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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

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Tönen. Wie Windes Wehen, wie Kindes Lallen ist ihr
Reden, das Ohr horcht den wundersamen Klängen,
aber dem innern Sinne ist ihr Verständniß nur gegeben.
So kreisen sie jenseits, die Gestalten der Vergangenheit,
diesseits aber treiben wir selbst in der Gegenwart uns
um, und dazwischen ist der bunte Teppich des Lebens
ausgespannt, und eilt vorwärts von der Zeit getrieben-
wie der Farbenbogen auf der Regenwolke, und kaum
daß wir aufgeblickt, sind wir auch jenseits unter den
schwebenden Gestalten, und ein anderes Geschlecht
spielt außen im Sonnenscheine. Aber es geht ein
rascher wunder- und zaubervoller Othem durch die
Zeiten durch, gleich den unterirdischen Windeszügen,
die kühl und frisch und immer wach aus dunkeln
Höhlen brechen; vor sich treibt er seines Hauches
Spiel, geheimnißvolle Blätter her, denen die vergang-
enen Geschlechter ihre Weisheit, und des Herzens
Gefühle, und der Andacht stille Begeisterung anver-
traut, und des Lebens ernste Regel, und wie die Ge-
schlechter vorüberziehen, und in Erde sich verhüllen,
grünt immer von neuem die Palme mit den Blättern
wieder, und wenn die neue Gegenwart dann aus der
Erde steigt, sind die Hieroglyphen reif geworden; das
dunkelkühle Saußen löst sie von den Zweigen ab,
und treibt sie still vor sich an der Erde hin; das ganze

Tönen. Wie Windes Wehen, wie Kindes Lallen iſt ihr
Reden, das Ohr horcht den wunderſamen Klängen,
aber dem innern Sinne iſt ihr Verſtändniß nur gegeben.
So kreiſen ſie jenſeits, die Geſtalten der Vergangenheit,
dieſſeits aber treiben wir ſelbſt in der Gegenwart uns
um, und dazwiſchen iſt der bunte Teppich des Lebens
ausgeſpannt, und eilt vorwärts von der Zeit getrieben-
wie der Farbenbogen auf der Regenwolke, und kaum
daß wir aufgeblickt, ſind wir auch jenſeits unter den
ſchwebenden Geſtalten, und ein anderes Geſchlecht
ſpielt außen im Sonnenſcheine. Aber es geht ein
raſcher wunder- und zaubervoller Othem durch die
Zeiten durch, gleich den unterirdiſchen Windeszügen,
die kühl und friſch und immer wach aus dunkeln
Höhlen brechen; vor ſich treibt er ſeines Hauches
Spiel, geheimnißvolle Blätter her, denen die vergang-
enen Geſchlechter ihre Weisheit, und des Herzens
Gefühle, und der Andacht ſtille Begeiſterung anver-
traut, und des Lebens ernſte Regel, und wie die Ge-
ſchlechter vorüberziehen, und in Erde ſich verhüllen,
grünt immer von neuem die Palme mit den Blättern
wieder, und wenn die neue Gegenwart dann aus der
Erde ſteigt, ſind die Hieroglyphen reif geworden; das
dunkelkühle Saußen löſt ſie von den Zweigen ab,
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[263/0281] Tönen. Wie Windes Wehen, wie Kindes Lallen iſt ihr Reden, das Ohr horcht den wunderſamen Klängen, aber dem innern Sinne iſt ihr Verſtändniß nur gegeben. So kreiſen ſie jenſeits, die Geſtalten der Vergangenheit, dieſſeits aber treiben wir ſelbſt in der Gegenwart uns um, und dazwiſchen iſt der bunte Teppich des Lebens ausgeſpannt, und eilt vorwärts von der Zeit getrieben- wie der Farbenbogen auf der Regenwolke, und kaum daß wir aufgeblickt, ſind wir auch jenſeits unter den ſchwebenden Geſtalten, und ein anderes Geſchlecht ſpielt außen im Sonnenſcheine. Aber es geht ein raſcher wunder- und zaubervoller Othem durch die Zeiten durch, gleich den unterirdiſchen Windeszügen, die kühl und friſch und immer wach aus dunkeln Höhlen brechen; vor ſich treibt er ſeines Hauches Spiel, geheimnißvolle Blätter her, denen die vergang- enen Geſchlechter ihre Weisheit, und des Herzens Gefühle, und der Andacht ſtille Begeiſterung anver- traut, und des Lebens ernſte Regel, und wie die Ge- ſchlechter vorüberziehen, und in Erde ſich verhüllen, grünt immer von neuem die Palme mit den Blättern wieder, und wenn die neue Gegenwart dann aus der Erde ſteigt, ſind die Hieroglyphen reif geworden; das dunkelkühle Saußen löſt ſie von den Zweigen ab, und treibt ſie ſtill vor ſich an der Erde hin; das ganze

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Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/281>, abgerufen am 24.11.2024.