darstellt: gleich als hätte es ein Nachtwandler auf seinen nächtlichen Wanderungen, ungeschickt herumtappend, und beständig von confu- sen Nückerrinnerungen aus dem Tage geirrt, geschrie- ben, so muß es jedem erscheinen, der es in seiner ge- genwärtigen Gestalt erblickt. Immerhin würde er ver- dienen, daß irgend jemand seiner sich annähme und ihn edirte; die Geographie des Mittelalters hat kaum ein interessanteres Denkmal aufzuweisen. Wir selbst aber haben uns hier länger bei ihm aufgehalten, theils eben jener inneren Wichtigkeit wegen, theils um, indem wir in ihm schieden, was ihm selbst und was der Poesie, was Marco Polo, Haython, was dem Uebersetzer angehört, an ei- nem auffallenden Beispiel zu zeigen, wie seltsam durch- einanderlaufend die verschiednen Richtungen in den Werken dieser Zeit sich verschlingen und durchkreutzen, und wie schwer es hält, diese verworrene Mannigfaltig- keit in ihre Elemente zu decomponiren, und irgend eine
der Ueberſetzer ganz willkührlich was ihm gefällt, weg- läßt, und darunter häufig das Wichtigere, ſchiebt er bei jeder Gelegenheit die Thaten des Ogier aus den Heldenromanen Carls des Großen bis nach Indien ein, von dem M. nichts weiß. So iſt denn das Ganze zu dem verworrenen Galimathias geworden, den das ge- genwärtige Volksbuch darſtellt: gleich als hätte es ein Nachtwandler auf ſeinen nächtlichen Wanderungen, ungeſchickt herumtappend, und beſtändig von confu- ſen Nückerrinnerungen aus dem Tage geirrt, geſchrie- ben, ſo muß es jedem erſcheinen, der es in ſeiner ge- genwärtigen Geſtalt erblickt. Immerhin würde er ver- dienen, daß irgend jemand ſeiner ſich annähme und ihn edirte; die Geographie des Mittelalters hat kaum ein intereſſanteres Denkmal aufzuweiſen. Wir ſelbſt aber haben uns hier länger bei ihm aufgehalten, theils eben jener inneren Wichtigkeit wegen, theils um, indem wir in ihm ſchieden, was ihm ſelbſt und was der Poeſie, was Marco Polo, Haython, was dem Ueberſetzer angehört, an ei- nem auffallenden Beiſpiel zu zeigen, wie ſeltſam durch- einanderlaufend die verſchiednen Richtungen in den Werken dieſer Zeit ſich verſchlingen und durchkreutzen, und wie ſchwer es hält, dieſe verworrene Mannigfaltig- keit in ihre Elemente zu decomponiren, und irgend eine
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der Ueberſetzer ganz willkührlich was ihm gefällt, weg-
läßt, und darunter häufig das Wichtigere, ſchiebt er
bei jeder Gelegenheit die Thaten des Ogier aus den
Heldenromanen Carls des Großen bis nach Indien ein,
von dem M. nichts weiß. So iſt denn das Ganze zu
dem verworrenen Galimathias geworden, den das ge-
genwärtige Volksbuch darſtellt: gleich als hätte es ein
Nachtwandler auf ſeinen nächtlichen Wanderungen,
ungeſchickt herumtappend, und beſtändig von confu-
ſen Nückerrinnerungen aus dem Tage geirrt, geſchrie-
ben, ſo muß es jedem erſcheinen, der es in ſeiner ge-
genwärtigen Geſtalt erblickt. Immerhin würde er ver-
dienen, daß irgend jemand ſeiner ſich annähme und ihn
edirte; die Geographie des Mittelalters hat kaum ein
intereſſanteres Denkmal aufzuweiſen. Wir ſelbſt aber
haben uns hier länger bei ihm aufgehalten, theils eben jener
inneren Wichtigkeit wegen, theils um, indem wir in ihm
ſchieden, was ihm ſelbſt und was der Poeſie, was Marco
Polo, Haython, was dem Ueberſetzer angehört, an ei-
nem auffallenden Beiſpiel zu zeigen, wie ſeltſam durch-
einanderlaufend die verſchiednen Richtungen in den
Werken dieſer Zeit ſich verſchlingen und durchkreutzen,
und wie ſchwer es hält, dieſe verworrene Mannigfaltig-
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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/88>, abgerufen am 18.12.2024.
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