eines gebotenen Guten eben so als Missethat geahndet wird, wie das Thun eines verbotenen Schlechten; daß der Krieg zwar nothwendig die äußersten Gegen¬ sätze hält, der Friede aber nur in der Temperatur der Mitte gefunden wird u. s. w. Alle diese ethischen Gesetze müssen in der Gesellschaft mit der Gewißheit mathe¬ matischer Axiome geltend werden; sie müssen als all¬ gemein unverbrüchliche Maximen sie in allen ihren Elementen durchdrungen haben: dann mag sie im¬ merhin ohne Gefahr ihrem Instinkte folgen; sie mag ihre Verfassungen gründen einzig auf den Ackerboden und den Verkehr, auf Actien und Erben und die Aristo¬ cratie der Meistbeerbten; sie mag die wirkenden, le¬ bendigen Kräfte in der Verfassung vielfältig zersetzend, und wieder nach der Diagonale sie vereinigend ihre mathematischen Belustigungen und ihre stöchyometri¬ schen Calcüle treiben, und die Gesellschaft auf der untersten Stufe des Lebens einstweilen zum tausend¬ armigen Polypen machen.
Nur erst, wenn die bürgerliche Tugend die einzige Staatsklugheit geworden, hat dieser Mechanism seine Beseelung, wie sie die Zeit ihm geben kann, erlangt, und nur dann wird er wie ein organischer Körper sich selbst schützen und erhalten; aber nimmermehr, wenn man die Schlechtigkeit aller Menschen als be¬ kannt voraussetzend, nach dem jetzt, besonders in Frank¬ reich herrschenden Vorurtheil, in der Form und allen ihren Cautelen und Gegensätzen und Controlen, ein Surrogat der fehlenden Ehrlichkeit zu finden glaubt, und also, da ein Versuch um den andern mißlingt, in der moralischen Welt einem beynahe noch wesenlo¬ seren Phantom nachjagt, als das perpetuum mobile von je in der Mechanik sich erwiesen. Mit vollem Rechte und mit der lobenswürdigsten Beharrlichkeit eifert Adam Müller, in allen seinen Schriften, aus seinem höhe¬ ren Standpunkt gegen diesen furchtbaren Irrthum, der, aus der gröbsten materialistischen Ansicht hervor¬ gegangen, den Franzosen in der Politik eben so eigen¬ thümlich ist, wie das System des Genusses und der wohl¬ verstandnen Eigenliebe ihrer Moral seit Helvetius: aber
eines gebotenen Guten eben ſo als Miſſethat geahndet wird, wie das Thun eines verbotenen Schlechten; daß der Krieg zwar nothwendig die äußerſten Gegen¬ ſätze hält, der Friede aber nur in der Temperatur der Mitte gefunden wird u. ſ. w. Alle dieſe ethiſchen Geſetze müſſen in der Geſellſchaft mit der Gewißheit mathe¬ matiſcher Axiome geltend werden; ſie müſſen als all¬ gemein unverbrüchliche Maximen ſie in allen ihren Elementen durchdrungen haben: dann mag ſie im¬ merhin ohne Gefahr ihrem Inſtinkte folgen; ſie mag ihre Verfaſſungen gründen einzig auf den Ackerboden und den Verkehr, auf Actien und Erben und die Ariſto¬ cratie der Meiſtbeerbten; ſie mag die wirkenden, le¬ bendigen Kräfte in der Verfaſſung vielfältig zerſetzend, und wieder nach der Diagonale ſie vereinigend ihre mathematiſchen Beluſtigungen und ihre ſtöchyometri¬ ſchen Calcüle treiben, und die Geſellſchaft auf der unterſten Stufe des Lebens einſtweilen zum tauſend¬ armigen Polypen machen.
