verfolgt, -- frevelnd an der Wahrheit, die sich selber siegreich überall behauptet, und die nur ein verworre¬ nes Wissen sich selbst zum Nachtheil trübt, ein gan¬ zes und gründliches aber immer aufs Neue sichert und bewährt; frevelnd an der Freyheit, die Gott dem Menschen gegönnt, die halb gebraucht, wohl zum Irrthum führt, in voller Entwicklung aber, wenn sie nur aufrichtigen Herzens ist, sich selbst wieder ihr Maaß giebt, und ihre Gränze -- : sondern indem sie selbst im Heiligthume die Fackel zündet, die mit der Finsterniß auch die Frivolität zerstreut, in die allein der Unglaube von je seine Wurzel geschlagen. Die Pro¬ testantische wird diesem Streben entgegen kommen, in¬ dem sie den rechten Gebrauch von ihrer Freyheit macht; nicht verwechselnd eigenwillige, launenhafte Menschen¬ satzung, die mit dem Menschen kömmt und geht, mit der ewigen Wahrheit, die für alle Zeiten gilt. Sie wird immerhin nach ihrer Weise, geleitet durch die Schrift, aus den Verhältnissen der endlichen Persön¬ lichkeit die Verhältnisse des Unendlichen erschließen; aber sie wird jene zu diesem Behufe erst von aller Befangenheit, Eigensucht und jenen irdischen Leiden¬ schaften klären, daß sie im hellen Wasser des edeln Gesteines dem höheren Lichte durch und durch geöff¬ net steht, das aber jeder steigende Hochmuth, indem er den Schlamm der Tiefe rührt, nur allzu leicht trübt und wölkt. Die Wissenschaften nicht blos als ein weltliches Handwerk geübt, das in die Kümmer¬ lichkeit des irdischen Daseyns niederzieht, sondern nach alter Weise immer auf das höchste Mysterium, wie der Philosophie so der Religion zurückbezogen, werden nicht ferner wie schwere Gewichte sich dem strebenden Geist anhängen, sondern wie Schwingen ihn zu seiner höheren Bestimmung tragen. Dann werden die ver¬ schiednen Confessionen sich wieder einander und dem Stamme nahen, nicht formal durch Laune oder irgend eine Absicht und Gewalt bestimmt, die nur den schlafen¬ den Fanatism zu wecken dient; sondern weil gerade die volle Freyheit sich selbst in die Nothwendigkeit um¬ beugt. Neue Kirchenväter werden sich dann erheben,
verfolgt, — frevelnd an der Wahrheit, die ſich ſelber ſiegreich überall behauptet, und die nur ein verworre¬ nes Wiſſen ſich ſelbſt zum Nachtheil trübt, ein gan¬ zes und gründliches aber immer aufs Neue ſichert und bewährt; frevelnd an der Freyheit, die Gott dem Menſchen gegönnt, die halb gebraucht, wohl zum Irrthum führt, in voller Entwicklung aber, wenn ſie nur aufrichtigen Herzens iſt, ſich ſelbſt wieder ihr Maaß giebt, und ihre Gränze — : ſondern indem ſie ſelbſt im Heiligthume die Fackel zündet, die mit der Finſterniß auch die Frivolität zerſtreut, in die allein der Unglaube von je ſeine Wurzel geſchlagen. Die Pro¬ teſtantiſche wird dieſem Streben entgegen kommen, in¬ dem ſie den rechten Gebrauch von ihrer Freyheit macht; nicht verwechſelnd eigenwillige, launenhafte Menſchen¬ ſatzung, die mit dem Menſchen kömmt und geht, mit der ewigen Wahrheit, die für alle Zeiten gilt. Sie wird immerhin nach ihrer Weiſe, geleitet durch die Schrift, aus den Verhältniſſen der endlichen Perſön¬ lichkeit die Verhältniſſe des Unendlichen erſchließen; aber ſie wird jene zu dieſem Behufe erſt von aller Befangenheit, Eigenſucht und jenen irdiſchen Leiden¬ ſchaften klären, daß ſie im hellen Waſſer des edeln Geſteines dem höheren Lichte durch und durch geöff¬ net ſteht, das aber jeder ſteigende Hochmuth, indem er den Schlamm der Tiefe rührt, nur allzu leicht trübt und wölkt. Die Wiſſenſchaften nicht blos als ein weltliches Handwerk geübt, das in die Kümmer¬ lichkeit des irdiſchen Daſeyns niederzieht, ſondern nach alter Weiſe immer auf das höchſte Myſterium, wie der Philoſophie ſo der Religion zurückbezogen, werden nicht ferner wie ſchwere Gewichte ſich dem ſtrebenden Geiſt anhängen, ſondern wie Schwingen ihn zu ſeiner höheren Beſtimmung tragen. Dann werden die ver¬ ſchiednen Confeſſionen ſich wieder einander und dem Stamme nahen, nicht formal durch Laune oder irgend eine Abſicht und Gewalt beſtimmt, die nur den ſchlafen¬ den Fanatism zu wecken dient; ſondern weil gerade die volle Freyheit ſich ſelbſt in die Nothwendigkeit um¬ beugt. Neue Kirchenväter werden ſich dann erheben,
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0210"n="202"/>
verfolgt, — frevelnd an der Wahrheit, die ſich ſelber<lb/>ſiegreich überall behauptet, und die nur ein verworre¬<lb/>
