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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

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sten, Verdreher der Wahrheit, Tartüffe in der Po¬
litik, freche Sophisten, die den Gedanken bey Hof
zu Lehne geben, wie sie auch der Kirche angemuthet,
sind diese Schalksknechte hin und wieder über Teutsch¬
land her verbreitet: sie kennen sich und loben sich,
und helfen sich einander, und falsche Freunde der
Sache, sind sie gefährlicher als ihre offnen Feinde,
weil sie das Volk verwirren und blenden durch den
Schiller, in dem sie unaufhörlich wechseln.

Die Meinung, gleich sehr entrüstet über das Ver¬
fälschen der einfachen Wahrheit, das Diese sich erlau¬
ben, wie über die Unterdrückung die Andre versuchen,
hat sich daher vom geschriebnen Worte mehr gegen die
lebendige Rede, und die Tradition hin gewendet. Bey
der regen Bewegung, die die Gesellschaft jetzt ergrif¬
fen hat; bey dem lebhaften Umtausch der Gedanken,
und bey dem starken Verkehr, der leicht das Ent¬
fernteste miteinander in Beziehung bringt, ist das öf¬
fentliche Leben wie durchsichtig geworden bis zur
Mitte hin; und die Geister berühren sich in diesem
Medium so nahe, daß sie gleichsam eine leitende Kette
ziehen, durch die die Idee dem Blitze gleich in allen
Richtungen leicht von einem Ende zum Andern schlägt.
Darum bleibt der Tradition nichts verborgen, was
irgendwo geschieht; da Alle die Schmach fühlen, die
auf dem Ganzen ruht, und jeder sie dem Andern
zuwälzen möchte, so ist es immer der Eine, der die
Ehre des Andern laut verkündigt, um sich dann wie¬
der des gleichen Liebesdienstes bald zu erfreuen. So
wird das Urtheil über Dinge und Personen durch
Thatsachen begründet; anfangs wohl leichtsinnig auf¬

ſten, Verdreher der Wahrheit, Tartüffe in der Po¬
litik, freche Sophiſten, die den Gedanken bey Hof
zu Lehne geben, wie ſie auch der Kirche angemuthet,
ſind dieſe Schalksknechte hin und wieder über Teutſch¬
land her verbreitet: ſie kennen ſich und loben ſich,
und helfen ſich einander, und falſche Freunde der
Sache, ſind ſie gefährlicher als ihre offnen Feinde,
weil ſie das Volk verwirren und blenden durch den
Schiller, in dem ſie unaufhörlich wechſeln.

Die Meinung, gleich ſehr entrüſtet über das Ver¬
fälſchen der einfachen Wahrheit, das Dieſe ſich erlau¬
ben, wie über die Unterdrückung die Andre verſuchen,
hat ſich daher vom geſchriebnen Worte mehr gegen die
lebendige Rede, und die Tradition hin gewendet. Bey
der regen Bewegung, die die Geſellſchaft jetzt ergrif¬
fen hat; bey dem lebhaften Umtauſch der Gedanken,
und bey dem ſtarken Verkehr, der leicht das Ent¬
fernteſte miteinander in Beziehung bringt, iſt das öf¬
fentliche Leben wie durchſichtig geworden bis zur
Mitte hin; und die Geiſter berühren ſich in dieſem
Medium ſo nahe, daß ſie gleichſam eine leitende Kette
ziehen, durch die die Idee dem Blitze gleich in allen
Richtungen leicht von einem Ende zum Andern ſchlägt.
Darum bleibt der Tradition nichts verborgen, was
irgendwo geſchieht; da Alle die Schmach fühlen, die
auf dem Ganzen ruht, und jeder ſie dem Andern
zuwälzen möchte, ſo iſt es immer der Eine, der die
Ehre des Andern laut verkündigt, um ſich dann wie¬
der des gleichen Liebesdienſtes bald zu erfreuen. So
wird das Urtheil über Dinge und Perſonen durch
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[84/0092] ſten, Verdreher der Wahrheit, Tartüffe in der Po¬ litik, freche Sophiſten, die den Gedanken bey Hof zu Lehne geben, wie ſie auch der Kirche angemuthet, ſind dieſe Schalksknechte hin und wieder über Teutſch¬ land her verbreitet: ſie kennen ſich und loben ſich, und helfen ſich einander, und falſche Freunde der Sache, ſind ſie gefährlicher als ihre offnen Feinde, weil ſie das Volk verwirren und blenden durch den Schiller, in dem ſie unaufhörlich wechſeln. Die Meinung, gleich ſehr entrüſtet über das Ver¬ fälſchen der einfachen Wahrheit, das Dieſe ſich erlau¬ ben, wie über die Unterdrückung die Andre verſuchen, hat ſich daher vom geſchriebnen Worte mehr gegen die lebendige Rede, und die Tradition hin gewendet. Bey der regen Bewegung, die die Geſellſchaft jetzt ergrif¬ fen hat; bey dem lebhaften Umtauſch der Gedanken, und bey dem ſtarken Verkehr, der leicht das Ent¬ fernteſte miteinander in Beziehung bringt, iſt das öf¬ fentliche Leben wie durchſichtig geworden bis zur Mitte hin; und die Geiſter berühren ſich in dieſem Medium ſo nahe, daß ſie gleichſam eine leitende Kette ziehen, durch die die Idee dem Blitze gleich in allen Richtungen leicht von einem Ende zum Andern ſchlägt. Darum bleibt der Tradition nichts verborgen, was irgendwo geſchieht; da Alle die Schmach fühlen, die auf dem Ganzen ruht, und jeder ſie dem Andern zuwälzen möchte, ſo iſt es immer der Eine, der die Ehre des Andern laut verkündigt, um ſich dann wie¬ der des gleichen Liebesdienſtes bald zu erfreuen. So wird das Urtheil über Dinge und Perſonen durch Thatſachen begründet; anfangs wohl leichtſinnig auf¬

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Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/92>, abgerufen am 23.11.2024.