ausgegangen; die Priesterherrschaft aber, nachdem ihre Stütze erst gefallen, gleichfalls durch innere Ent¬ zweyung geschwächt, dann in Entartung aufgelöst, endlich von der Reformation im ganzen Norden ge¬ stürzt, und im Süden wenigstens in ihren Grundve¬ sten erschüttert wurde. Ihr folgte im Untergang das Kaiserthum, indem es in die Territorialherrschaft hingewelkt; diese selbst löste sich in ihren Abstractio¬ nen auf, und so ist in der schon früher geschilderten Weise, da, wenn die Blüthe gewelkt, und die Pflanze eingedorrt, das Leben im Samen beschlossen, rück¬ kehrt in die Erde, mitten im Reich der allgemeinen Willkühr die ursprüngliche Democratie, wenn auch nicht factisch, doch potentialiter durch eine zweyte ab¬ steigende Bewegung wiederhergestellt.
Zwar ist es nicht die alte, sprossende Waldkraft, mit ihrer Fülle von Naturtrieben, die hier zurückge¬ kehrt; denn es liegt eine ganze Culturzeit hinter ihr, und die Reproduction ist im Charakter der fortschrei¬ tenden Geschichte vorgegangen: aber was sie nach der Naturseite eingebüßt, ist ihr nach der Geistigen wie¬ der zugewachsen. Darum treibt ein innerer Instinkt sie bewußtlos nach Allem hin, wodurch sie den neuen Kreis, der ihr eröffnet ist, erfüllen kann; sie strebt und ringt mit allen ihren Kräften, sich von jener Willkühr vor Allem loszuwinden, bey der, wie sie fühlt, fernerhin kein Verlaß mehr ist, keine Sicher¬ heit nach außen, und kein Friede nach innen hin, nicht Würde, Hoffnung oder Liebe.
Diese Willkühr selbst hat solcher Stimmung vorge¬ arbeitet; jener statistische Kram, jene staatswirthschaft¬ liche Mästungslehre, die den Menschen zur Stallfüt¬ terung eingestellt, und um des Gewinnes Willen sein Leibliches auf Unkosten des Geistigen herausgefüttert, und die, wenn es in allem ihr nach Wunsch gegan¬ gen, und nicht wider ihren Willen geistige Erregun¬ gen wie Blitze durchgezuckt, am Ende mit jenem scheu߬ lichen Cretinism geendet hätte, wo der ganze höhere Mensch in die blos vegetative Sphäre herabgesunken, nur noch in den Drüsen lebt: das Alles bewies, daß
ausgegangen; die Prieſterherrſchaft aber, nachdem ihre Stütze erſt gefallen, gleichfalls durch innere Ent¬ zweyung geſchwächt, dann in Entartung aufgelöſt, endlich von der Reformation im ganzen Norden ge¬ ſtürzt, und im Süden wenigſtens in ihren Grundve¬ ſten erſchüttert wurde. Ihr folgte im Untergang das Kaiſerthum, indem es in die Territorialherrſchaft hingewelkt; dieſe ſelbſt löste ſich in ihren Abſtractio¬ nen auf, und ſo iſt in der ſchon früher geſchilderten Weiſe, da, wenn die Blüthe gewelkt, und die Pflanze eingedorrt, das Leben im Samen beſchloſſen, rück¬ kehrt in die Erde, mitten im Reich der allgemeinen Willkühr die urſprüngliche Democratie, wenn auch nicht factiſch, doch potentialiter durch eine zweyte ab¬ ſteigende Bewegung wiederhergeſtellt.
Zwar iſt es nicht die alte, ſproſſende Waldkraft, mit ihrer Fülle von Naturtrieben, die hier zurückge¬ kehrt; denn es liegt eine ganze Culturzeit hinter ihr, und die Reproduction iſt im Charakter der fortſchrei¬ tenden Geſchichte vorgegangen: aber was ſie nach der Naturſeite eingebüßt, iſt ihr nach der Geiſtigen wie¬ der zugewachſen. Darum treibt ein innerer Inſtinkt ſie bewußtlos nach Allem hin, wodurch ſie den neuen Kreis, der ihr eröffnet iſt, erfüllen kann; ſie ſtrebt und ringt mit allen ihren Kräften, ſich von jener Willkühr vor Allem loszuwinden, bey der, wie ſie fühlt, fernerhin kein Verlaß mehr iſt, keine Sicher¬ heit nach außen, und kein Friede nach innen hin, nicht Würde, Hoffnung oder Liebe.
