Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

genommen, bald aber durch mehrseitige Ansicht be¬
richtigt, und nach Befund gemildert oder noch geschärft,
bleibt es selten auf die Dauer ungerecht, wenn auch,
nach Art der oft getäuschten zum höchsten erbitterten
Zeit oft lieblos und allzu wegwerfend gegen Einzelne.

In diesem scharfen Todtengericht der Lebenden sind
alle jene gedruckten Lügen für nichts geachtet; alle
schöne Phrasen werden der damit verkleideten Wahr¬
heit ausgezogen; die da wandeln in ihrem Dünkel,
in den weiten Mantel der menschlichen Eitelkeit ge¬
schlagen, sind gezeichnet mit den Namen, die das
Urtheil ihnen zugesprochen; Thaten und Begebenheiten,
die sich im Verborgenen glauben, sind vor aller
Welt aufgedeckt; nur die Betheiligten sind selten da¬
von unterrichtet, wenn nicht etwa das eigene Gewis¬
sen sie dunkel mahnt, und sie nun eine Gegenrede
ohne vorhergegangene Aufforderung versuchen. Diese
Vehm wird härter und schärfer in dem Maaße, wie
die Presse mehr gefesselt oder vergiftet wird, und zwar
größentheils zum Nachtheil deren, die diesen Zwang
oder die Verfälschung üben, und sich nun nicht ein¬
mal vertheidigen können. So manche Ereignisse, die
unerklärlich scheinen, lassen nur durch die Kenntniß
dieser überlieferten Volksmeinung sich deuten und be¬
greiflich machen.

Unter den verschiednen Bewegungen aber, die
die bisher berührten Begebenheiten und Ereignisse
veranlaßt hatten, theilten sich die sogenannten Libe¬
ralen, die in den Jahren der Befreyung nur im All¬
gemeinen über die nothwendige Herbeyführung eines
bessern, würdigern Zustandes in Teutschland einver¬

genommen, bald aber durch mehrſeitige Anſicht be¬
richtigt, und nach Befund gemildert oder noch geſchärft,
bleibt es ſelten auf die Dauer ungerecht, wenn auch,
nach Art der oft getäuſchten zum höchſten erbitterten
Zeit oft lieblos und allzu wegwerfend gegen Einzelne.

In dieſem ſcharfen Todtengericht der Lebenden ſind
alle jene gedruckten Lügen für nichts geachtet; alle
ſchöne Phraſen werden der damit verkleideten Wahr¬
heit ausgezogen; die da wandeln in ihrem Dünkel,
in den weiten Mantel der menſchlichen Eitelkeit ge¬
ſchlagen, ſind gezeichnet mit den Namen, die das
Urtheil ihnen zugeſprochen; Thaten und Begebenheiten,
die ſich im Verborgenen glauben, ſind vor aller
Welt aufgedeckt; nur die Betheiligten ſind ſelten da¬
von unterrichtet, wenn nicht etwa das eigene Gewiſ¬
ſen ſie dunkel mahnt, und ſie nun eine Gegenrede
ohne vorhergegangene Aufforderung verſuchen. Dieſe
Vehm wird härter und ſchärfer in dem Maaße, wie
die Preſſe mehr gefeſſelt oder vergiftet wird, und zwar
größentheils zum Nachtheil deren, die dieſen Zwang
oder die Verfälſchung üben, und ſich nun nicht ein¬
mal vertheidigen können. So manche Ereigniſſe, die
unerklärlich ſcheinen, laſſen nur durch die Kenntniß
dieſer überlieferten Volksmeinung ſich deuten und be¬
greiflich machen.

