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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

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er wirt weiß *). So spielt die Geschichte fort, der
Prinz kehrt zurück, wird zum Tode ausgeführt; die
erste Novelle der Kaiserinn von dem Baume und dem

*) Zum Beweise, in wie mannigfach verschiedenen Formen
dieselbe Sache in verschiednen Zeiten und unter andern
Umständen wiederkehrt, mag die Erzählung ähnlichen
Gehaltes dienen, die M. d'Annoy in ihren Reisen nach
Spanien Th. III. p. 64 mittheilt. Es habe sich einst,
erzählt sie, ein berühmter Sterndeuter beym verstorbnen
König (Philipp IV.) auf der Terasse des Schlosses befun-
den, und der König habe gefragt, wie hoch wohl dieser
Ort sey? Der Sterndeuter habe zum Himmel hinaufge-
sehen, und eine bestimmte Höhe angegeben. Der König
habe befohlen, daß man den gepflasterten Boden der
Terasse um drei bis vier Zoll erhöhen solle, und man
habe die ganze Nacht daran gearbeitet. Am folgenden
Morgen ließ er den Sterndeuter rufen, führte ihn auf
die Terasse, und sagte zu ihm: "Ich redete gestern Abend
von dem, was ihr mir von der Höhe dieses Orts gesagt
habt, aber man behauptete, daß ihr Euch geirrt hättet".
"Ihre Majestät", sagte dieser, "ich unterstehe mich zu
behaupten, daß ich mich nicht geirrt habe". "Machet
euere Beobachtungen noch einmal", sagte der König,
"und dann wollen wir die beschämen, welche sich rühmen,
geschickter zu seyn als ihr". Er fieng alsbald an, seine
Beobachtungen zu machen. Der König sah, daß er die
Farbe veränderte, und sehr in Verlegenheit war. Endlich
wendete er sich wiederum zum Könige, und sagte: "Was
ich gestern Ihro Majestät versicherte, ist wahr gewesen;
heute aber finde ich, daß die Terasse ein wenig höher,
oder der Himmel ein wenig niedriger ist". Der König
lächelte, und sagte ihm, was er ihm für einen Streich
habe spielen lassen.

er wirt weiß *). So ſpielt die Geſchichte fort, der
Prinz kehrt zurück, wird zum Tode ausgeführt; die
erſte Novelle der Kaiſerinn von dem Baume und dem

*) Zum Beweiſe, in wie mannigfach verſchiedenen Formen
dieſelbe Sache in verſchiednen Zeiten und unter andern
Umſtänden wiederkehrt, mag die Erzählung ähnlichen
Gehaltes dienen, die M. d’Annoy in ihren Reiſen nach
Spanien Th. III. p. 64 mittheilt. Es habe ſich einſt,
erzählt ſie, ein berühmter Sterndeuter beym verſtorbnen
König (Philipp IV.) auf der Teraſſe des Schloſſes befun-
den, und der König habe gefragt, wie hoch wohl dieſer
Ort ſey? Der Sterndeuter habe zum Himmel hinaufge-
ſehen, und eine beſtimmte Höhe angegeben. Der König
habe befohlen, daß man den gepflaſterten Boden der
Teraſſe um drei bis vier Zoll erhöhen ſolle, und man
habe die ganze Nacht daran gearbeitet. Am folgenden
Morgen ließ er den Sterndeuter rufen, führte ihn auf
die Teraſſe, und ſagte zu ihm: „Ich redete geſtern Abend
von dem, was ihr mir von der Höhe dieſes Orts geſagt
habt, aber man behauptete, daß ihr Euch geirrt hättet“.
„Ihre Majeſtät“, ſagte dieſer, „ich unterſtehe mich zu
behaupten, daß ich mich nicht geirrt habe“. „Machet
euere Beobachtungen noch einmal“, ſagte der König,
„und dann wollen wir die beſchämen, welche ſich rühmen,
geſchickter zu ſeyn als ihr“. Er fieng alsbald an, ſeine
Beobachtungen zu machen. Der König ſah, daß er die
Farbe veränderte, und ſehr in Verlegenheit war. Endlich
wendete er ſich wiederum zum Könige, und ſagte: „Was
ich geſtern Ihro Majeſtät verſicherte, iſt wahr geweſen;
heute aber finde ich, daß die Teraſſe ein wenig höher,
oder der Himmel ein wenig niedriger iſt“. Der König
lächelte, und ſagte ihm, was er ihm für einen Streich
habe ſpielen laſſen.
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[159/0177] er wirt weiß *). So ſpielt die Geſchichte fort, der Prinz kehrt zurück, wird zum Tode ausgeführt; die erſte Novelle der Kaiſerinn von dem Baume und dem *) Zum Beweiſe, in wie mannigfach verſchiedenen Formen dieſelbe Sache in verſchiednen Zeiten und unter andern Umſtänden wiederkehrt, mag die Erzählung ähnlichen Gehaltes dienen, die M. d’Annoy in ihren Reiſen nach Spanien Th. III. p. 64 mittheilt. Es habe ſich einſt, erzählt ſie, ein berühmter Sterndeuter beym verſtorbnen König (Philipp IV.) auf der Teraſſe des Schloſſes befun- den, und der König habe gefragt, wie hoch wohl dieſer Ort ſey? Der Sterndeuter habe zum Himmel hinaufge- ſehen, und eine beſtimmte Höhe angegeben. Der König habe befohlen, daß man den gepflaſterten Boden der Teraſſe um drei bis vier Zoll erhöhen ſolle, und man habe die ganze Nacht daran gearbeitet. Am folgenden Morgen ließ er den Sterndeuter rufen, führte ihn auf die Teraſſe, und ſagte zu ihm: „Ich redete geſtern Abend von dem, was ihr mir von der Höhe dieſes Orts geſagt habt, aber man behauptete, daß ihr Euch geirrt hättet“. „Ihre Majeſtät“, ſagte dieſer, „ich unterſtehe mich zu behaupten, daß ich mich nicht geirrt habe“. „Machet euere Beobachtungen noch einmal“, ſagte der König, „und dann wollen wir die beſchämen, welche ſich rühmen, geſchickter zu ſeyn als ihr“. Er fieng alsbald an, ſeine Beobachtungen zu machen. Der König ſah, daß er die Farbe veränderte, und ſehr in Verlegenheit war. Endlich wendete er ſich wiederum zum Könige, und ſagte: „Was ich geſtern Ihro Majeſtät verſicherte, iſt wahr geweſen; heute aber finde ich, daß die Teraſſe ein wenig höher, oder der Himmel ein wenig niedriger iſt“. Der König lächelte, und ſagte ihm, was er ihm für einen Streich habe ſpielen laſſen.

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Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/177>, abgerufen am 24.11.2024.