Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.verfolgt, -- frevelnd an der Wahrheit, die sich selber verfolgt, — frevelnd an der Wahrheit, die ſich ſelber <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0210" n="202"/> verfolgt, — frevelnd an der Wahrheit, die ſich ſelber<lb/> ſiegreich überall behauptet, und die nur ein verworre¬<lb/> nes Wiſſen ſich ſelbſt zum Nachtheil trübt, ein gan¬<lb/> zes und gründliches aber immer aufs Neue ſichert und<lb/> bewährt; frevelnd an der Freyheit, die Gott dem<lb/> Menſchen gegönnt, die halb gebraucht, wohl zum<lb/> Irrthum führt, in voller Entwicklung aber, wenn<lb/> ſie nur aufrichtigen Herzens iſt, ſich ſelbſt wieder ihr<lb/> Maaß giebt, und ihre Gränze — : ſondern indem ſie<lb/> ſelbſt im Heiligthume die Fackel zündet, die mit der<lb/> Finſterniß auch die Frivolität zerſtreut, in die allein<lb/> der Unglaube von je ſeine Wurzel geſchlagen. Die Pro¬<lb/> teſtantiſche wird dieſem Streben entgegen kommen, in¬<lb/> dem ſie den rechten Gebrauch von ihrer Freyheit macht;<lb/> nicht verwechſelnd eigenwillige, launenhafte Menſchen¬<lb/> ſatzung, die mit dem Menſchen kömmt und geht, mit<lb/> der ewigen Wahrheit, die für alle Zeiten gilt. Sie<lb/> wird immerhin nach ihrer Weiſe, geleitet durch die<lb/> Schrift, aus den Verhältniſſen der endlichen Perſön¬<lb/> lichkeit die Verhältniſſe des Unendlichen erſchließen;<lb/> aber ſie wird jene zu dieſem Behufe erſt von aller<lb/> Befangenheit, Eigenſucht und jenen irdiſchen Leiden¬<lb/> ſchaften klären, daß ſie im hellen Waſſer des edeln<lb/> Geſteines dem höheren Lichte durch und durch geöff¬<lb/> net ſteht, das aber jeder ſteigende Hochmuth, indem<lb/> er den Schlamm der Tiefe rührt, nur allzu leicht<lb/> trübt und wölkt. Die Wiſſenſchaften nicht blos als<lb/> ein weltliches Handwerk geübt, das in die Kümmer¬<lb/> lichkeit des irdiſchen Daſeyns niederzieht, ſondern nach<lb/> alter Weiſe immer auf das höchſte Myſterium, wie<lb/> der Philoſophie ſo der Religion zurückbezogen, werden<lb/> nicht ferner wie ſchwere Gewichte ſich dem ſtrebenden<lb/> Geiſt anhängen, ſondern wie Schwingen ihn zu ſeiner<lb/> höheren Beſtimmung tragen. Dann werden die ver¬<lb/> ſchiednen Confeſſionen ſich wieder einander und dem<lb/> Stamme nahen, nicht formal durch Laune oder irgend<lb/> eine Abſicht und Gewalt beſtimmt, die nur den ſchlafen¬<lb/> den Fanatism zu wecken dient; ſondern weil gerade<lb/> die volle Freyheit ſich ſelbſt in die Nothwendigkeit um¬<lb/> beugt. Neue Kirchenväter werden ſich dann erheben,<lb/></p> </body> </text> </TEI> [202/0210]
verfolgt, — frevelnd an der Wahrheit, die ſich ſelber
ſiegreich überall behauptet, und die nur ein verworre¬
nes Wiſſen ſich ſelbſt zum Nachtheil trübt, ein gan¬
zes und gründliches aber immer aufs Neue ſichert und
bewährt; frevelnd an der Freyheit, die Gott dem
Menſchen gegönnt, die halb gebraucht, wohl zum
Irrthum führt, in voller Entwicklung aber, wenn
ſie nur aufrichtigen Herzens iſt, ſich ſelbſt wieder ihr
Maaß giebt, und ihre Gränze — : ſondern indem ſie
ſelbſt im Heiligthume die Fackel zündet, die mit der
Finſterniß auch die Frivolität zerſtreut, in die allein
der Unglaube von je ſeine Wurzel geſchlagen. Die Pro¬
teſtantiſche wird dieſem Streben entgegen kommen, in¬
dem ſie den rechten Gebrauch von ihrer Freyheit macht;
nicht verwechſelnd eigenwillige, launenhafte Menſchen¬
ſatzung, die mit dem Menſchen kömmt und geht, mit
der ewigen Wahrheit, die für alle Zeiten gilt. Sie
wird immerhin nach ihrer Weiſe, geleitet durch die
Schrift, aus den Verhältniſſen der endlichen Perſön¬
lichkeit die Verhältniſſe des Unendlichen erſchließen;
aber ſie wird jene zu dieſem Behufe erſt von aller
Befangenheit, Eigenſucht und jenen irdiſchen Leiden¬
ſchaften klären, daß ſie im hellen Waſſer des edeln
Geſteines dem höheren Lichte durch und durch geöff¬
net ſteht, das aber jeder ſteigende Hochmuth, indem
er den Schlamm der Tiefe rührt, nur allzu leicht
trübt und wölkt. Die Wiſſenſchaften nicht blos als
ein weltliches Handwerk geübt, das in die Kümmer¬
lichkeit des irdiſchen Daſeyns niederzieht, ſondern nach
alter Weiſe immer auf das höchſte Myſterium, wie
der Philoſophie ſo der Religion zurückbezogen, werden
nicht ferner wie ſchwere Gewichte ſich dem ſtrebenden
Geiſt anhängen, ſondern wie Schwingen ihn zu ſeiner
höheren Beſtimmung tragen. Dann werden die ver¬
ſchiednen Confeſſionen ſich wieder einander und dem
Stamme nahen, nicht formal durch Laune oder irgend
eine Abſicht und Gewalt beſtimmt, die nur den ſchlafen¬
den Fanatism zu wecken dient; ſondern weil gerade
die volle Freyheit ſich ſelbſt in die Nothwendigkeit um¬
beugt. Neue Kirchenväter werden ſich dann erheben,
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