die Autorität schon längst zu einer krankhaften Lebens¬ kraft herabgesunken, und nahe daran gewesen, dem Automatischen anheim zu fallen.
Darum ist es ganz im Geiste dieser nun wirklich sich emanzipirenden Zeit, daß sie im Gefühle ihrer Noth und im Verständniß, wo ihre Stärke und wo die Schwäche, vorläufig von nichts als dem sinnlich Greifbaren hören will; und es ist begreiflich, woher ihr die Neigung kömmt, in den Verfassungen Maschi¬ nen zu bauen nach den Gesetzen des Hebels und der schiefen Ebne, worin der Grundbesitz als ziehen¬ des Gewicht, das Geld als treibende Feder die bewe¬ genden Kräfte bilden; die Beamten, Räder und Ge¬ triebe, die Kammer den Pendul machen soll, der alle Bewegungen regulirt; der Fürst den Zeiger, der die Zeit anzeigen muß. Nicht ist diese Neigung zum Pon¬ derabeln auf dem Puncte, wohin die Sache jetzt ge¬ diehen, zu tadeln; jede Zeit soll handeln in dem Geiste, der sie beseelt, und da der bildende Proteus jetzt ein Mechanicus geworden, der politische Planetarien zim¬ mert, so soll man ihn eben nicht durch hartnäckigen Widerspruch im Werke irren.
Aber dann auch soll man vor Allem nicht vergessen, daß wie man in der äußern Mechanik die Naturge¬ setze als unverbrüchlich längst sich gefallen läßt; und ihnen zuwider zu handeln für eine Thorheit hält, so auch in der geistig politischen die ethischen Gesetze, die auf gleicher Höhe mit jenen physischen stehen, und gleich unerbittlich jede Uebertretung ahnden, aner¬ kenne. So sicher und unbedingt wie die physischen Sätze: daß bey ungleichen Hebelarmen im Gleichge¬ wichte die Lasten sich umgekehrt wie die Längen der Arme verhalten müssen; daß beym Falle der Körper die Räume wie die Quadrate der Fallzeiten sich ver¬ halten, für die Natur Geltung haben, so für die Gei¬ sterwelt die moralischen Gesetze: daß Rechte und Pflich¬ ten, Freyheit und Gehorsam, Geben und Nehmen wechselseitig sich bedingen; daß jede Gewaltthat eine Entgegengesetzte herausfordert und jedes Aeußerste ein Aeußerstes zum Gegenstreite; daß, das Unterlassen
die Autorität ſchon längſt zu einer krankhaften Lebens¬ kraft herabgeſunken, und nahe daran geweſen, dem Automatiſchen anheim zu fallen.
Darum iſt es ganz im Geiſte dieſer nun wirklich ſich emanzipirenden Zeit, daß ſie im Gefühle ihrer Noth und im Verſtändniß, wo ihre Stärke und wo die Schwäche, vorläufig von nichts als dem ſinnlich Greifbaren hören will; und es iſt begreiflich, woher ihr die Neigung kömmt, in den Verfaſſungen Maſchi¬ nen zu bauen nach den Geſetzen des Hebels und der ſchiefen Ebne, worin der Grundbeſitz als ziehen¬ des Gewicht, das Geld als treibende Feder die bewe¬ genden Kräfte bilden; die Beamten, Räder und Ge¬ triebe, die Kammer den Pendul machen ſoll, der alle Bewegungen regulirt; der Fürſt den Zeiger, der die Zeit anzeigen muß. Nicht iſt dieſe Neigung zum Pon¬ derabeln auf dem Puncte, wohin die Sache jetzt ge¬ diehen, zu tadeln; jede Zeit ſoll handeln in dem Geiſte, der ſie beſeelt, und da der bildende Proteus jetzt ein Mechanicus geworden, der politiſche Planetarien zim¬ mert, ſo ſoll man ihn eben nicht durch hartnäckigen Widerſpruch im Werke irren.
