Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

und wenn es auf dem Congresse Maxime gewesen,
selbst einer Constituirung des Ganzen nicht das min¬
deste Opfer zu bringen, aber auch dem Andern, sofern
er es versage, kein Solches anzusinnen; so mußten
die Höfe, die in dem Bunde waren, keinen Grund
ausfinden, fortan in ihm eine andere Richtschnur
ihres Verhaltens anzunehmen, und nun konnte es
nicht anders ergehen, als daß der Bund, nach
einem treffenden Ausdruck, in so viele Factionen
zerfiel, als Glieder ihn zusammensetzten, die nur in
einem Dinge, ihrer statutenmäßigen Uneinigkeit einig
waren. Trotz der wohlgesetzten Inauguraldissertation
bey Eröffnung des Bundestages; trotz so vieler pa߬
lichen Citationen aus Schiller und Montesquieu, die
von Zeit zu Zeit vom Sessionstisch her erschallten;
trotz sichtbarlich vorgehender angestrengter innerlichen
Bewegungen, die aber wie falsche Wehen nie ein Re¬
sultat zur Geburt drängten, konnte die Meinung nur
schwache Hoffnung auf ein Werk so schwacher hinfäl¬
liger Complexion begründen; und sie sah von Tage
zu Tage mehr verzagend, wie das Formlose mit stets
vergeblicher Bemühung nach Form und Gestaltung
rang.

Endlich führte die Zeit den entscheidenden Kreuz¬
versuch herbey, damals als eine Vereinigung von Um¬
ständen, die kaum alle Menschenalter einmal wieder¬
kehren, jenen Mangel der ersten Lebensbedürfnisse be¬
wirkt, und nun die Regierungen der verschiedenen
Stämme desselben Volkes, in entschlossener Selbstliebe,
kühn die Nächstenliebe durch ihre Sperren ausgeschlos¬
sen, daß, indem die Klugheit der Menschen sich zu der

und wenn es auf dem Congreſſe Maxime geweſen,
ſelbſt einer Conſtituirung des Ganzen nicht das min¬
deſte Opfer zu bringen, aber auch dem Andern, ſofern
er es verſage, kein Solches anzuſinnen; ſo mußten
die Höfe, die in dem Bunde waren, keinen Grund
ausfinden, fortan in ihm eine andere Richtſchnur
ihres Verhaltens anzunehmen, und nun konnte es
nicht anders ergehen, als daß der Bund, nach
einem treffenden Ausdruck, in ſo viele Factionen
zerfiel, als Glieder ihn zuſammenſetzten, die nur in
einem Dinge, ihrer ſtatutenmäßigen Uneinigkeit einig
waren. Trotz der wohlgeſetzten Inauguraldiſſertation
bey Eröffnung des Bundestages; trotz ſo vieler pa߬
lichen Citationen aus Schiller und Montesquieu, die
von Zeit zu Zeit vom Seſſionstiſch her erſchallten;
trotz ſichtbarlich vorgehender angeſtrengter innerlichen
Bewegungen, die aber wie falſche Wehen nie ein Re¬
ſultat zur Geburt drängten, konnte die Meinung nur
ſchwache Hoffnung auf ein Werk ſo ſchwacher hinfäl¬
liger Complexion begründen; und ſie ſah von Tage
zu Tage mehr verzagend, wie das Formloſe mit ſtets
vergeblicher Bemühung nach Form und Geſtaltung
rang.

