So hatte der Funken, den der alte Prometheus vom Himmel in der Ferula hinweggenommen, des Stengels Mark verzehrt, und wollte nun, leise um die Asche flatternd, sich wieder von der Fessel reißen, in die ihn der Titan gelegt, und wiederkehren zu der Heymath, der ihn die übermüthige Kraft entführt. Das war der Genius, den die neue Religion in die Welt gebohren, und er traf nicht auf ein ermattetes Geschlecht; leben- dige Sinne hatten diese Menschen um das Sinnliche zu genießen, und es galt schweren Kampf zwischen den beiden Welten, bis die Höhere siegte. Und das eben macht die Zeiten so unendlich interessant und rührend, diese starken Naturen demüthig, fromm und hingegeben dem Heiligen zu sehen: denn es ist kein erfreulicher Anblick, wenn die Ohnmacht und die Schwäche gebeugt in kraftloser Andacht verschwimmen; aber wenn die Stärke sich selber zwingt, wenn das Colossale den Nacken von Erz und die geharnischten Knie beugt; wenn die Gewalten, die berufen sind, aufrecht und stolz wie Götter über die Erde hin zu gehen, freiwillig dem Unsichtbaren ohne Heuchelei sich neigen, dann ist's ein freudiger Triumph der Idealität im Menschen, und ein schöner Sieg des Göttlichen. So war starker, rascher Heldensinn in dieser Zeit, mitten in dem Feudalsystem, das sie itzt so erbittert schmähen,
So hatte der Funken, den der alte Prometheus vom Himmel in der Ferula hinweggenommen, des Stengels Mark verzehrt, und wollte nun, leiſe um die Aſche flatternd, ſich wieder von der Feſſel reißen, in die ihn der Titan gelegt, und wiederkehren zu der Heymath, der ihn die übermüthige Kraft entführt. Das war der Genius, den die neue Religion in die Welt gebohren, und er traf nicht auf ein ermattetes Geſchlecht; leben- dige Sinne hatten dieſe Menſchen um das Sinnliche zu genießen, und es galt ſchweren Kampf zwiſchen den beiden Welten, bis die Höhere ſiegte. Und das eben macht die Zeiten ſo unendlich intereſſant und rührend, dieſe ſtarken Naturen demüthig, fromm und hingegeben dem Heiligen zu ſehen: denn es iſt kein erfreulicher Anblick, wenn die Ohnmacht und die Schwäche gebeugt in kraftloſer Andacht verſchwimmen; aber wenn die Stärke ſich ſelber zwingt, wenn das Coloſſale den Nacken von Erz und die geharniſchten Knie beugt; wenn die Gewalten, die berufen ſind, aufrecht und ſtolz wie Götter über die Erde hin zu gehen, freiwillig dem Unſichtbaren ohne Heuchelei ſich neigen, dann iſt’s ein freudiger Triumph der Idealität im Menſchen, und ein ſchöner Sieg des Göttlichen. So war ſtarker, raſcher Heldenſinn in dieſer Zeit, mitten in dem Feudalſyſtem, das ſie itzt ſo erbittert ſchmähen,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0292"n="274"/>
So hatte der Funken, den der alte Prometheus vom<lb/>
Himmel in der Ferula hinweggenommen, des Stengels<lb/>
Mark verzehrt, und wollte nun, leiſe um die Aſche<lb/>
flatternd, ſich wieder von der Feſſel reißen, in die ihn<lb/>
der Titan gelegt, und wiederkehren zu der Heymath,<lb/>
der ihn die übermüthige Kraft entführt. Das war der<lb/>
Genius, den die neue Religion in die Welt gebohren,<lb/>
und er traf nicht auf ein ermattetes Geſchlecht; leben-<lb/>
dige Sinne hatten dieſe Menſchen um das Sinnliche<lb/>
zu genießen, und es galt ſchweren Kampf zwiſchen<lb/>
den beiden Welten, bis die Höhere ſiegte. Und das<lb/>
eben macht die Zeiten ſo unendlich intereſſant und<lb/>
rührend, dieſe ſtarken Naturen demüthig, fromm und<lb/>
hingegeben dem Heiligen zu ſehen: denn es iſt kein<lb/>
erfreulicher Anblick, wenn die Ohnmacht und die<lb/>
Schwäche gebeugt in kraftloſer Andacht verſchwimmen;<lb/>
aber wenn die Stärke ſich ſelber zwingt, wenn das<lb/>
Coloſſale den Nacken von Erz und die geharniſchten<lb/>
Knie beugt; wenn die Gewalten, die berufen ſind,<lb/>
aufrecht und ſtolz wie Götter über die Erde hin zu<lb/>
gehen, freiwillig dem Unſichtbaren ohne Heuchelei ſich<lb/>
neigen, dann iſt’s ein freudiger Triumph der Idealität<lb/>
im Menſchen, und ein ſchöner Sieg des Göttlichen.<lb/>
So war ſtarker, raſcher Heldenſinn in dieſer Zeit, mitten<lb/>
in dem Feudalſyſtem, das ſie itzt ſo erbittert ſchmähen,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[274/0292]
So hatte der Funken, den der alte Prometheus vom
Himmel in der Ferula hinweggenommen, des Stengels
Mark verzehrt, und wollte nun, leiſe um die Aſche
flatternd, ſich wieder von der Feſſel reißen, in die ihn
der Titan gelegt, und wiederkehren zu der Heymath,
der ihn die übermüthige Kraft entführt. Das war der
Genius, den die neue Religion in die Welt gebohren,
und er traf nicht auf ein ermattetes Geſchlecht; leben-
dige Sinne hatten dieſe Menſchen um das Sinnliche
zu genießen, und es galt ſchweren Kampf zwiſchen
den beiden Welten, bis die Höhere ſiegte. Und das
eben macht die Zeiten ſo unendlich intereſſant und
rührend, dieſe ſtarken Naturen demüthig, fromm und
hingegeben dem Heiligen zu ſehen: denn es iſt kein
erfreulicher Anblick, wenn die Ohnmacht und die
Schwäche gebeugt in kraftloſer Andacht verſchwimmen;
aber wenn die Stärke ſich ſelber zwingt, wenn das
Coloſſale den Nacken von Erz und die geharniſchten
Knie beugt; wenn die Gewalten, die berufen ſind,
aufrecht und ſtolz wie Götter über die Erde hin zu
gehen, freiwillig dem Unſichtbaren ohne Heuchelei ſich
neigen, dann iſt’s ein freudiger Triumph der Idealität
im Menſchen, und ein ſchöner Sieg des Göttlichen.
So war ſtarker, raſcher Heldenſinn in dieſer Zeit, mitten
in dem Feudalſyſtem, das ſie itzt ſo erbittert ſchmähen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/292>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.