Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

die Gewalt in Despotismus ausgeartet, der eine un¬
erträgliche Last, auf den Völkern gedrückt; da haben
Alle, in denen noch eine Energie und eine geistige
Schnellkraft zurückgeblieben, endlich das Joch von
ihrem Nacken abgeworfen, und Democratien sind ent¬
standen, und Winkel und Richtmaaß sind zu Ehren
kommen und die Pflugschaar; bürgerliche Tugenden
haben nun sich geltend gemacht und republicanischer
Sinn; statt der Ehre Ehrlichkeit, statt der Heiligung
die ethische Würde, abwärts ruhend auf der mora¬
lischen Natur des Menschen und dem Gewissen.

Das ist der Gang, den die Verfassung durch das
ganze Alterthum, absteigend von der Höhe übersinn¬
licher Motive, bis zur sinnlichen derben, tüchtigen
Wirklichkeit genommen; so im Orient; so bey den
Griechen aus der Priesterzeit, durch die Heroische in
die Volkszeit; so bey den Römern, deren Theocratie
in die Hetrurische aufgeht, die dann unter den Kö¬
nigen schnell die zweyte Periode durchlaufen, um zu¬
letzt den größten Theil ihrer Dauer mit der Democratie
zu erfüllen.

Es ist aber im Alterthum nur die eine absteigende
Hälfte der Geschichte dargestellt; die Neuere ist eben
so in umgekehrter Folge bis ins Mittelalter hinan¬
gestiegen. Nachdem dies Aufsteigen bey den Völkern
der alten Cultur mit Alexander und den römischen
Imperatoren in's Verderben der Democratie eingetre¬
ten, und dann das Christenthum in ihrer Mitte ei¬
nen neuen Priesterstaat gegründet, hat es den Nor¬
den zuerst in den Kreis der Bildung ziehend, dort
aus der noch grünenden Democratie germanischer Völ¬
kerschaften, zuerst in Carl dem Großen eine neue Welt¬
monarchie heraufgetrieben, und dann über ihr den
großen Priesterstaat durch ganz Europa herverbreitet.
Aber als die Krieger mit den Priestern unter den
rheinfränkischen Kaisern, mitten in der höchsten Blüthe
ihrer Macht, jene harte Fehde gekämpft, da haben
sie sich untereinander aufgerieben; also, daß die welt¬
liche Macht zuerst hingewelkt, und mit den schwäbi¬
schen Kaisern der Ruhm und die Stärke Teutschlands

13*

die Gewalt in Despotismus ausgeartet, der eine un¬
erträgliche Laſt, auf den Völkern gedrückt; da haben
Alle, in denen noch eine Energie und eine geiſtige
Schnellkraft zurückgeblieben, endlich das Joch von
ihrem Nacken abgeworfen, und Democratien ſind ent¬
ſtanden, und Winkel und Richtmaaß ſind zu Ehren
kommen und die Pflugſchaar; bürgerliche Tugenden
haben nun ſich geltend gemacht und republicaniſcher
Sinn; ſtatt der Ehre Ehrlichkeit, ſtatt der Heiligung
die ethiſche Würde, abwärts ruhend auf der mora¬
liſchen Natur des Menſchen und dem Gewiſſen.

Das iſt der Gang, den die Verfaſſung durch das
ganze Alterthum, abſteigend von der Höhe überſinn¬
licher Motive, bis zur ſinnlichen derben, tüchtigen
Wirklichkeit genommen; ſo im Orient; ſo bey den
Griechen aus der Prieſterzeit, durch die Heroiſche in
die Volkszeit; ſo bey den Römern, deren Theocratie
in die Hetruriſche aufgeht, die dann unter den Kö¬
nigen ſchnell die zweyte Periode durchlaufen, um zu¬
letzt den größten Theil ihrer Dauer mit der Democratie
zu erfüllen.