Unter den verſchiednen Bewegungen aber, die
die bisher berührten Begebenheiten und Ereigniſſe
veranlaßt hatten, theilten ſich die ſogenannten Libe¬
ralen, die in den Jahren der Befreyung nur im All¬
gemeinen über die nothwendige Herbeyführung eines
beſſern, würdigern Zuſtandes in Teutſchland einver¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0093" n="85"/>
genommen, bald aber durch mehr&#x017F;eitige An&#x017F;icht be¬<lb/>
richtigt, und nach Befund gemildert oder noch ge&#x017F;chärft,<lb/>
bleibt es &#x017F;elten auf die Dauer ungerecht, wenn auch,<lb/>
nach Art der oft getäu&#x017F;chten zum höch&#x017F;ten erbitterten<lb/>
Zeit oft lieblos und allzu wegwerfend gegen Einzelne.</p><lb/>
      <p>In die&#x017F;em &#x017F;charfen Todtengericht der Lebenden &#x017F;ind<lb/>
alle jene gedruckten Lügen für nichts geachtet; alle<lb/>
&#x017F;chöne Phra&#x017F;en werden der damit verkleideten Wahr¬<lb/>
heit ausgezogen; die da wandeln in ihrem Dünkel,<lb/>
in den weiten Mantel der men&#x017F;chlichen Eitelkeit ge¬<lb/>
&#x017F;chlagen, &#x017F;ind gezeichnet mit den Namen, die das<lb/>
Urtheil ihnen zuge&#x017F;prochen; Thaten und Begebenheiten,<lb/>
die &#x017F;ich im Verborgenen glauben, &#x017F;ind vor aller<lb/>
Welt aufgedeckt; nur die Betheiligten &#x017F;ind &#x017F;elten da¬<lb/>
von unterrichtet, wenn nicht etwa das eigene Gewi&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ie dunkel mahnt, und &#x017F;ie nun eine Gegenrede<lb/>
ohne vorhergegangene Aufforderung ver&#x017F;uchen. Die&#x017F;e<lb/>
Vehm wird härter und &#x017F;chärfer in dem Maaße, wie<lb/>
die Pre&#x017F;&#x017F;e mehr gefe&#x017F;&#x017F;elt oder vergiftet wird, und zwar<lb/>
größentheils zum Nachtheil deren, die die&#x017F;en Zwang<lb/>
oder die Verfäl&#x017F;chung üben, und &#x017F;ich nun nicht ein¬<lb/>
mal vertheidigen können. So manche Ereigni&#x017F;&#x017F;e, die<lb/>
unerklärlich &#x017F;cheinen, la&#x017F;&#x017F;en nur durch die Kenntniß<lb/>
die&#x017F;er überlieferten Volksmeinung &#x017F;ich deuten und be¬<lb/>
greiflich machen.</p><lb/>
      <p>Unter den ver&#x017F;chiednen Bewegungen aber, die<lb/>
die bisher berührten Begebenheiten und Ereigni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
veranlaßt hatten, theilten &#x017F;ich die &#x017F;ogenannten Libe¬<lb/>
ralen, die in den Jahren der Befreyung nur im All¬<lb/>
gemeinen über die nothwendige Herbeyführung eines<lb/>
be&#x017F;&#x017F;ern, würdigern Zu&#x017F;tandes in Teut&#x017F;chland einver¬<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0093] genommen, bald aber durch mehrſeitige Anſicht be¬ richtigt, und nach Befund gemildert oder noch geſchärft, bleibt es ſelten auf die Dauer ungerecht, wenn auch, nach Art der oft getäuſchten zum höchſten erbitterten Zeit oft lieblos und allzu wegwerfend gegen Einzelne. In dieſem ſcharfen Todtengericht der Lebenden ſind alle jene gedruckten Lügen für nichts geachtet; alle ſchöne Phraſen werden der damit verkleideten Wahr¬ heit ausgezogen; die da wandeln in ihrem Dünkel, in den weiten Mantel der menſchlichen Eitelkeit ge¬ ſchlagen, ſind gezeichnet mit den Namen, die das Urtheil ihnen zugeſprochen; Thaten und Begebenheiten, die ſich im Verborgenen glauben, ſind vor aller Welt aufgedeckt; nur die Betheiligten ſind ſelten da¬ von unterrichtet, wenn nicht etwa das eigene Gewiſ¬ ſen ſie dunkel mahnt, und ſie nun eine Gegenrede ohne vorhergegangene Aufforderung verſuchen. Dieſe Vehm wird härter und ſchärfer in dem Maaße, wie die Preſſe mehr gefeſſelt oder vergiftet wird, und zwar größentheils zum Nachtheil deren, die dieſen Zwang oder die Verfälſchung üben, und ſich nun nicht ein¬ mal vertheidigen können. So manche Ereigniſſe, die unerklärlich ſcheinen, laſſen nur durch die Kenntniß dieſer überlieferten Volksmeinung ſich deuten und be¬ greiflich machen. Unter den verſchiednen Bewegungen aber, die die bisher berührten Begebenheiten und Ereigniſſe veranlaßt hatten, theilten ſich die ſogenannten Libe¬ ralen, die in den Jahren der Befreyung nur im All¬ gemeinen über die nothwendige Herbeyführung eines beſſern, würdigern Zuſtandes in Teutſchland einver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/93
Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/93>, abgerufen am 23.11.2024.