Nothwehr bey Feindes Ueberzug. Ihr wollt nicht Recht nehmen vor Gerichten, die in leeren Formen und Grübeleyen sich verlieren; ihr wollt es weisen fortan durch Schöpfen und Geschworne. Ihr wollt, daß das Verdienst ausgleiche jeden Ranges Unterschied, und daß der Verkehr, die Rede und der Gedanke frey sey wie der Athem. Ihr wollet endlich blind in keinem Dinge dem Ge¬ heiße der Willkühr dienen; sondern allein in freyer Unterwerfung Euch Gesetzen fügen, zu denen Ihr selbst zuvor die Einwilligung gegeben. Das sind Eure Rechte, und sie können Euch nicht bestritten werden; ihre Einräumung ist keine Vergünstigung, die man nach Belieben aussetzen und verzögern könnte, am wenigsten in einer Zeit, die unaufhörlich mit neuen verderblichen Organisationen und Anmaßungen, wie mit Ungeheuern, schwanger geht.
Aber so gutes Recht sollt Ihr durch kein Unrecht Euch verderben, Ihr würdet die Gegner allein damit erfreuen. Ist der Himmel doch jenes schlangenfüßigen Titanen Meister worden, der die Revolution verschlun¬ gen, und in ihrer furchtbaren Kraft gewirkt, was sollte ihm sonst noch widerstehen in dieser Zeit? Alles Unrecht will wider den Strom der Geschichte an; laßt die Thoren sich abmüden, wenn sie glauben, sie seyen hoch hinauf, landen sie athemlos tiefer, als von wan¬ nen sie ausgeschwommen. Allein auf dem Rechte ruht die Autorität, will sie von ihm sich loszusagen versu¬ chen, dann wird ihre gänzliche Unmacht ihr bald den Irrthum begreiflich machen, den sie begangen hat. Alle Heere, die auf Erden sind, mögen nicht eine ein¬ zige mathematische Wahrheit zu nichte machen, noch weniger werden sie ein ethisches Weltgesetz erschüttern. Jedes Unrecht ist von Gott verlassen, der allein der gerechten Sache hilft; mag auch die Gewalt auf sei¬ ner Seite stehen, es verwickelt sich nur allzu bald in seine eignen Widersprüche, wird in seinen Sophismen verfangen und in seinen Inconsequenzen verstrickt, daß ihm zuletzt kein Entrinnen mehr möglich ist.
Aber freilich nicht das todte Recht, das auf dem Papiere steht, kann sich geltend machen; nur allein
Nothwehr bey Feindes Ueberzug. Ihr wollt nicht Recht nehmen vor Gerichten, die in leeren Formen und Grübeleyen ſich verlieren; ihr wollt es weiſen fortan durch Schöpfen und Geſchworne. Ihr wollt, daß das Verdienſt ausgleiche jeden Ranges Unterſchied, und daß der Verkehr, die Rede und der Gedanke frey ſey wie der Athem. Ihr wollet endlich blind in keinem Dinge dem Ge¬ heiße der Willkühr dienen; ſondern allein in freyer Unterwerfung Euch Geſetzen fügen, zu denen Ihr ſelbſt zuvor die Einwilligung gegeben. Das ſind Eure Rechte, und ſie können Euch nicht beſtritten werden; ihre Einräumung iſt keine Vergünſtigung, die man nach Belieben ausſetzen und verzögern könnte, am wenigſten in einer Zeit, die unaufhörlich mit neuen verderblichen Organiſationen und Anmaßungen, wie mit Ungeheuern, ſchwanger geht.