Es iſt aber im Alterthum nur die eine abſteigende
Hälfte der Geſchichte dargeſtellt; die Neuere iſt eben
ſo in umgekehrter Folge bis ins Mittelalter hinan¬
geſtiegen. Nachdem dies Aufſteigen bey den Völkern
der alten Cultur mit Alexander und den römiſchen
Imperatoren in's Verderben der Democratie eingetre¬
ten, und dann das Chriſtenthum in ihrer Mitte ei¬
nen neuen Prieſterſtaat gegründet, hat es den Nor¬
den zuerſt in den Kreis der Bildung ziehend, dort
aus der noch grünenden Democratie germaniſcher Völ¬
kerſchaften, zuerſt in Carl dem Großen eine neue Welt¬
monarchie heraufgetrieben, und dann über ihr den
großen Prieſterſtaat durch ganz Europa herverbreitet.
Aber als die Krieger mit den Prieſtern unter den
rheinfränkiſchen Kaiſern, mitten in der höchſten Blüthe
ihrer Macht, jene harte Fehde gekämpft, da haben
ſie ſich untereinander aufgerieben; alſo, daß die welt¬
liche Macht zuerſt hingewelkt, und mit den ſchwäbi¬
ſchen Kaiſern der Ruhm und die Stärke Teutſchlands