Aber dann auch ſoll man vor Allem nicht vergeſſen, daß wie man in der äußern Mechanik die Naturge¬ ſetze als unverbrüchlich längſt ſich gefallen läßt; und ihnen zuwider zu handeln für eine Thorheit hält, ſo auch in der geiſtig politiſchen die ethiſchen Geſetze, die auf gleicher Höhe mit jenen phyſiſchen ſtehen, und gleich unerbittlich jede Uebertretung ahnden, aner¬ kenne. So ſicher und unbedingt wie die phyſiſchen Sätze: daß bey ungleichen Hebelarmen im Gleichge¬ wichte die Laſten ſich umgekehrt wie die Längen der Arme verhalten müſſen; daß beym Falle der Körper die Räume wie die Quadrate der Fallzeiten ſich ver¬ halten, für die Natur Geltung haben, ſo für die Gei¬ ſterwelt die moraliſchen Geſetze: daß Rechte und Pflich¬ ten, Freyheit und Gehorſam, Geben und Nehmen wechſelſeitig ſich bedingen; daß jede Gewaltthat eine Entgegengeſetzte herausfordert und jedes Aeußerſte ein Aeußerſtes zum Gegenſtreite; daß, das Unterlaſſen
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[197/0205]
die Autorität ſchon längſt zu einer krankhaften Lebens¬
kraft herabgeſunken, und nahe daran geweſen, dem
Automatiſchen anheim zu fallen.
Darum iſt es ganz im Geiſte dieſer nun wirklich
ſich emanzipirenden Zeit, daß ſie im Gefühle ihrer
Noth und im Verſtändniß, wo ihre Stärke und wo
die Schwäche, vorläufig von nichts als dem ſinnlich
Greifbaren hören will; und es iſt begreiflich, woher
ihr die Neigung kömmt, in den Verfaſſungen Maſchi¬
nen zu bauen nach den Geſetzen des Hebels und der
ſchiefen Ebne, worin der Grundbeſitz als ziehen¬
des Gewicht, das Geld als treibende Feder die bewe¬
genden Kräfte bilden; die Beamten, Räder und Ge¬
triebe, die Kammer den Pendul machen ſoll, der alle
Bewegungen regulirt; der Fürſt den Zeiger, der die
Zeit anzeigen muß. Nicht iſt dieſe Neigung zum Pon¬
derabeln auf dem Puncte, wohin die Sache jetzt ge¬
diehen, zu tadeln; jede Zeit ſoll handeln in dem Geiſte,
der ſie beſeelt, und da der bildende Proteus jetzt ein
Mechanicus geworden, der politiſche Planetarien zim¬
mert, ſo ſoll man ihn eben nicht durch hartnäckigen
Widerſpruch im Werke irren.
Aber dann auch ſoll man vor Allem nicht vergeſſen,
daß wie man in der äußern Mechanik die Naturge¬
ſetze als unverbrüchlich längſt ſich gefallen läßt; und
ihnen zuwider zu handeln für eine Thorheit hält, ſo
auch in der geiſtig politiſchen die ethiſchen Geſetze,
die auf gleicher Höhe mit jenen phyſiſchen ſtehen, und
gleich unerbittlich jede Uebertretung ahnden, aner¬
kenne. So ſicher und unbedingt wie die phyſiſchen
Sätze: daß bey ungleichen Hebelarmen im Gleichge¬
wichte die Laſten ſich umgekehrt wie die Längen der
Arme verhalten müſſen; daß beym Falle der Körper
die Räume wie die Quadrate der Fallzeiten ſich ver¬
halten, für die Natur Geltung haben, ſo für die Gei¬
ſterwelt die moraliſchen Geſetze: daß Rechte und Pflich¬
ten, Freyheit und Gehorſam, Geben und Nehmen
wechſelſeitig ſich bedingen; daß jede Gewaltthat eine
Entgegengeſetzte herausfordert und jedes Aeußerſte ein
Aeußerſtes zum Gegenſtreite; daß, das Unterlaſſen
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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/205>, abgerufen am 23.02.2025.
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