Dieſe Willkühr ſelbſt hat ſolcher Stimmung vorge¬ arbeitet; jener ſtatiſtiſche Kram, jene ſtaatswirthſchaft¬ liche Mäſtungslehre, die den Menſchen zur Stallfüt¬ terung eingeſtellt, und um des Gewinnes Willen ſein Leibliches auf Unkoſten des Geiſtigen herausgefüttert, und die, wenn es in allem ihr nach Wunſch gegan¬ gen, und nicht wider ihren Willen geiſtige Erregun¬ gen wie Blitze durchgezuckt, am Ende mit jenem ſcheu߬ lichen Cretinism geendet hätte, wo der ganze höhere Menſch in die blos vegetative Sphäre herabgeſunken, nur noch in den Drüſen lebt: das Alles bewies, daß
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ausgegangen; die Prieſterherrſchaft aber, nachdem
ihre Stütze erſt gefallen, gleichfalls durch innere Ent¬
zweyung geſchwächt, dann in Entartung aufgelöſt,
endlich von der Reformation im ganzen Norden ge¬
ſtürzt, und im Süden wenigſtens in ihren Grundve¬
ſten erſchüttert wurde. Ihr folgte im Untergang das
Kaiſerthum, indem es in die Territorialherrſchaft
hingewelkt; dieſe ſelbſt löste ſich in ihren Abſtractio¬
nen auf, und ſo iſt in der ſchon früher geſchilderten
Weiſe, da, wenn die Blüthe gewelkt, und die Pflanze
eingedorrt, das Leben im Samen beſchloſſen, rück¬
kehrt in die Erde, mitten im Reich der allgemeinen
Willkühr die urſprüngliche Democratie, wenn auch
nicht factiſch, doch potentialiter durch eine zweyte ab¬
ſteigende Bewegung wiederhergeſtellt.
Zwar iſt es nicht die alte, ſproſſende Waldkraft,
mit ihrer Fülle von Naturtrieben, die hier zurückge¬
kehrt; denn es liegt eine ganze Culturzeit hinter ihr,
und die Reproduction iſt im Charakter der fortſchrei¬
tenden Geſchichte vorgegangen: aber was ſie nach der
Naturſeite eingebüßt, iſt ihr nach der Geiſtigen wie¬
der zugewachſen. Darum treibt ein innerer Inſtinkt
ſie bewußtlos nach Allem hin, wodurch ſie den neuen
Kreis, der ihr eröffnet iſt, erfüllen kann; ſie ſtrebt
und ringt mit allen ihren Kräften, ſich von jener
Willkühr vor Allem loszuwinden, bey der, wie ſie
fühlt, fernerhin kein Verlaß mehr iſt, keine Sicher¬
heit nach außen, und kein Friede nach innen hin,
nicht Würde, Hoffnung oder Liebe.
Dieſe Willkühr ſelbſt hat ſolcher Stimmung vorge¬
arbeitet; jener ſtatiſtiſche Kram, jene ſtaatswirthſchaft¬
liche Mäſtungslehre, die den Menſchen zur Stallfüt¬
terung eingeſtellt, und um des Gewinnes Willen ſein
Leibliches auf Unkoſten des Geiſtigen herausgefüttert,
und die, wenn es in allem ihr nach Wunſch gegan¬
gen, und nicht wider ihren Willen geiſtige Erregun¬
gen wie Blitze durchgezuckt, am Ende mit jenem ſcheu߬
lichen Cretinism geendet hätte, wo der ganze höhere
Menſch in die blos vegetative Sphäre herabgeſunken,
nur noch in den Drüſen lebt: das Alles bewies, daß
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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/204>, abgerufen am 23.02.2025.
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