Aber ſo gutes Recht ſollt Ihr durch kein Unrecht Euch verderben, Ihr würdet die Gegner allein damit erfreuen. Iſt der Himmel doch jenes ſchlangenfüßigen Titanen Meiſter worden, der die Revolution verſchlun¬ gen, und in ihrer furchtbaren Kraft gewirkt, was ſollte ihm ſonſt noch widerſtehen in dieſer Zeit? Alles Unrecht will wider den Strom der Geſchichte an; laßt die Thoren ſich abmüden, wenn ſie glauben, ſie ſeyen hoch hinauf, landen ſie athemlos tiefer, als von wan¬ nen ſie ausgeſchwommen. Allein auf dem Rechte ruht die Autorität, will ſie von ihm ſich loszuſagen verſu¬ chen, dann wird ihre gänzliche Unmacht ihr bald den Irrthum begreiflich machen, den ſie begangen hat. Alle Heere, die auf Erden ſind, mögen nicht eine ein¬ zige mathematiſche Wahrheit zu nichte machen, noch weniger werden ſie ein ethiſches Weltgeſetz erſchüttern. Jedes Unrecht iſt von Gott verlaſſen, der allein der gerechten Sache hilft; mag auch die Gewalt auf ſei¬ ner Seite ſtehen, es verwickelt ſich nur allzu bald in ſeine eignen Widerſprüche, wird in ſeinen Sophismen verfangen und in ſeinen Inconſequenzen verſtrickt, daß ihm zuletzt kein Entrinnen mehr möglich iſt.
Aber freilich nicht das todte Recht, das auf dem Papiere ſteht, kann ſich geltend machen; nur allein
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[205/0213]
Nothwehr bey Feindes Ueberzug. Ihr wollt nicht Recht
nehmen vor Gerichten, die in leeren Formen und
Grübeleyen ſich verlieren; ihr wollt es weiſen fortan
durch Schöpfen und Geſchworne. Ihr wollt, daß das
Verdienſt ausgleiche jeden Ranges Unterſchied, und daß
der Verkehr, die Rede und der Gedanke frey ſey wie der
Athem. Ihr wollet endlich blind in keinem Dinge dem Ge¬
heiße der Willkühr dienen; ſondern allein in freyer
Unterwerfung Euch Geſetzen fügen, zu denen Ihr
ſelbſt zuvor die Einwilligung gegeben. Das ſind Eure
Rechte, und ſie können Euch nicht beſtritten werden;
ihre Einräumung iſt keine Vergünſtigung, die man
nach Belieben ausſetzen und verzögern könnte, am
wenigſten in einer Zeit, die unaufhörlich mit neuen
verderblichen Organiſationen und Anmaßungen, wie
mit Ungeheuern, ſchwanger geht.
Aber ſo gutes Recht ſollt Ihr durch kein Unrecht
Euch verderben, Ihr würdet die Gegner allein damit
erfreuen. Iſt der Himmel doch jenes ſchlangenfüßigen
Titanen Meiſter worden, der die Revolution verſchlun¬
gen, und in ihrer furchtbaren Kraft gewirkt, was
ſollte ihm ſonſt noch widerſtehen in dieſer Zeit? Alles
Unrecht will wider den Strom der Geſchichte an; laßt
die Thoren ſich abmüden, wenn ſie glauben, ſie ſeyen
hoch hinauf, landen ſie athemlos tiefer, als von wan¬
nen ſie ausgeſchwommen. Allein auf dem Rechte ruht
die Autorität, will ſie von ihm ſich loszuſagen verſu¬
chen, dann wird ihre gänzliche Unmacht ihr bald den
Irrthum begreiflich machen, den ſie begangen hat.
Alle Heere, die auf Erden ſind, mögen nicht eine ein¬
zige mathematiſche Wahrheit zu nichte machen, noch
weniger werden ſie ein ethiſches Weltgeſetz erſchüttern.
Jedes Unrecht iſt von Gott verlaſſen, der allein der
gerechten Sache hilft; mag auch die Gewalt auf ſei¬
ner Seite ſtehen, es verwickelt ſich nur allzu bald in
ſeine eignen Widerſprüche, wird in ſeinen Sophismen
verfangen und in ſeinen Inconſequenzen verſtrickt,
daß ihm zuletzt kein Entrinnen mehr möglich iſt.
Aber freilich nicht das todte Recht, das auf dem
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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/213>, abgerufen am 23.02.2025.
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