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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

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Hast sich abmüdet, sondern gemessen und ihrer selbst
gewiß mit dem geringsten Kraftaufwand ihre Zwecke
zu erreichen weiß. Sie erkannte, daß Teutschland
nicht damit gedient seyn könne, jenes träge, lahme
und taube Wesen zurückzuführen, wie es vor den Be¬
wegungen der letzten Zeit bestanden, wo das öffentliche
Leben ohne Berg und Thal flach und öde wie eine
Haide hingezogen, auf der die verschiednen bürger¬
lichen Gesellschaften ihre Pfergen aufgeschlagen.

Nicht darum sind so furchtbare Stürme über Euro¬
pa hergezogen, daß schon, während sie noch nachdon¬
nernd am fernen Gesichtskreis stehen, jenes Reich der
Mittelmäßigkeit, das sie zersprengt, sich wieder zu¬
sammenfinde, in dem jede Kraft ein Mißklang ist,
jedes Talent eine gefährliche Gewalt, jede Idee als
eine Plage gilt, und jede Erhebung und Begeisterung,
als eine gefährliche Narrheit behandelt wird. Jene
Verknöcherung, die alle edeln Lebenstheile in Erstar¬
rung hielt, soll uns nicht noch einmal als Gesundheit
gelten; noch jene Gemeinheit, in der Staat, Stände
und Ordnungen ihrer eignen Idee bis auf die letzte
Erinnerung vergessen hatten, als Bildung zur Huma¬
nität und cosmopolitische Gesinnung.

Nicht kann ferner diese Philisterey uns frommen,
die ohne Weltansicht im Erkennen alles Höhere mi߬
versteht; im Handeln aber ohne Würde dem Engsten,
Kleinlichsten sich ergiebt, und nirgendwo das Ver¬
hältniß von Ursache und Wirkung durchschauend, durch
das gewöhnlichste sich verwirren, und zu übereilten
Handlungen hinreißen läßt. Nicht mag fördern das
Werk der Zeit jene steife, ungelenke Pedanterie, die

Haſt ſich abmüdet, ſondern gemeſſen und ihrer ſelbſt
gewiß mit dem geringſten Kraftaufwand ihre Zwecke
zu erreichen weiß. Sie erkannte, daß Teutſchland
nicht damit gedient ſeyn könne, jenes träge, lahme
und taube Weſen zurückzuführen, wie es vor den Be¬
wegungen der letzten Zeit beſtanden, wo das öffentliche
Leben ohne Berg und Thal flach und öde wie eine
Haide hingezogen, auf der die verſchiednen bürger¬
lichen Geſellſchaften ihre Pfergen aufgeſchlagen.

Nicht darum ſind ſo furchtbare Stürme über Euro¬
pa hergezogen, daß ſchon, während ſie noch nachdon¬
nernd am fernen Geſichtskreis ſtehen, jenes Reich der
Mittelmäßigkeit, das ſie zerſprengt, ſich wieder zu¬
ſammenfinde, in dem jede Kraft ein Mißklang iſt,
jedes Talent eine gefährliche Gewalt, jede Idee als
eine Plage gilt, und jede Erhebung und Begeiſterung,
als eine gefährliche Narrheit behandelt wird. Jene
Verknöcherung, die alle edeln Lebenstheile in Erſtar¬
rung hielt, ſoll uns nicht noch einmal als Geſundheit
gelten; noch jene Gemeinheit, in der Staat, Stände
und Ordnungen ihrer eignen Idee bis auf die letzte
Erinnerung vergeſſen hatten, als Bildung zur Huma¬
nität und cosmopolitiſche Geſinnung.

Nicht kann ferner dieſe Philiſterey uns frommen,
die ohne Weltanſicht im Erkennen alles Höhere mi߬
verſteht; im Handeln aber ohne Würde dem Engſten,
Kleinlichſten ſich ergiebt, und nirgendwo das Ver¬
hältniß von Urſache und Wirkung durchſchauend, durch
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[44/0052] Haſt ſich abmüdet, ſondern gemeſſen und ihrer ſelbſt gewiß mit dem geringſten Kraftaufwand ihre Zwecke zu erreichen weiß. Sie erkannte, daß Teutſchland nicht damit gedient ſeyn könne, jenes träge, lahme und taube Weſen zurückzuführen, wie es vor den Be¬ wegungen der letzten Zeit beſtanden, wo das öffentliche Leben ohne Berg und Thal flach und öde wie eine Haide hingezogen, auf der die verſchiednen bürger¬ lichen Geſellſchaften ihre Pfergen aufgeſchlagen. Nicht darum ſind ſo furchtbare Stürme über Euro¬ pa hergezogen, daß ſchon, während ſie noch nachdon¬ nernd am fernen Geſichtskreis ſtehen, jenes Reich der Mittelmäßigkeit, das ſie zerſprengt, ſich wieder zu¬ ſammenfinde, in dem jede Kraft ein Mißklang iſt, jedes Talent eine gefährliche Gewalt, jede Idee als eine Plage gilt, und jede Erhebung und Begeiſterung, als eine gefährliche Narrheit behandelt wird. Jene Verknöcherung, die alle edeln Lebenstheile in Erſtar¬ rung hielt, ſoll uns nicht noch einmal als Geſundheit gelten; noch jene Gemeinheit, in der Staat, Stände und Ordnungen ihrer eignen Idee bis auf die letzte Erinnerung vergeſſen hatten, als Bildung zur Huma¬ nität und cosmopolitiſche Geſinnung. Nicht kann ferner dieſe Philiſterey uns frommen, die ohne Weltanſicht im Erkennen alles Höhere mi߬ verſteht; im Handeln aber ohne Würde dem Engſten, Kleinlichſten ſich ergiebt, und nirgendwo das Ver¬ hältniß von Urſache und Wirkung durchſchauend, durch das gewöhnlichſte ſich verwirren, und zu übereilten Handlungen hinreißen läßt. Nicht mag fördern das Werk der Zeit jene ſteife, ungelenke Pedanterie, die

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Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/52>, abgerufen am 22.11.2024.