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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

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wirthschaftlichen Ansichten verwies, und mit dem bal¬
digen Eintreffen noch anderer Steuern ihn vertröstete;
da bewunderte man allerdings die strenge Consequenz
eines Systemes, das ad absurdum getrieben, sich doch
in keine Weise verwirren läßt: aber man fühlte, daß
es die höchste Zeit sey, daß eine Verfassung dieser
gleichmüthigen Stoa Gränzen setze.

Außer diesen politischen Verhältnissen wirkten
noch Andere einer höheren Art nachtheilig auf die
Stimmung, wie im ganzen übrigen katholischen Teutsch¬
land im Allgemeinen, so auch am Rheine, am mei¬
sten in Westphalen. Es war dies der Zustand der
Kirche, und die schmähliche Unterjochung, mit der
man sie bedrohte. Seit der Säkularfeyer der Refor¬
mation hatte sichtlich, ein zwar längst schon vorhand¬
ner Uebermuth, im protestantischen Teutschland sich zu
einem beynahe unerträglichen Grad gesteigert, und es
konnte nicht fehlen, daß dieser wie immer und überall
eine gleich starke Rückwirkung hervorrufen mußte.
Nicht zwar hat der rechte, fromme und bescheidne
Protestantismus, der in Demuth vor den Pforten
jenes verschlossenen Reiches steht, das die nicht wi߬
baren Dinge in sich beschließt, und der wenn er auch
selbst nur an das geschriebene Wort sich hält, doch
darum dem Durchschnittsglauben aller Zeiten und
Jahrhunderte, an den sich überdem der Catholizism
bindet, nicht höhnisch als etwas in sich Unsinniges
und Verwerfliches niedertritt; nicht dieser hat an sol¬
chem Beginnen Theil genommen, er zeigt sich viel¬
mehr gerade in dem Verhältniß, wie er reiner, lau¬
terer Ueberzeugung Raum gegeben, und in Freyheit

wirthſchaftlichen Anſichten verwies, und mit dem bal¬
digen Eintreffen noch anderer Steuern ihn vertröſtete;
da bewunderte man allerdings die ſtrenge Conſequenz
eines Syſtemes, das ad absurdum getrieben, ſich doch
in keine Weiſe verwirren läßt: aber man fühlte, daß
es die höchſte Zeit ſey, daß eine Verfaſſung dieſer
gleichmüthigen Stoa Gränzen ſetze.

Außer dieſen politiſchen Verhältniſſen wirkten
noch Andere einer höheren Art nachtheilig auf die
Stimmung, wie im ganzen übrigen katholiſchen Teutſch¬
land im Allgemeinen, ſo auch am Rheine, am mei¬
ſten in Weſtphalen. Es war dies der Zuſtand der
Kirche, und die ſchmähliche Unterjochung, mit der
man ſie bedrohte. Seit der Säkularfeyer der Refor¬
mation hatte ſichtlich, ein zwar längſt ſchon vorhand¬
ner Uebermuth, im proteſtantiſchen Teutſchland ſich zu
einem beynahe unerträglichen Grad geſteigert, und es
konnte nicht fehlen, daß dieſer wie immer und überall
eine gleich ſtarke Rückwirkung hervorrufen mußte.
Nicht zwar hat der rechte, fromme und beſcheidne
Proteſtantismus, der in Demuth vor den Pforten
jenes verſchloſſenen Reiches ſteht, das die nicht wi߬
baren Dinge in ſich beſchließt, und der wenn er auch
ſelbſt nur an das geſchriebene Wort ſich hält, doch
darum dem Durchſchnittsglauben aller Zeiten und
Jahrhunderte, an den ſich überdem der Catholizism
bindet, nicht höhniſch als etwas in ſich Unſinniges
und Verwerfliches niedertritt; nicht dieſer hat an ſol¬
chem Beginnen Theil genommen, er zeigt ſich viel¬
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[73/0081] wirthſchaftlichen Anſichten verwies, und mit dem bal¬ digen Eintreffen noch anderer Steuern ihn vertröſtete; da bewunderte man allerdings die ſtrenge Conſequenz eines Syſtemes, das ad absurdum getrieben, ſich doch in keine Weiſe verwirren läßt: aber man fühlte, daß es die höchſte Zeit ſey, daß eine Verfaſſung dieſer gleichmüthigen Stoa Gränzen ſetze. Außer dieſen politiſchen Verhältniſſen wirkten noch Andere einer höheren Art nachtheilig auf die Stimmung, wie im ganzen übrigen katholiſchen Teutſch¬ land im Allgemeinen, ſo auch am Rheine, am mei¬ ſten in Weſtphalen. Es war dies der Zuſtand der Kirche, und die ſchmähliche Unterjochung, mit der man ſie bedrohte. Seit der Säkularfeyer der Refor¬ mation hatte ſichtlich, ein zwar längſt ſchon vorhand¬ ner Uebermuth, im proteſtantiſchen Teutſchland ſich zu einem beynahe unerträglichen Grad geſteigert, und es konnte nicht fehlen, daß dieſer wie immer und überall eine gleich ſtarke Rückwirkung hervorrufen mußte. Nicht zwar hat der rechte, fromme und beſcheidne Proteſtantismus, der in Demuth vor den Pforten jenes verſchloſſenen Reiches ſteht, das die nicht wi߬ baren Dinge in ſich beſchließt, und der wenn er auch ſelbſt nur an das geſchriebene Wort ſich hält, doch darum dem Durchſchnittsglauben aller Zeiten und Jahrhunderte, an den ſich überdem der Catholizism bindet, nicht höhniſch als etwas in ſich Unſinniges und Verwerfliches niedertritt; nicht dieſer hat an ſol¬ chem Beginnen Theil genommen, er zeigt ſich viel¬ mehr gerade in dem Verhältniß, wie er reiner, lau¬ terer Ueberzeugung Raum gegeben, und in Freyheit

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Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/81>, abgerufen am 28.11.2024.