nes Wiſſen ſich ſelbſt zum Nachtheil trübt, ein gan¬<lb/>
zes und gründliches aber immer aufs Neue ſichert und<lb/>
bewährt; frevelnd an der Freyheit, die Gott dem<lb/>
Menſchen gegönnt, die halb gebraucht, wohl zum<lb/>
Irrthum führt, in voller Entwicklung aber, wenn<lb/>ſie nur aufrichtigen Herzens iſt, ſich ſelbſt wieder ihr<lb/>
Maaß giebt, und ihre Gränze — : ſondern indem ſie<lb/>ſelbſt im Heiligthume die Fackel zündet, die mit der<lb/>
Finſterniß auch die Frivolität zerſtreut, in die allein<lb/>
der Unglaube von je ſeine Wurzel geſchlagen. Die Pro¬<lb/>
teſtantiſche wird dieſem Streben entgegen kommen, in¬<lb/>
dem ſie den rechten Gebrauch von ihrer Freyheit macht;<lb/>
nicht verwechſelnd eigenwillige, launenhafte Menſchen¬<lb/>ſatzung, die mit dem Menſchen kömmt und geht, mit<lb/>
der ewigen Wahrheit, die für alle Zeiten gilt. Sie<lb/>
wird immerhin nach ihrer Weiſe, geleitet durch die<lb/>
Schrift, aus den Verhältniſſen der endlichen Perſön¬<lb/>
lichkeit die Verhältniſſe des Unendlichen erſchließen;<lb/>
aber ſie wird jene zu dieſem Behufe erſt von aller<lb/>
Befangenheit, Eigenſucht und jenen irdiſchen Leiden¬<lb/>ſchaften klären, daß ſie im hellen Waſſer des edeln<lb/>
Geſteines dem höheren Lichte durch und durch geöff¬<lb/>
net ſteht, das aber jeder ſteigende Hochmuth, indem<lb/>
er den Schlamm der Tiefe rührt, nur allzu leicht<lb/>
trübt und wölkt. Die Wiſſenſchaften nicht blos als<lb/>
ein weltliches Handwerk geübt, das in die Kümmer¬<lb/>
lichkeit des irdiſchen Daſeyns niederzieht, ſondern nach<lb/>
alter Weiſe immer auf das höchſte Myſterium, wie<lb/>
der Philoſophie ſo der Religion zurückbezogen, werden<lb/>
nicht ferner wie ſchwere Gewichte ſich dem ſtrebenden<lb/>
Geiſt anhängen, ſondern wie Schwingen ihn zu ſeiner<lb/>
höheren Beſtimmung tragen. Dann werden die ver¬<lb/>ſchiednen Confeſſionen ſich wieder einander und dem<lb/>
Stamme nahen, nicht formal durch Laune oder irgend<lb/>
eine Abſicht und Gewalt beſtimmt, die nur den ſchlafen¬<lb/>
den Fanatism zu wecken dient; ſondern weil gerade<lb/>
die volle Freyheit ſich ſelbſt in die Nothwendigkeit um¬<lb/>
beugt. Neue Kirchenväter werden ſich dann erheben,<lb/></p></body></text></TEI>
[202/0210]
verfolgt, — frevelnd an der Wahrheit, die ſich ſelber
ſiegreich überall behauptet, und die nur ein verworre¬
nes Wiſſen ſich ſelbſt zum Nachtheil trübt, ein gan¬
zes und gründliches aber immer aufs Neue ſichert und
bewährt; frevelnd an der Freyheit, die Gott dem
Menſchen gegönnt, die halb gebraucht, wohl zum
Irrthum führt, in voller Entwicklung aber, wenn
ſie nur aufrichtigen Herzens iſt, ſich ſelbſt wieder ihr
Maaß giebt, und ihre Gränze — : ſondern indem ſie
ſelbſt im Heiligthume die Fackel zündet, die mit der
Finſterniß auch die Frivolität zerſtreut, in die allein
der Unglaube von je ſeine Wurzel geſchlagen. Die Pro¬
teſtantiſche wird dieſem Streben entgegen kommen, in¬
dem ſie den rechten Gebrauch von ihrer Freyheit macht;
nicht verwechſelnd eigenwillige, launenhafte Menſchen¬
ſatzung, die mit dem Menſchen kömmt und geht, mit
der ewigen Wahrheit, die für alle Zeiten gilt. Sie
wird immerhin nach ihrer Weiſe, geleitet durch die
Schrift, aus den Verhältniſſen der endlichen Perſön¬
lichkeit die Verhältniſſe des Unendlichen erſchließen;
aber ſie wird jene zu dieſem Behufe erſt von aller
Befangenheit, Eigenſucht und jenen irdiſchen Leiden¬
ſchaften klären, daß ſie im hellen Waſſer des edeln
Geſteines dem höheren Lichte durch und durch geöff¬
net ſteht, das aber jeder ſteigende Hochmuth, indem
er den Schlamm der Tiefe rührt, nur allzu leicht
trübt und wölkt. Die Wiſſenſchaften nicht blos als
ein weltliches Handwerk geübt, das in die Kümmer¬
lichkeit des irdiſchen Daſeyns niederzieht, ſondern nach
alter Weiſe immer auf das höchſte Myſterium, wie
der Philoſophie ſo der Religion zurückbezogen, werden
nicht ferner wie ſchwere Gewichte ſich dem ſtrebenden
Geiſt anhängen, ſondern wie Schwingen ihn zu ſeiner
höheren Beſtimmung tragen. Dann werden die ver¬
ſchiednen Confeſſionen ſich wieder einander und dem
Stamme nahen, nicht formal durch Laune oder irgend
eine Abſicht und Gewalt beſtimmt, die nur den ſchlafen¬
den Fanatism zu wecken dient; ſondern weil gerade
die volle Freyheit ſich ſelbſt in die Nothwendigkeit um¬
beugt. Neue Kirchenväter werden ſich dann erheben,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/210>, abgerufen am 23.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.