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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

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daß ihm einer zu dem Geschäfte anständig wäre. Das
Buch ist eine kecke, freie, lebendige, barocke Zote,
gleichsam eine Ascaride der Poesie, bei der die Moral
doch eben nicht alsogleich sich aufmachen darf, um sie
mit Wermuth und Knoblauch abzutreiben. Der
Goldkäfer, wenn er wohl auch im Aase und im Miste
sich betreten läßt, ist immer doch ein nettes Thier.
Auch dies Werk reicht tief in die früheren Jahrhun-
derte hinab; aus der Stelle, die Eschenburg in
seinen Denkmälern teutscher Dichtkunst aus dem Gu-
lielmus Tyrius Historia rerum in partibus trans-
marinis gestarum
und dem Freydank beigebracht,
geht hervor, daß sein Ursprung noch hinter dem zwölf-
ten Jahrhundert liegt, und daß es damals schon als
Volkstradition umgegangen sey. So sagt nämlich der
Erzbischoff von Cypern von ihm: Et hic fortasse est,
quem fabulose popularium narrationes Marcolfum
vocant, de quo dicitur, quod Salomonis solvebat
aenigmata, et ei respondebat aequipollenter ite-
rum solvenda proponens.
Wahrscheinlich ist das
Buch daher neugriechischen Ursprungs, und mit dem
Dolopathos etwa von gleichem Alter. Es ist übrigens
in den früheren Zeiten in mannigfaltig verschiednen
Ausgaben in teutscher und lateinischer Sprache erschie-
nen; die Aelteste 1487. 4. Nürnberg und 1490. 4.

daß ihm einer zu dem Geſchäfte anſtändig wäre. Das
Buch iſt eine kecke, freie, lebendige, barocke Zote,
gleichſam eine Aſcaride der Poeſie, bei der die Moral
doch eben nicht alſogleich ſich aufmachen darf, um ſie
mit Wermuth und Knoblauch abzutreiben. Der
Goldkäfer, wenn er wohl auch im Aaſe und im Miſte
ſich betreten läßt, iſt immer doch ein nettes Thier.
Auch dies Werk reicht tief in die früheren Jahrhun-
derte hinab; aus der Stelle, die Eſchenburg in
ſeinen Denkmälern teutſcher Dichtkunſt aus dem Gu-
lielmus Tyrius Historia rerum in partibus trans-
marinis gestarum
und dem Freydank beigebracht,
geht hervor, daß ſein Urſprung noch hinter dem zwölf-
ten Jahrhundert liegt, und daß es damals ſchon als
Volkstradition umgegangen ſey. So ſagt nämlich der
Erzbiſchoff von Cypern von ihm: Et hic fortasse est,
quem fabulose popularium narrationes Marcolfum
vocant, de quo dicitur, quod Salomonis solvebat
aenigmata, et ei respondebat aequipollenter ite-
rum solvenda proponens.
Wahrſcheinlich iſt das
Buch daher neugriechiſchen Urſprungs, und mit dem
Dolopathos etwa von gleichem Alter. Es iſt übrigens
in den früheren Zeiten in mannigfaltig verſchiednen
Ausgaben in teutſcher und lateiniſcher Sprache erſchie-
nen; die Aelteſte 1487. 4. Nürnberg und 1490. 4.

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[192/0210] daß ihm einer zu dem Geſchäfte anſtändig wäre. Das Buch iſt eine kecke, freie, lebendige, barocke Zote, gleichſam eine Aſcaride der Poeſie, bei der die Moral doch eben nicht alſogleich ſich aufmachen darf, um ſie mit Wermuth und Knoblauch abzutreiben. Der Goldkäfer, wenn er wohl auch im Aaſe und im Miſte ſich betreten läßt, iſt immer doch ein nettes Thier. Auch dies Werk reicht tief in die früheren Jahrhun- derte hinab; aus der Stelle, die Eſchenburg in ſeinen Denkmälern teutſcher Dichtkunſt aus dem Gu- lielmus Tyrius Historia rerum in partibus trans- marinis gestarum und dem Freydank beigebracht, geht hervor, daß ſein Urſprung noch hinter dem zwölf- ten Jahrhundert liegt, und daß es damals ſchon als Volkstradition umgegangen ſey. So ſagt nämlich der Erzbiſchoff von Cypern von ihm: Et hic fortasse est, quem fabulose popularium narrationes Marcolfum vocant, de quo dicitur, quod Salomonis solvebat aenigmata, et ei respondebat aequipollenter ite- rum solvenda proponens. Wahrſcheinlich iſt das Buch daher neugriechiſchen Urſprungs, und mit dem Dolopathos etwa von gleichem Alter. Es iſt übrigens in den früheren Zeiten in mannigfaltig verſchiednen Ausgaben in teutſcher und lateiniſcher Sprache erſchie- nen; die Aelteſte 1487. 4. Nürnberg und 1490. 4.

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Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/210>, abgerufen am 21.11.2024.