wilden Forst geworden, geboren im Eichenschatten, erzogen in Bergesklüften, frei und frank über die Höhen schweifend, und zutraulich von Zeit zu Zeit zu den Wohnungen des Volkes niederkommend, und von dem freien Leben draußen ihm Kunde bringend. Das ist der eigentliche Geist jener Schriften, fern von Jenem, den man in den neuesten Zeiten in den Noth- und Hilfsbüchern als eine feuchtwarme, lindernde Bähung seinen Preßhaftigkeiten aufgelegt, und die, obgleich vielleicht den augenblicklichen Bedürfnissen entsprechend, doch eben dadurch Zeugniß geben von dem chronisch-krankhaften Geist der Zeit.
Wenn man, was wir in diesen wenigen Blättern über den Charakter und das Wesen dieser Bücher beigebracht, erwägt; wenn man, so oft die Hoffart auf unsere feinere Poesie uns übernehmen will, bedenkt, wie es das Volk doch immer ist, was uns im Früh- linge die ersten, die wohlriechendsten und erquickend- sten Blumen aus seinen Wäldern und Hegen bringt, wenn auch später freilich der Luxus unserer Blumen- gärten sich geltend macht, deren schönste Zierden aber immer irgendwo wild gefunden werden; wenn man sich besinnt, wie überhaupt alle Poesie ursprünglich doch immer von ihm ausgegangen ist, weil alle In- stitution und alle Verfassung, und das ganze Gerüste
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wilden Forſt geworden, geboren im Eichenſchatten, erzogen in Bergesklüften, frei und frank über die Höhen ſchweifend, und zutraulich von Zeit zu Zeit zu den Wohnungen des Volkes niederkommend, und von dem freien Leben draußen ihm Kunde bringend. Das iſt der eigentliche Geiſt jener Schriften, fern von Jenem, den man in den neueſten Zeiten in den Noth- und Hilfsbüchern als eine feuchtwarme, lindernde Bähung ſeinen Preßhaftigkeiten aufgelegt, und die, obgleich vielleicht den augenblicklichen Bedürfniſſen entſprechend, doch eben dadurch Zeugniß geben von dem chroniſch-krankhaften Geiſt der Zeit.
Wenn man, was wir in dieſen wenigen Blättern über den Charakter und das Weſen dieſer Bücher beigebracht, erwägt; wenn man, ſo oft die Hoffart auf unſere feinere Poeſie uns übernehmen will, bedenkt, wie es das Volk doch immer iſt, was uns im Früh- linge die erſten, die wohlriechendſten und erquickend- ſten Blumen aus ſeinen Wäldern und Hegen bringt, wenn auch ſpäter freilich der Luxus unſerer Blumen- gärten ſich geltend macht, deren ſchönſte Zierden aber immer irgendwo wild gefunden werden; wenn man ſich beſinnt, wie überhaupt alle Poeſie urſprünglich doch immer von ihm ausgegangen iſt, weil alle In- ſtitution und alle Verfaſſung, und das ganze Gerüſte
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[25/0043]
wilden Forſt geworden, geboren im Eichenſchatten,
erzogen in Bergesklüften, frei und frank über die
Höhen ſchweifend, und zutraulich von Zeit zu Zeit
zu den Wohnungen des Volkes niederkommend, und
von dem freien Leben draußen ihm Kunde bringend.
Das iſt der eigentliche Geiſt jener Schriften, fern von
Jenem, den man in den neueſten Zeiten in den Noth-
und Hilfsbüchern als eine feuchtwarme, lindernde
Bähung ſeinen Preßhaftigkeiten aufgelegt, und die,
obgleich vielleicht den augenblicklichen Bedürfniſſen
entſprechend, doch eben dadurch Zeugniß geben von
dem chroniſch-krankhaften Geiſt der Zeit.
Wenn man, was wir in dieſen wenigen Blättern
über den Charakter und das Weſen dieſer Bücher
beigebracht, erwägt; wenn man, ſo oft die Hoffart auf
unſere feinere Poeſie uns übernehmen will, bedenkt,
wie es das Volk doch immer iſt, was uns im Früh-
linge die erſten, die wohlriechendſten und erquickend-
ſten Blumen aus ſeinen Wäldern und Hegen bringt,
wenn auch ſpäter freilich der Luxus unſerer Blumen-
gärten ſich geltend macht, deren ſchönſte Zierden aber
immer irgendwo wild gefunden werden; wenn man
ſich beſinnt, wie überhaupt alle Poeſie urſprünglich
doch immer von ihm ausgegangen iſt, weil alle In-
ſtitution und alle Verfaſſung, und das ganze Gerüſte
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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/43>, abgerufen am 18.12.2024.
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