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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

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endlich einen Theil unserer übermäßigen Fügsamkeit
ablegen und unseres taubensinnigen Langmuths, der
Alles wohl sich gefallen läßt, und dann plötzlich und
spröde ohne Uebergang und Besonnenheit reißt und
bricht: dann mag Alles sich wohl noch zum Besten wenden.
Nur wer es werth ist, daß die Geister ihm erscheinen,
dem mögen sie sich helfend nahen!

Es führt ein leichter Uebergang zu dem Gegenstand
zurück, dem uns jener Anflug von Begeisterung ent-
führt: aus dem Zeitalter, das wir prießen,
sind die Volksbücher meist hervorgegangen, mit
deren Anschauung wir uns beschäftigt haben; was
wir über sein Wesen ausgesprochen, gilt auch von
ihnen, die sie Kinder sind von dieser Zeit und noch
stehende Ruinen. Es war die ganze Masse der Nation
so bis in's Innerste erregt, das bis zu den untersten
Classen die Begeisterung drang, und wenn die große
Menge einmal schwankend sich bewegt, dann legen sich
sobald nicht die Wellenschläge wieder: bis heute sind
jene Gesangeswellen dem Volke nicht zergangen,
während zu ihrer Schande, Jene die sich die Gelehrten
nennen, rein das Andenken verloren hatten an die
ganze Zauberwelt, in der ihre Vorfahren gewandelt
waren. Und so reich war diese Welt, daß nicht die
Vornehmen blos reiche, zierliche Kleider zu ihrem An-

endlich einen Theil unſerer übermäßigen Fügſamkeit
ablegen und unſeres taubenſinnigen Langmuths, der
Alles wohl ſich gefallen läßt, und dann plötzlich und
ſpröde ohne Uebergang und Beſonnenheit reißt und
bricht: dann mag Alles ſich wohl noch zum Beſten wenden.
Nur wer es werth iſt, daß die Geiſter ihm erſcheinen,
dem mögen ſie ſich helfend nahen!

Es führt ein leichter Uebergang zu dem Gegenſtand
zurück, dem uns jener Anflug von Begeiſterung ent-
führt: aus dem Zeitalter, das wir prießen,
ſind die Volksbücher meiſt hervorgegangen, mit
deren Anſchauung wir uns beſchäftigt haben; was
wir über ſein Weſen ausgeſprochen, gilt auch von
ihnen, die ſie Kinder ſind von dieſer Zeit und noch
ſtehende Ruinen. Es war die ganze Maſſe der Nation
ſo bis in’s Innerſte erregt, das bis zu den unterſten
Claſſen die Begeiſterung drang, und wenn die große
Menge einmal ſchwankend ſich bewegt, dann legen ſich
ſobald nicht die Wellenſchläge wieder: bis heute ſind
jene Geſangeswellen dem Volke nicht zergangen,
während zu ihrer Schande, Jene die ſich die Gelehrten
nennen, rein das Andenken verloren hatten an die
ganze Zauberwelt, in der ihre Vorfahren gewandelt
waren. Und ſo reich war dieſe Welt, daß nicht die
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[303/0321] endlich einen Theil unſerer übermäßigen Fügſamkeit ablegen und unſeres taubenſinnigen Langmuths, der Alles wohl ſich gefallen läßt, und dann plötzlich und ſpröde ohne Uebergang und Beſonnenheit reißt und bricht: dann mag Alles ſich wohl noch zum Beſten wenden. Nur wer es werth iſt, daß die Geiſter ihm erſcheinen, dem mögen ſie ſich helfend nahen! Es führt ein leichter Uebergang zu dem Gegenſtand zurück, dem uns jener Anflug von Begeiſterung ent- führt: aus dem Zeitalter, das wir prießen, ſind die Volksbücher meiſt hervorgegangen, mit deren Anſchauung wir uns beſchäftigt haben; was wir über ſein Weſen ausgeſprochen, gilt auch von ihnen, die ſie Kinder ſind von dieſer Zeit und noch ſtehende Ruinen. Es war die ganze Maſſe der Nation ſo bis in’s Innerſte erregt, das bis zu den unterſten Claſſen die Begeiſterung drang, und wenn die große Menge einmal ſchwankend ſich bewegt, dann legen ſich ſobald nicht die Wellenſchläge wieder: bis heute ſind jene Geſangeswellen dem Volke nicht zergangen, während zu ihrer Schande, Jene die ſich die Gelehrten nennen, rein das Andenken verloren hatten an die ganze Zauberwelt, in der ihre Vorfahren gewandelt waren. Und ſo reich war dieſe Welt, daß nicht die Vornehmen blos reiche, zierliche Kleider zu ihrem An-

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Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/321>, abgerufen am 23.11.2024.