Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

zu der gegenwärtigen Form verband *). Wie auf
diese Weise der Dolopathos aus dem Orient herüberkam,
so scheint er auch bald wieder vom Occident rückwärts
gegen den Osten sich verbreitet zu haben. Die Sultanin
von Persien, die Schech Zade, Lehrer des Kaisers
Amurat II, der um 1481 starb, geschrieben hat, befolgt
nämlich ganz den Plan und die Form der sieben weisen
Meister. Der König Hafekin hat einen Prinzen Nus-
gehan, und heirathet in seinem Alter zum zweitenmale
die Prinzessin Kan Zade, die den Prinzen zu verführen
sucht, und da ihr das nicht gelingen will, ihn bey'm
Könige verklagt, der ihn zum Tode verurtheilt. Vierzig
Tage aber dauert hier das gebotene Stillschweigen des
Prinzen, vierzig Geschichten erzählt daher Kan Zade
um ihn zum Tode zu bringen, vierzig Andere die
Vezire, denen es endlich auch gelingt, ihn zu erretten.

Sonderbar in der Geschichte dieses Buches, und
recht characteristisch bezeichnend den Fortgang der Bil-
dung des Geschlechtes ist daher besonders die Erscheinung,
daß während es in seiner ersten Form und selbst noch
in seiner spätern griechischen Erscheinung das Buch der
Könige war, und die Fürsten es als Vademecum

*) So ist die vierzehnte Erzählung die Matrone von Ephesus,
die Xenophon im fünften Buche seiner Ephesiacorum
erzählt.

zu der gegenwärtigen Form verband *). Wie auf
dieſe Weiſe der Dolopathos aus dem Orient herüberkam,
ſo ſcheint er auch bald wieder vom Occident rückwärts
gegen den Oſten ſich verbreitet zu haben. Die Sultanin
von Perſien, die Schech Zade, Lehrer des Kaiſers
Amurat II, der um 1481 ſtarb, geſchrieben hat, befolgt
nämlich ganz den Plan und die Form der ſieben weiſen
Meiſter. Der König Hafekin hat einen Prinzen Nus-
gehan, und heirathet in ſeinem Alter zum zweitenmale
die Prinzeſſin Kan Zade, die den Prinzen zu verführen
ſucht, und da ihr das nicht gelingen will, ihn bey’m
Könige verklagt, der ihn zum Tode verurtheilt. Vierzig
Tage aber dauert hier das gebotene Stillſchweigen des
Prinzen, vierzig Geſchichten erzählt daher Kan Zade
um ihn zum Tode zu bringen, vierzig Andere die
Vezire, denen es endlich auch gelingt, ihn zu erretten.

Sonderbar in der Geſchichte dieſes Buches, und
recht characteriſtiſch bezeichnend den Fortgang der Bil-
dung des Geſchlechtes iſt daher beſonders die Erſcheinung,
daß während es in ſeiner erſten Form und ſelbſt noch
in ſeiner ſpätern griechiſchen Erſcheinung das Buch der
Könige war, und die Fürſten es als Vademecum

*) So iſt die vierzehnte Erzählung die Matrone von Epheſus,
die Xenophon im fünften Buche ſeiner Ephesiacorum
erzählt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0190" n="172"/>
zu der gegenwärtigen Form verband <note place="foot" n="*)">So i&#x017F;t die vierzehnte Erzählung die Matrone von Ephe&#x017F;us,<lb/>
die Xenophon im fünften Buche &#x017F;einer <hi rendition="#aq">Ephesiacorum</hi><lb/>
erzählt.</note>. Wie auf<lb/>
die&#x017F;e Wei&#x017F;e der Dolopathos aus dem Orient herüberkam,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;cheint er auch bald wieder vom Occident rückwärts<lb/>
gegen den O&#x017F;ten &#x017F;ich verbreitet zu haben. Die Sultanin<lb/>
von Per&#x017F;ien, die Schech Zade, Lehrer des Kai&#x017F;ers<lb/>
Amurat <hi rendition="#aq">II,</hi> der um 1481 &#x017F;tarb, ge&#x017F;chrieben hat, befolgt<lb/>
nämlich ganz den Plan und die Form der &#x017F;ieben wei&#x017F;en<lb/>
Mei&#x017F;ter. Der König Hafekin hat einen Prinzen Nus-<lb/>
gehan, und heirathet in &#x017F;einem Alter zum zweitenmale<lb/>
die Prinze&#x017F;&#x017F;in Kan Zade, die den Prinzen zu verführen<lb/>
&#x017F;ucht, und da ihr das nicht gelingen will, ihn bey&#x2019;m<lb/>
Könige verklagt, der ihn zum Tode verurtheilt. Vierzig<lb/>
Tage aber dauert hier das gebotene Still&#x017F;chweigen des<lb/>
Prinzen, vierzig Ge&#x017F;chichten erzählt daher Kan Zade<lb/>
um ihn zum Tode zu bringen, vierzig Andere die<lb/>
Vezire, denen es endlich auch gelingt, ihn zu erretten.</p><lb/>
          <p>Sonderbar in der Ge&#x017F;chichte die&#x017F;es Buches, und<lb/>
recht characteri&#x017F;ti&#x017F;ch bezeichnend den Fortgang der Bil-<lb/>
dung des Ge&#x017F;chlechtes i&#x017F;t daher be&#x017F;onders die Er&#x017F;cheinung,<lb/>
daß während es in &#x017F;einer er&#x017F;ten Form und &#x017F;elb&#x017F;t noch<lb/>
in &#x017F;einer &#x017F;pätern griechi&#x017F;chen Er&#x017F;cheinung das Buch der<lb/>
Könige war, und die Für&#x017F;ten es als Vademecum<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0190] zu der gegenwärtigen Form verband *). Wie auf dieſe Weiſe der Dolopathos aus dem Orient herüberkam, ſo ſcheint er auch bald wieder vom Occident rückwärts gegen den Oſten ſich verbreitet zu haben. Die Sultanin von Perſien, die Schech Zade, Lehrer des Kaiſers Amurat II, der um 1481 ſtarb, geſchrieben hat, befolgt nämlich ganz den Plan und die Form der ſieben weiſen Meiſter. Der König Hafekin hat einen Prinzen Nus- gehan, und heirathet in ſeinem Alter zum zweitenmale die Prinzeſſin Kan Zade, die den Prinzen zu verführen ſucht, und da ihr das nicht gelingen will, ihn bey’m Könige verklagt, der ihn zum Tode verurtheilt. Vierzig Tage aber dauert hier das gebotene Stillſchweigen des Prinzen, vierzig Geſchichten erzählt daher Kan Zade um ihn zum Tode zu bringen, vierzig Andere die Vezire, denen es endlich auch gelingt, ihn zu erretten. Sonderbar in der Geſchichte dieſes Buches, und recht characteriſtiſch bezeichnend den Fortgang der Bil- dung des Geſchlechtes iſt daher beſonders die Erſcheinung, daß während es in ſeiner erſten Form und ſelbſt noch in ſeiner ſpätern griechiſchen Erſcheinung das Buch der Könige war, und die Fürſten es als Vademecum *) So iſt die vierzehnte Erzählung die Matrone von Epheſus, die Xenophon im fünften Buche ſeiner Ephesiacorum erzählt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/190
Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/190>, abgerufen am 24.11.2024.