Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

wandelt nach Aegypten, und in die Wüste auch, wo
es zum Mittleramt sich weiht. Das Werk ist eines
Geistes Kind mit allen jenen Bildern der italiänischen
Schule, die mit gleicher Liebe den gleichen Gegenstand
behandeln. Ein warmes Liebeleben ist darüber ausge-
gossen, und ein zartes Blüthenfunkeln und Liebes-
stäuben. -- Sie sahen aber von ferne einen großen
Baum, und Joseph sprach, wir wollen dahin gehen,
und allda über Nacht bleiben, sie konnten aber kein
Wasser finden. Als er nun zu dem Baum kam, und
konnte kein Wasser finden, bekümmerte er sich gar sehr;
aber bey dem Baum war viel Gras, daß seine Esel
und der Ochs genug zu fressen hatten. Die Jungfrau
Maria setzte sich nieder, und nahm das Kind Jesus in
ihren Schooß, und stach mit ihrem Finger in die
Erde, da sprang eine Quelle auf. Sie lobten Gott
und waren froh, daß sie Wasser für sich und ihr Vieh
bekommen hatten. Des andern Tages füllten sie ihre
Flaschen und Krüge mit Wasser, daß sie auf dem
Wege zu trinken hatten. Als sie nun weiter reiseten,
so wurde die Maria eines hohen Baumes gewahr, der
viele Früchte hatte, und die Früchte waren völlig reif:
sie schauete auf den Baum, und wollte von den Früch-
ten haben, aber Joseph konnte Alters halber nicht auf
den Baum steigen, die Mutter mit dem Kinde stand

wandelt nach Aegypten, und in die Wüſte auch, wo
es zum Mittleramt ſich weiht. Das Werk iſt eines
Geiſtes Kind mit allen jenen Bildern der italiäniſchen
Schule, die mit gleicher Liebe den gleichen Gegenſtand
behandeln. Ein warmes Liebeleben iſt darüber ausge-
goſſen, und ein zartes Blüthenfunkeln und Liebes-
ſtäuben. — Sie ſahen aber von ferne einen großen
Baum, und Joſeph ſprach, wir wollen dahin gehen,
und allda über Nacht bleiben, ſie konnten aber kein
Waſſer finden. Als er nun zu dem Baum kam, und
konnte kein Waſſer finden, bekümmerte er ſich gar ſehr;
aber bey dem Baum war viel Gras, daß ſeine Eſel
und der Ochs genug zu freſſen hatten. Die Jungfrau
Maria ſetzte ſich nieder, und nahm das Kind Jeſus in
ihren Schooß, und ſtach mit ihrem Finger in die
Erde, da ſprang eine Quelle auf. Sie lobten Gott
und waren froh, daß ſie Waſſer für ſich und ihr Vieh
bekommen hatten. Des andern Tages füllten ſie ihre
Flaſchen und Krüge mit Waſſer, daß ſie auf dem
Wege zu trinken hatten. Als ſie nun weiter reiſeten,
ſo wurde die Maria eines hohen Baumes gewahr, der
viele Früchte hatte, und die Früchte waren völlig reif:
ſie ſchauete auf den Baum, und wollte von den Früch-
ten haben, aber Joſeph konnte Alters halber nicht auf
den Baum ſteigen, die Mutter mit dem Kinde ſtand

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0271" n="253"/>
wandelt nach Aegypten, und in die Wü&#x017F;te auch, wo<lb/>
es zum Mittleramt &#x017F;ich weiht. Das Werk i&#x017F;t eines<lb/>
Gei&#x017F;tes Kind mit allen jenen Bildern der italiäni&#x017F;chen<lb/>
Schule, die mit gleicher Liebe den gleichen Gegen&#x017F;tand<lb/>
behandeln. Ein warmes Liebeleben i&#x017F;t darüber ausge-<lb/>
go&#x017F;&#x017F;en, und ein zartes Blüthenfunkeln und Liebes-<lb/>
&#x017F;täuben. &#x2014; Sie &#x017F;ahen aber von ferne einen großen<lb/>
Baum, und Jo&#x017F;eph &#x017F;prach, wir wollen dahin gehen,<lb/>
und allda über Nacht bleiben, &#x017F;ie konnten aber kein<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er finden. Als er nun zu dem Baum kam, und<lb/>
konnte kein Wa&#x017F;&#x017F;er finden, bekümmerte er &#x017F;ich gar &#x017F;ehr;<lb/>
aber bey dem Baum war viel Gras, daß &#x017F;eine E&#x017F;el<lb/>
und der Ochs genug zu fre&#x017F;&#x017F;en hatten. Die Jungfrau<lb/>
Maria &#x017F;etzte &#x017F;ich nieder, und nahm das Kind Je&#x017F;us in<lb/>
ihren Schooß, und &#x017F;tach mit ihrem Finger in die<lb/>
Erde, da &#x017F;prang eine Quelle auf. Sie lobten Gott<lb/>
und waren froh, daß &#x017F;ie Wa&#x017F;&#x017F;er für &#x017F;ich und ihr Vieh<lb/>
bekommen hatten. Des andern Tages füllten &#x017F;ie ihre<lb/>
Fla&#x017F;chen und Krüge mit Wa&#x017F;&#x017F;er, daß &#x017F;ie auf dem<lb/>
Wege zu trinken hatten. Als &#x017F;ie nun weiter rei&#x017F;eten,<lb/>
&#x017F;o wurde die Maria eines hohen Baumes gewahr, der<lb/>
viele Früchte hatte, und die Früchte waren völlig reif:<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;chauete auf den Baum, und wollte von den Früch-<lb/>
ten haben, aber Jo&#x017F;eph konnte Alters halber nicht auf<lb/>
den Baum &#x017F;teigen, die Mutter mit dem Kinde &#x017F;tand<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[253/0271] wandelt nach Aegypten, und in die Wüſte auch, wo es zum Mittleramt ſich weiht. Das Werk iſt eines Geiſtes Kind mit allen jenen Bildern der italiäniſchen Schule, die mit gleicher Liebe den gleichen Gegenſtand behandeln. Ein warmes Liebeleben iſt darüber ausge- goſſen, und ein zartes Blüthenfunkeln und Liebes- ſtäuben. — Sie ſahen aber von ferne einen großen Baum, und Joſeph ſprach, wir wollen dahin gehen, und allda über Nacht bleiben, ſie konnten aber kein Waſſer finden. Als er nun zu dem Baum kam, und konnte kein Waſſer finden, bekümmerte er ſich gar ſehr; aber bey dem Baum war viel Gras, daß ſeine Eſel und der Ochs genug zu freſſen hatten. Die Jungfrau Maria ſetzte ſich nieder, und nahm das Kind Jeſus in ihren Schooß, und ſtach mit ihrem Finger in die Erde, da ſprang eine Quelle auf. Sie lobten Gott und waren froh, daß ſie Waſſer für ſich und ihr Vieh bekommen hatten. Des andern Tages füllten ſie ihre Flaſchen und Krüge mit Waſſer, daß ſie auf dem Wege zu trinken hatten. Als ſie nun weiter reiſeten, ſo wurde die Maria eines hohen Baumes gewahr, der viele Früchte hatte, und die Früchte waren völlig reif: ſie ſchauete auf den Baum, und wollte von den Früch- ten haben, aber Joſeph konnte Alters halber nicht auf den Baum ſteigen, die Mutter mit dem Kinde ſtand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/271
Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/271>, abgerufen am 28.11.2024.