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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

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Reich in jenes Gewimmel kleiner und größerer Tyrannen,
die nur den Schein eines Richters und Oberhauptes
über sich duldeten, aber niederwärts stets fortschreitend
das demokratische Prinzip untergruben und bemeisterten.

Um dies zu bewürken wurden nach und nach jene
Centralisationssysteme ausgesonnen; bis ins Allerein¬
zelnste hin zog der Staat Alles in seine Curatel; auch
das Geringfügigste sollte von der Mitte aus geleitet
seyn; die sogenannte Polizey hofmeisterte von oben
herab alle Glieder der Gemeinschaft bis ins Innere des
Familienlebens hinein; die Kirche selbst wurde zu einem
Werkzeug dieser Politik herabgewürdigt. Aber schwer
rächte sich die mißhandelte Natur an denen, die dies
unsinnige System zu üben sich herausgenommen. Jene
centralisirten Verrichtungen forderten zu ihrer Hand¬
habung Naturen höherer Art, als der gemeine Men¬
schenschlag sie biethet, und fanden meist ohnmächtige
Organe, die in der Regel an Kraft und Einsicht noch
unter jenem Mittelmaaße standen; während von Unten,
wo alle Autonomie mehr und mehr erlahmte, nicht
Hülfe noch Erfrischung der isolirten Gewalt zuströmte.

So wurde diese in dem Maaße, wie sie mit gierigem
Heißhunger um sich fraß, kraftloser und ohnmächtiger;
und in dem Verhältniß wie die Maschiene sich verwik¬
kelte, mochte die schwache Feder, die das Ganze zu
treiben unternommen, weniger den Widerstand bezwin¬
gen, und der Reibung Meister werden. Da alle In¬
stinkte mehr und mehr erloschen, und die Naturtriebe
in sich vergiengen, so wurde die ganze Staatswirth¬
schaft ein künstliches Verstandeswerk ohne Leben und
Natur; wie der Grundbesitz erst in Geld, und dieses
zuletzt in Papier aufgegangen, so wurde alle organische

Reich in jenes Gewimmel kleiner und größerer Tyrannen,
die nur den Schein eines Richters und Oberhauptes
über ſich duldeten, aber niederwärts ſtets fortſchreitend
das demokratiſche Prinzip untergruben und bemeiſterten.

Um dies zu bewürken wurden nach und nach jene
Centraliſationsſyſteme ausgeſonnen; bis ins Allerein¬
zelnſte hin zog der Staat Alles in ſeine Curatel; auch
das Geringfügigſte ſollte von der Mitte aus geleitet
ſeyn; die ſogenannte Polizey hofmeiſterte von oben
herab alle Glieder der Gemeinſchaft bis ins Innere des
Familienlebens hinein; die Kirche ſelbſt wurde zu einem
Werkzeug dieſer Politik herabgewürdigt. Aber ſchwer
rächte ſich die mißhandelte Natur an denen, die dies
unſinnige Syſtem zu üben ſich herausgenommen. Jene
centraliſirten Verrichtungen forderten zu ihrer Hand¬
habung Naturen höherer Art, als der gemeine Men¬
ſchenſchlag ſie biethet, und fanden meiſt ohnmächtige
Organe, die in der Regel an Kraft und Einſicht noch
unter jenem Mittelmaaße ſtanden; während von Unten,
wo alle Autonomie mehr und mehr erlahmte, nicht
Hülfe noch Erfriſchung der iſolirten Gewalt zuſtrömte.

So wurde dieſe in dem Maaße, wie ſie mit gierigem
Heißhunger um ſich fraß, kraftloſer und ohnmächtiger;
und in dem Verhältniß wie die Maſchiene ſich verwik¬
kelte, mochte die ſchwache Feder, die das Ganze zu
treiben unternommen, weniger den Widerſtand bezwin¬
gen, und der Reibung Meiſter werden. Da alle In¬
ſtinkte mehr und mehr erloſchen, und die Naturtriebe
in ſich vergiengen, ſo wurde die ganze Staatswirth¬
ſchaft ein künſtliches Verſtandeswerk ohne Leben und
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[156/0164] Reich in jenes Gewimmel kleiner und größerer Tyrannen, die nur den Schein eines Richters und Oberhauptes über ſich duldeten, aber niederwärts ſtets fortſchreitend das demokratiſche Prinzip untergruben und bemeiſterten. Um dies zu bewürken wurden nach und nach jene Centraliſationsſyſteme ausgeſonnen; bis ins Allerein¬ zelnſte hin zog der Staat Alles in ſeine Curatel; auch das Geringfügigſte ſollte von der Mitte aus geleitet ſeyn; die ſogenannte Polizey hofmeiſterte von oben herab alle Glieder der Gemeinſchaft bis ins Innere des Familienlebens hinein; die Kirche ſelbſt wurde zu einem Werkzeug dieſer Politik herabgewürdigt. Aber ſchwer rächte ſich die mißhandelte Natur an denen, die dies unſinnige Syſtem zu üben ſich herausgenommen. Jene centraliſirten Verrichtungen forderten zu ihrer Hand¬ habung Naturen höherer Art, als der gemeine Men¬ ſchenſchlag ſie biethet, und fanden meiſt ohnmächtige Organe, die in der Regel an Kraft und Einſicht noch unter jenem Mittelmaaße ſtanden; während von Unten, wo alle Autonomie mehr und mehr erlahmte, nicht Hülfe noch Erfriſchung der iſolirten Gewalt zuſtrömte. So wurde dieſe in dem Maaße, wie ſie mit gierigem Heißhunger um ſich fraß, kraftloſer und ohnmächtiger; und in dem Verhältniß wie die Maſchiene ſich verwik¬ kelte, mochte die ſchwache Feder, die das Ganze zu treiben unternommen, weniger den Widerſtand bezwin¬ gen, und der Reibung Meiſter werden. Da alle In¬ ſtinkte mehr und mehr erloſchen, und die Naturtriebe in ſich vergiengen, ſo wurde die ganze Staatswirth¬ ſchaft ein künſtliches Verſtandeswerk ohne Leben und Natur; wie der Grundbeſitz erſt in Geld, und dieſes zuletzt in Papier aufgegangen, ſo wurde alle organiſche

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Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/164>, abgerufen am 26.11.2024.