des Weibes dunkel sich und schweigend regt, so liegt auch die Ahndung der Vergangenheit wie ein verbor- gener Keim in uns, den die Geschlechte erst befruchten muß, und das alte Leben durchbricht in ihr des Grabes Schranken und erscheint wie ein abgeschiedner Geist dem neuen Leben, und das alte Leben ist ein Schatten nur, der unten im Hados wohnt, die Seele aber wohnt oben in der Gegenwart, und kämpft rasch und thätig fort. Alle aber drängt die innere bildende Kraft sie weiter, oben in der Blüthe wohnt ewig neu die Jugend, unten aber an der Wurzel arbeiten stumm und still die unterirdischen Naturen, und das Alter ziehen sie zu sich nieder, und zerreiben zu neuem Lebenssafte, was sich selber nicht mehr erhalten mag. Darin liegt der Grund der religiösen Gefühle, die das Altexthum in uns erweckt; auf dem Grabeshügel der Vergangenheit werden wir geboren; wie eine Feuerflamme ist das Leben durch die Erde durchgeschlagen, aber die Tiefe nur giebt der Flamme Nahrung, und unten wohnt in dunkler Höhle die Sybille, und hütet die Mumien, die zur Nuhe gegangen sind, und sendet die Andern hinauf, die auf's neue in des Lebens Kreise treten, und läutet die Todtenglocke, die dumpf aus der Tiefe den Geschlechtern ruft, die niedersteigen sollen in das nächtlich dunkle Reich.
des Weibes dunkel ſich und ſchweigend regt, ſo liegt auch die Ahndung der Vergangenheit wie ein verbor- gener Keim in uns, den die Geſchlechte erſt befruchten muß, und das alte Leben durchbricht in ihr des Grabes Schranken und erſcheint wie ein abgeſchiedner Geiſt dem neuen Leben, und das alte Leben iſt ein Schatten nur, der unten im Hados wohnt, die Seele aber wohnt oben in der Gegenwart, und kämpft raſch und thätig fort. Alle aber drängt die innere bildende Kraft ſie weiter, oben in der Blüthe wohnt ewig neu die Jugend, unten aber an der Wurzel arbeiten ſtumm und ſtill die unterirdiſchen Naturen, und das Alter ziehen ſie zu ſich nieder, und zerreiben zu neuem Lebensſafte, was ſich ſelber nicht mehr erhalten mag. Darin liegt der Grund der religiöſen Gefühle, die das Altexthum in uns erweckt; auf dem Grabeshügel der Vergangenheit werden wir geboren; wie eine Feuerflamme iſt das Leben durch die Erde durchgeſchlagen, aber die Tiefe nur giebt der Flamme Nahrung, und unten wohnt in dunkler Höhle die Sybille, und hütet die Mumien, die zur Nuhe gegangen ſind, und ſendet die Andern hinauf, die auf’s neue in des Lebens Kreiſe treten, und läutet die Todtenglocke, die dumpf aus der Tiefe den Geſchlechtern ruft, die niederſteigen ſollen in das nächtlich dunkle Reich.
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[271[269]/0287]
des Weibes dunkel ſich und ſchweigend regt, ſo liegt
auch die Ahndung der Vergangenheit wie ein verbor-
gener Keim in uns, den die Geſchlechte erſt befruchten
muß, und das alte Leben durchbricht in ihr des Grabes
Schranken und erſcheint wie ein abgeſchiedner Geiſt
dem neuen Leben, und das alte Leben iſt ein Schatten
nur, der unten im Hados wohnt, die Seele aber wohnt
oben in der Gegenwart, und kämpft raſch und thätig
fort. Alle aber drängt die innere bildende Kraft ſie
weiter, oben in der Blüthe wohnt ewig neu die Jugend,
unten aber an der Wurzel arbeiten ſtumm und ſtill die
unterirdiſchen Naturen, und das Alter ziehen ſie zu
ſich nieder, und zerreiben zu neuem Lebensſafte, was
ſich ſelber nicht mehr erhalten mag. Darin liegt der
Grund der religiöſen Gefühle, die das Altexthum in uns
erweckt; auf dem Grabeshügel der Vergangenheit
werden wir geboren; wie eine Feuerflamme iſt das
Leben durch die Erde durchgeſchlagen, aber die Tiefe
nur giebt der Flamme Nahrung, und unten wohnt in
dunkler Höhle die Sybille, und hütet die Mumien,
die zur Nuhe gegangen ſind, und ſendet die Andern
hinauf, die auf’s neue in des Lebens Kreiſe treten,
und läutet die Todtenglocke, die dumpf aus der Tiefe
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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 271[269]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/287>, abgerufen am 24.11.2024.
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