Nur erſt, wenn die bürgerliche Tugend die einzige Staatsklugheit geworden, hat dieſer Mechanism ſeine Beſeelung, wie ſie die Zeit ihm geben kann, erlangt, und nur dann wird er wie ein organiſcher Körper ſich ſelbſt ſchützen und erhalten; aber nimmermehr, wenn man die Schlechtigkeit aller Menſchen als be¬ kannt vorausſetzend, nach dem jetzt, beſonders in Frank¬ reich herrſchenden Vorurtheil, in der Form und allen ihren Cautelen und Gegenſätzen und Controlen, ein Surrogat der fehlenden Ehrlichkeit zu finden glaubt, und alſo, da ein Verſuch um den andern mißlingt, in der moraliſchen Welt einem beynahe noch weſenlo¬ ſeren Phantom nachjagt, als das perpetuum mobile von je in der Mechanik ſich erwieſen. Mit vollem Rechte und mit der lobenswürdigſten Beharrlichkeit eifert Adam Müller, in allen ſeinen Schriften, aus ſeinem höhe¬ ren Standpunkt gegen dieſen furchtbaren Irrthum, der, aus der gröbſten materialiſtiſchen Anſicht hervor¬ gegangen, den Franzoſen in der Politik eben ſo eigen¬ thümlich iſt, wie das Syſtem des Genuſſes und der wohl¬ verſtandnen Eigenliebe ihrer Moral ſeit Helvetius: aber
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eines gebotenen Guten eben ſo als Miſſethat geahndet
wird, wie das Thun eines verbotenen Schlechten;
daß der Krieg zwar nothwendig die äußerſten Gegen¬
ſätze hält, der Friede aber nur in der Temperatur der
Mitte gefunden wird u. ſ. w. Alle dieſe ethiſchen Geſetze
müſſen in der Geſellſchaft mit der Gewißheit mathe¬
matiſcher Axiome geltend werden; ſie müſſen als all¬
gemein unverbrüchliche Maximen ſie in allen ihren
Elementen durchdrungen haben: dann mag ſie im¬
merhin ohne Gefahr ihrem Inſtinkte folgen; ſie mag
ihre Verfaſſungen gründen einzig auf den Ackerboden und
den Verkehr, auf Actien und Erben und die Ariſto¬
cratie der Meiſtbeerbten; ſie mag die wirkenden, le¬
bendigen Kräfte in der Verfaſſung vielfältig zerſetzend,
und wieder nach der Diagonale ſie vereinigend ihre
mathematiſchen Beluſtigungen und ihre ſtöchyometri¬
ſchen Calcüle treiben, und die Geſellſchaft auf der
unterſten Stufe des Lebens einſtweilen zum tauſend¬
armigen Polypen machen.
Nur erſt, wenn die bürgerliche Tugend die einzige
Staatsklugheit geworden, hat dieſer Mechanism ſeine
Beſeelung, wie ſie die Zeit ihm geben kann, erlangt,
und nur dann wird er wie ein organiſcher Körper
ſich ſelbſt ſchützen und erhalten; aber nimmermehr,
wenn man die Schlechtigkeit aller Menſchen als be¬
kannt vorausſetzend, nach dem jetzt, beſonders in Frank¬
reich herrſchenden Vorurtheil, in der Form und allen
ihren Cautelen und Gegenſätzen und Controlen, ein
Surrogat der fehlenden Ehrlichkeit zu finden glaubt,
und alſo, da ein Verſuch um den andern mißlingt,
in der moraliſchen Welt einem beynahe noch weſenlo¬
ſeren Phantom nachjagt, als das perpetuum mobile von
je in der Mechanik ſich erwieſen. Mit vollem Rechte und
mit der lobenswürdigſten Beharrlichkeit eifert Adam
Müller, in allen ſeinen Schriften, aus ſeinem höhe¬
ren Standpunkt gegen dieſen furchtbaren Irrthum,
der, aus der gröbſten materialiſtiſchen Anſicht hervor¬
gegangen, den Franzoſen in der Politik eben ſo eigen¬
thümlich iſt, wie das Syſtem des Genuſſes und der wohl¬
verſtandnen Eigenliebe ihrer Moral ſeit Helvetius: aber
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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/206>, abgerufen am 23.02.2025.
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