13*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0203" n="195"/>
die Gewalt in Despotismus ausgeartet, der eine un¬<lb/>
erträgliche La&#x017F;t, auf den Völkern gedrückt; da haben<lb/>
Alle, in denen noch eine Energie und eine gei&#x017F;tige<lb/>
Schnellkraft zurückgeblieben, endlich das Joch von<lb/>
ihrem Nacken abgeworfen, und Democratien &#x017F;ind ent¬<lb/>
&#x017F;tanden, und Winkel und Richtmaaß &#x017F;ind zu Ehren<lb/>
kommen und die Pflug&#x017F;chaar; bürgerliche Tugenden<lb/>
haben nun &#x017F;ich geltend gemacht und republicani&#x017F;cher<lb/>
Sinn; &#x017F;tatt der Ehre Ehrlichkeit, &#x017F;tatt der Heiligung<lb/>
die ethi&#x017F;che Würde, abwärts ruhend auf der mora¬<lb/>
li&#x017F;chen Natur des Men&#x017F;chen und dem Gewi&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
      <p>Das i&#x017F;t der Gang, den die Verfa&#x017F;&#x017F;ung durch das<lb/>
ganze Alterthum, ab&#x017F;teigend von der Höhe über&#x017F;inn¬<lb/>
licher Motive, bis zur &#x017F;innlichen derben, tüchtigen<lb/>
Wirklichkeit genommen; &#x017F;o im Orient; &#x017F;o bey den<lb/>
Griechen aus der Prie&#x017F;terzeit, durch die Heroi&#x017F;che in<lb/>
die Volkszeit; &#x017F;o bey den Römern, deren Theocratie<lb/>
in die Hetruri&#x017F;che aufgeht, die dann unter den Kö¬<lb/>
nigen &#x017F;chnell die zweyte Periode durchlaufen, um zu¬<lb/>
letzt den größten Theil ihrer Dauer mit der Democratie<lb/>
zu erfüllen.</p><lb/>
      <p>Es i&#x017F;t aber im Alterthum nur die eine ab&#x017F;teigende<lb/>
Hälfte der Ge&#x017F;chichte darge&#x017F;tellt; die Neuere i&#x017F;t eben<lb/>
&#x017F;o in umgekehrter Folge bis ins Mittelalter hinan¬<lb/>
ge&#x017F;tiegen. Nachdem dies Auf&#x017F;teigen bey den Völkern<lb/>
der alten Cultur mit Alexander und den römi&#x017F;chen<lb/>
Imperatoren in's Verderben der Democratie eingetre¬<lb/>
ten, und dann das Chri&#x017F;tenthum in ihrer Mitte ei¬<lb/>
nen neuen Prie&#x017F;ter&#x017F;taat gegründet, hat es den Nor¬<lb/>
den zuer&#x017F;t in den Kreis der Bildung ziehend, dort<lb/>
aus der noch grünenden Democratie germani&#x017F;cher Völ¬<lb/>
ker&#x017F;chaften, zuer&#x017F;t in Carl dem Großen eine neue Welt¬<lb/>
monarchie heraufgetrieben, und dann über ihr den<lb/>
großen Prie&#x017F;ter&#x017F;taat durch ganz Europa herverbreitet.<lb/>
Aber als die Krieger mit den Prie&#x017F;tern unter den<lb/>
rheinfränki&#x017F;chen Kai&#x017F;ern, mitten in der höch&#x017F;ten Blüthe<lb/>
ihrer Macht, jene harte Fehde gekämpft, da haben<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich untereinander aufgerieben; al&#x017F;o, daß die welt¬<lb/>
liche Macht zuer&#x017F;t hingewelkt, und mit den &#x017F;chwäbi¬<lb/>
&#x017F;chen Kai&#x017F;ern der Ruhm und die Stärke Teut&#x017F;chlands<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">13*<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0203] die Gewalt in Despotismus ausgeartet, der eine un¬ erträgliche Laſt, auf den Völkern gedrückt; da haben Alle, in denen noch eine Energie und eine geiſtige Schnellkraft zurückgeblieben, endlich das Joch von ihrem Nacken abgeworfen, und Democratien ſind ent¬ ſtanden, und Winkel und Richtmaaß ſind zu Ehren kommen und die Pflugſchaar; bürgerliche Tugenden haben nun ſich geltend gemacht und republicaniſcher Sinn; ſtatt der Ehre Ehrlichkeit, ſtatt der Heiligung die ethiſche Würde, abwärts ruhend auf der mora¬ liſchen Natur des Menſchen und dem Gewiſſen. Das iſt der Gang, den die Verfaſſung durch das ganze Alterthum, abſteigend von der Höhe überſinn¬ licher Motive, bis zur ſinnlichen derben, tüchtigen Wirklichkeit genommen; ſo im Orient; ſo bey den Griechen aus der Prieſterzeit, durch die Heroiſche in die Volkszeit; ſo bey den Römern, deren Theocratie in die Hetruriſche aufgeht, die dann unter den Kö¬ nigen ſchnell die zweyte Periode durchlaufen, um zu¬ letzt den größten Theil ihrer Dauer mit der Democratie zu erfüllen. Es iſt aber im Alterthum nur die eine abſteigende Hälfte der Geſchichte dargeſtellt; die Neuere iſt eben ſo in umgekehrter Folge bis ins Mittelalter hinan¬ geſtiegen. Nachdem dies Aufſteigen bey den Völkern der alten Cultur mit Alexander und den römiſchen Imperatoren in's Verderben der Democratie eingetre¬ ten, und dann das Chriſtenthum in ihrer Mitte ei¬ nen neuen Prieſterſtaat gegründet, hat es den Nor¬ den zuerſt in den Kreis der Bildung ziehend, dort aus der noch grünenden Democratie germaniſcher Völ¬ kerſchaften, zuerſt in Carl dem Großen eine neue Welt¬ monarchie heraufgetrieben, und dann über ihr den großen Prieſterſtaat durch ganz Europa herverbreitet. Aber als die Krieger mit den Prieſtern unter den rheinfränkiſchen Kaiſern, mitten in der höchſten Blüthe ihrer Macht, jene harte Fehde gekämpft, da haben ſie ſich untereinander aufgerieben; alſo, daß die welt¬ liche Macht zuerſt hingewelkt, und mit den ſchwäbi¬ ſchen Kaiſern der Ruhm und die Stärke Teutſchlands 13*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/203
Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/203>, abgerufen am 29.11.2024.