Endlich führte die Zeit den entſcheidenden Kreuz¬
verſuch herbey, damals als eine Vereinigung von Um¬
ſtänden, die kaum alle Menſchenalter einmal wieder¬
kehren, jenen Mangel der erſten Lebensbedürfniſſe be¬
wirkt, und nun die Regierungen der verſchiedenen
Stämme deſſelben Volkes, in entſchloſſener Selbſtliebe,
kühn die Nächſtenliebe durch ihre Sperren ausgeſchloſ¬
ſen, daß, indem die Klugheit der Menſchen ſich zu der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0028" n="20"/>
und wenn es auf dem Congre&#x017F;&#x017F;e Maxime gewe&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t einer Con&#x017F;tituirung des Ganzen nicht das min¬<lb/>
de&#x017F;te Opfer zu bringen, aber auch dem Andern, &#x017F;ofern<lb/>
er es ver&#x017F;age, kein Solches anzu&#x017F;innen; &#x017F;o mußten<lb/>
die Höfe, die in dem Bunde waren, keinen Grund<lb/>
ausfinden, fortan in ihm eine andere Richt&#x017F;chnur<lb/>
ihres Verhaltens anzunehmen, und nun konnte es<lb/>
nicht anders ergehen, als daß der Bund, nach<lb/>
einem treffenden Ausdruck, in &#x017F;o viele Factionen<lb/>
zerfiel, als Glieder ihn zu&#x017F;ammen&#x017F;etzten, die nur in<lb/>
einem Dinge, ihrer &#x017F;tatutenmäßigen Uneinigkeit einig<lb/>
waren. Trotz der wohlge&#x017F;etzten Inauguraldi&#x017F;&#x017F;ertation<lb/>
bey Eröffnung des Bundestages; trotz &#x017F;o vieler pa߬<lb/>
lichen Citationen aus Schiller und Montesquieu, die<lb/>
von Zeit zu Zeit vom Se&#x017F;&#x017F;ionsti&#x017F;ch her er&#x017F;challten;<lb/>
trotz &#x017F;ichtbarlich vorgehender ange&#x017F;trengter innerlichen<lb/>
Bewegungen, die aber wie fal&#x017F;che Wehen nie ein Re¬<lb/>
&#x017F;ultat zur Geburt drängten, konnte die Meinung nur<lb/>
&#x017F;chwache Hoffnung auf ein Werk &#x017F;o &#x017F;chwacher hinfäl¬<lb/>
liger Complexion begründen; und &#x017F;ie &#x017F;ah von Tage<lb/>
zu Tage mehr verzagend, wie das Formlo&#x017F;e mit &#x017F;tets<lb/>
vergeblicher Bemühung nach Form und Ge&#x017F;taltung<lb/>
rang.</p><lb/>
      <p>Endlich führte die Zeit den ent&#x017F;cheidenden Kreuz¬<lb/>
ver&#x017F;uch herbey, damals als eine Vereinigung von Um¬<lb/>
&#x017F;tänden, die kaum alle Men&#x017F;chenalter einmal wieder¬<lb/>
kehren, jenen Mangel der er&#x017F;ten Lebensbedürfni&#x017F;&#x017F;e be¬<lb/>
wirkt, und nun die Regierungen der ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Stämme de&#x017F;&#x017F;elben Volkes, in ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ener Selb&#x017F;tliebe,<lb/>
kühn die Näch&#x017F;tenliebe durch ihre Sperren ausge&#x017F;chlo&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en, daß, indem die Klugheit der Men&#x017F;chen &#x017F;ich zu der<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0028] und wenn es auf dem Congreſſe Maxime geweſen, ſelbſt einer Conſtituirung des Ganzen nicht das min¬ deſte Opfer zu bringen, aber auch dem Andern, ſofern er es verſage, kein Solches anzuſinnen; ſo mußten die Höfe, die in dem Bunde waren, keinen Grund ausfinden, fortan in ihm eine andere Richtſchnur ihres Verhaltens anzunehmen, und nun konnte es nicht anders ergehen, als daß der Bund, nach einem treffenden Ausdruck, in ſo viele Factionen zerfiel, als Glieder ihn zuſammenſetzten, die nur in einem Dinge, ihrer ſtatutenmäßigen Uneinigkeit einig waren. Trotz der wohlgeſetzten Inauguraldiſſertation bey Eröffnung des Bundestages; trotz ſo vieler pa߬ lichen Citationen aus Schiller und Montesquieu, die von Zeit zu Zeit vom Seſſionstiſch her erſchallten; trotz ſichtbarlich vorgehender angeſtrengter innerlichen Bewegungen, die aber wie falſche Wehen nie ein Re¬ ſultat zur Geburt drängten, konnte die Meinung nur ſchwache Hoffnung auf ein Werk ſo ſchwacher hinfäl¬ liger Complexion begründen; und ſie ſah von Tage zu Tage mehr verzagend, wie das Formloſe mit ſtets vergeblicher Bemühung nach Form und Geſtaltung rang. Endlich führte die Zeit den entſcheidenden Kreuz¬ verſuch herbey, damals als eine Vereinigung von Um¬ ſtänden, die kaum alle Menſchenalter einmal wieder¬ kehren, jenen Mangel der erſten Lebensbedürfniſſe be¬ wirkt, und nun die Regierungen der verſchiedenen Stämme deſſelben Volkes, in entſchloſſener Selbſtliebe, kühn die Nächſtenliebe durch ihre Sperren ausgeſchloſ¬ ſen, daß, indem die Klugheit der Menſchen ſich zu der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/28
Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/28>, abgerufen am 23.11.2024.