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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

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verarbeitet, worin im Ganzen der Witz nicht schlech-
terer Art als im Ersten ist. Ein später hinzugekommenes
drittes Buch ist aber ganz elend, und ohne Zweifel
nicht von dem nämlichen Verfasser.

Das Ganze ist unendlich meisterhaft und vollendet in
seiner Art, wie der Don Quixotte des Cervantes,
immer in gleich trefflicher Haltung fortschwebend,
und in dieser Haltung mit wahrer Virtuosität durch-
geführt, was gerade bei comischen Werken am häufig-
sten fehlt. Der Witz, der durch das Werk durchschillert,
ist köstliche, treffende Ironie, die unmittelbar in den
Kaiser von Utopia sich eingestaltet hat, und nun das
seltsame, wunderliche, ungeschickte Volk in seiner
ganzen Objectivität sich entwickeln läßt. Die seltsame,
aberwitzige Klugheit, in der die Schildbürger characte-
risirt erscheinen, ist durchaus reiner, höher, gediegener
als der Volkscharacter im Eulenspiegel; Jener bewegt
sich in minder engen Schranken, und zeigt daher
nicht die Monotonie wie Dieser, sondern entwickelt sich in
bunter Fülle immer sich gleich bleibend, und doch in den
mannigfaltigsten Lichtern spielend und wechselnd.
Selten strift er an die Zote, ob er gleich dem derben
Geist der Zeit entsprechend, sie auf keine Weiße scheut,
öfter erhebt er beinahe sich zum Humor. Der Schwank
mit dem Salzsäen, der ganze Imbiß des Kaisers bey

24.

verarbeitet, worin im Ganzen der Witz nicht ſchlech-
terer Art als im Erſten iſt. Ein ſpäter hinzugekommenes
drittes Buch iſt aber ganz elend, und ohne Zweifel
nicht von dem nämlichen Verfaſſer.

Das Ganze iſt unendlich meiſterhaft und vollendet in
ſeiner Art, wie der Don Quixotte des Cervantes,
immer in gleich trefflicher Haltung fortſchwebend,
und in dieſer Haltung mit wahrer Virtuoſität durch-
geführt, was gerade bei comiſchen Werken am häufig-
ſten fehlt. Der Witz, der durch das Werk durchſchillert,
iſt köſtliche, treffende Ironie, die unmittelbar in den
Kaiſer von Utopia ſich eingeſtaltet hat, und nun das
ſeltſame, wunderliche, ungeſchickte Volk in ſeiner
ganzen Objectivität ſich entwickeln läßt. Die ſeltſame,
aberwitzige Klugheit, in der die Schildbürger characte-
riſirt erſcheinen, iſt durchaus reiner, höher, gediegener
als der Volkscharacter im Eulenſpiegel; Jener bewegt
ſich in minder engen Schranken, und zeigt daher
nicht die Monotonie wie Dieſer, ſondern entwickelt ſich in
bunter Fülle immer ſich gleich bleibend, und doch in den
mannigfaltigſten Lichtern ſpielend und wechſelnd.
Selten ſtrift er an die Zote, ob er gleich dem derben
Geiſt der Zeit entſprechend, ſie auf keine Weiße ſcheut,
öfter erhebt er beinahe ſich zum Humor. Der Schwank
mit dem Salzſäen, der ganze Imbiß des Kaiſers bey

24.
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[185/0203] verarbeitet, worin im Ganzen der Witz nicht ſchlech- terer Art als im Erſten iſt. Ein ſpäter hinzugekommenes drittes Buch iſt aber ganz elend, und ohne Zweifel nicht von dem nämlichen Verfaſſer. Das Ganze iſt unendlich meiſterhaft und vollendet in ſeiner Art, wie der Don Quixotte des Cervantes, immer in gleich trefflicher Haltung fortſchwebend, und in dieſer Haltung mit wahrer Virtuoſität durch- geführt, was gerade bei comiſchen Werken am häufig- ſten fehlt. Der Witz, der durch das Werk durchſchillert, iſt köſtliche, treffende Ironie, die unmittelbar in den Kaiſer von Utopia ſich eingeſtaltet hat, und nun das ſeltſame, wunderliche, ungeſchickte Volk in ſeiner ganzen Objectivität ſich entwickeln läßt. Die ſeltſame, aberwitzige Klugheit, in der die Schildbürger characte- riſirt erſcheinen, iſt durchaus reiner, höher, gediegener als der Volkscharacter im Eulenſpiegel; Jener bewegt ſich in minder engen Schranken, und zeigt daher nicht die Monotonie wie Dieſer, ſondern entwickelt ſich in bunter Fülle immer ſich gleich bleibend, und doch in den mannigfaltigſten Lichtern ſpielend und wechſelnd. Selten ſtrift er an die Zote, ob er gleich dem derben Geiſt der Zeit entſprechend, ſie auf keine Weiße ſcheut, öfter erhebt er beinahe ſich zum Humor. Der Schwank mit dem Salzſäen, der ganze Imbiß des Kaiſers bey 24.

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Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/203>, abgerufen am 21.11.2024.