der Menschen, von Männerschädeln die Fäden gezogen, blutige Lanzen die Tritte, Pfeile die Schiffchen, mit Schwerdtern wird das Todesgewebe geschlagen und schnell fliegen sie dann auf eilenden Rossen hinweg. Oben am Pole aber zuckt an dem Hamen des gewaltigen Donnerers die giftige midgardische Schlange, und dazwi- schen tönen Skaldengesänge und Todtengesänge und feiern- der Hymnen Schall. So hatten denn die Wechselchöre von allen Seiten her Teutschland umzogen; es konnte nicht stumm bleiben in dem lauten sangvollen Leben: von allen Gebürgen riefen sie in Strophen und Gegen- strophen antwortend einander zu; was klangbar nur in ihm war, mußte wohl sich regen, es mußte resoniren bei so vielfältiger Berührung. Der alte inländische Bardengesang war mit dem Eindringen des Christen- thums verhallt; es erwachte bald ein anderer Dichter- kreis; am Rheine und in Schwaben, der Provence von Teutschland, wurden die ersten Stimmen laut, es zündete Stimme sich an Stimme an, durch Franken, Thüringen, Sachsen bis nach Oesterreich rauschte bald der Gesang dahin. Die Minnesänger waren aufge- standen, und es war die weisse Rose, die in ihnen blühte, während die Purpurrose sich in den Troubadours entfaltete. Schuldlos, einfach, herzlich, zart und innig war die Liebe, die sie sangen; würdig, ernst
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der Menſchen, von Männerſchädeln die Fäden gezogen, blutige Lanzen die Tritte, Pfeile die Schiffchen, mit Schwerdtern wird das Todesgewebe geſchlagen und ſchnell fliegen ſie dann auf eilenden Roſſen hinweg. Oben am Pole aber zuckt an dem Hamen des gewaltigen Donnerers die giftige midgardiſche Schlange, und dazwi- ſchen tönen Skaldengeſänge und Todtengeſänge und feiern- der Hymnen Schall. So hatten denn die Wechſelchöre von allen Seiten her Teutſchland umzogen; es konnte nicht ſtumm bleiben in dem lauten ſangvollen Leben: von allen Gebürgen riefen ſie in Strophen und Gegen- ſtrophen antwortend einander zu; was klangbar nur in ihm war, mußte wohl ſich regen, es mußte reſoniren bei ſo vielfältiger Berührung. Der alte inländiſche Bardengeſang war mit dem Eindringen des Chriſten- thums verhallt; es erwachte bald ein anderer Dichter- kreis; am Rheine und in Schwaben, der Provence von Teutſchland, wurden die erſten Stimmen laut, es zündete Stimme ſich an Stimme an, durch Franken, Thüringen, Sachſen bis nach Oeſterreich rauſchte bald der Geſang dahin. Die Minneſänger waren aufge- ſtanden, und es war die weiſſe Roſe, die in ihnen blühte, während die Purpurroſe ſich in den Troubadours entfaltete. Schuldlos, einfach, herzlich, zart und innig war die Liebe, die ſie ſangen; würdig, ernſt
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der Menſchen, von Männerſchädeln die Fäden gezogen,
blutige Lanzen die Tritte, Pfeile die Schiffchen, mit
Schwerdtern wird das Todesgewebe geſchlagen und
ſchnell fliegen ſie dann auf eilenden Roſſen hinweg.
Oben am Pole aber zuckt an dem Hamen des gewaltigen
Donnerers die giftige midgardiſche Schlange, und dazwi-
ſchen tönen Skaldengeſänge und Todtengeſänge und feiern-
der Hymnen Schall. So hatten denn die Wechſelchöre
von allen Seiten her Teutſchland umzogen; es konnte
nicht ſtumm bleiben in dem lauten ſangvollen Leben:
von allen Gebürgen riefen ſie in Strophen und Gegen-
ſtrophen antwortend einander zu; was klangbar nur in
ihm war, mußte wohl ſich regen, es mußte reſoniren
bei ſo vielfältiger Berührung. Der alte inländiſche
Bardengeſang war mit dem Eindringen des Chriſten-
thums verhallt; es erwachte bald ein anderer Dichter-
kreis; am Rheine und in Schwaben, der Provence von
Teutſchland, wurden die erſten Stimmen laut, es
zündete Stimme ſich an Stimme an, durch Franken,
Thüringen, Sachſen bis nach Oeſterreich rauſchte bald
der Geſang dahin. Die Minneſänger waren aufge-
ſtanden, und es war die weiſſe Roſe, die in ihnen
blühte, während die Purpurroſe ſich in den Troubadours
entfaltete. Schuldlos, einfach, herzlich, zart und
innig war die Liebe, die ſie ſangen; würdig, ernſt
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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/307>, abgerufen am 24.11.2024.
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