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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

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der Spaß hervor. So treibt er sich durch alle Classen
herum, selbst bei den Fürsten, aber nur auf eine kurze
Weile; er will keines einzelnen Menschen seyn, sondern
er ist allein Schalk auf seine eigne Faust, und daher
der eigentliche wahre Volksnarr, im Gegensatz der
früher allgemein üblichen Hofnarren. Als solcher ist
er daher auch auf unsere Zeit gekommen, und während
die Fürsten die Stelle längst als überflüßig erkannt
haben, ist das Volk keineswegs derselben Meinung ge-
wesen, und hat sich seinen plebeyischen Tribun in der
Schellenkappe nicht nehmen lassen, und man würde
im höchsten Grade Unrecht thun, wenn man von
dieser Seite irgend gewaltsam störend eingreifen wollte.
Man wolle doch nicht die einzige kleine Kapelle ein-
reissen, die der Scherz noch in der großen Menge hat!

Der Eulenspiegel erschien zuerst um 1483 im
Plattteutschen, obgleich diese erste Ausgabe sich nicht
erhalten zu haben scheint. Als die älteste bekannte
Ausgabe führt Koch die Augsburger in 4. von 1540
in der Wolfenbüttler Bibliothek auf. Der Franzis-
kaner Thomas Murner, der zur Zeit der Reformation
seine Rolle spielte, soll ihn zuerst ins Hochteutsche über-
setzt herausgegeben haben. Die vollständige alte Straß-
burger Quartausgabe von 1543 schied sich bald mit
Teutschland in einen protestantischen und einen katho-

der Spaß hervor. So treibt er ſich durch alle Claſſen
herum, ſelbſt bei den Fürſten, aber nur auf eine kurze
Weile; er will keines einzelnen Menſchen ſeyn, ſondern
er iſt allein Schalk auf ſeine eigne Fauſt, und daher
der eigentliche wahre Volksnarr, im Gegenſatz der
früher allgemein üblichen Hofnarren. Als ſolcher iſt
er daher auch auf unſere Zeit gekommen, und während
die Fürſten die Stelle längſt als überflüßig erkannt
haben, iſt das Volk keineswegs derſelben Meinung ge-
weſen, und hat ſich ſeinen plebeyiſchen Tribun in der
Schellenkappe nicht nehmen laſſen, und man würde
im höchſten Grade Unrecht thun, wenn man von
dieſer Seite irgend gewaltſam ſtörend eingreifen wollte.
Man wolle doch nicht die einzige kleine Kapelle ein-
reiſſen, die der Scherz noch in der großen Menge hat!

Der Eulenſpiegel erſchien zuerſt um 1483 im
Plattteutſchen, obgleich dieſe erſte Ausgabe ſich nicht
erhalten zu haben ſcheint. Als die älteſte bekannte
Ausgabe führt Koch die Augsburger in 4. von 1540
in der Wolfenbüttler Bibliothek auf. Der Franzis-
kaner Thomas Murner, der zur Zeit der Reformation
ſeine Rolle ſpielte, ſoll ihn zuerſt ins Hochteutſche über-
ſetzt herausgegeben haben. Die vollſtändige alte Straß-
burger Quartausgabe von 1543 ſchied ſich bald mit
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[198/0216] der Spaß hervor. So treibt er ſich durch alle Claſſen herum, ſelbſt bei den Fürſten, aber nur auf eine kurze Weile; er will keines einzelnen Menſchen ſeyn, ſondern er iſt allein Schalk auf ſeine eigne Fauſt, und daher der eigentliche wahre Volksnarr, im Gegenſatz der früher allgemein üblichen Hofnarren. Als ſolcher iſt er daher auch auf unſere Zeit gekommen, und während die Fürſten die Stelle längſt als überflüßig erkannt haben, iſt das Volk keineswegs derſelben Meinung ge- weſen, und hat ſich ſeinen plebeyiſchen Tribun in der Schellenkappe nicht nehmen laſſen, und man würde im höchſten Grade Unrecht thun, wenn man von dieſer Seite irgend gewaltſam ſtörend eingreifen wollte. Man wolle doch nicht die einzige kleine Kapelle ein- reiſſen, die der Scherz noch in der großen Menge hat! Der Eulenſpiegel erſchien zuerſt um 1483 im Plattteutſchen, obgleich dieſe erſte Ausgabe ſich nicht erhalten zu haben ſcheint. Als die älteſte bekannte Ausgabe führt Koch die Augsburger in 4. von 1540 in der Wolfenbüttler Bibliothek auf. Der Franzis- kaner Thomas Murner, der zur Zeit der Reformation ſeine Rolle ſpielte, ſoll ihn zuerſt ins Hochteutſche über- ſetzt herausgegeben haben. Die vollſtändige alte Straß- burger Quartausgabe von 1543 ſchied ſich bald mit Teutſchland in einen proteſtantiſchen und einen katho-

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Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/216>, abgerufen am 24.11.2024.