Wendepunkt seyn wird, wo dieser Geist, der nun auch zu seinem Aeußersten gekommen, gezwungen seyn wird, wieder einer höhern und würdigern Ansicht das Feld zu räumen. Eine Kirche, die bey der teutschen Souverainität zu Hofe gienge, die ihr nachtretend in so viele Faktionen wie jetzt das gemeine Wesen sich zertheilte; die die Gewalt über die Gewissen den Launen, Einfällen, Ge¬ meinheiten und Frivolitäten der Höflinge hinzugeben sich erniedrigte; die ihre Lehre dem Winde der Theo¬ rien preißgäbe, daß er sie hin und herüber wehe, würde bald die verächtlichste aller Institutionen, da nicht einmal ein Bundestag scheinbar die losen Glieder zusammenhielte.
Darum wenn in frühern Zeiten die Vertheidiger der Freyheit sich zu dem Staat gehalten, als es gegolten, einen wirklichen Napoleonism der Päpste zu bekämpfen: dann ist ihr Ort jetzt bey der schmählich unterdrückten Kirche, daß sie ihre Freyheit und Unabhängigkeit gegen die Anmaßungen der Staatsgewalt vertheidigen, und die Idee retten aus den Banden, in denen sie eine usurpirende Macht gefangen hält. Für die katholische Kirche zunächst kann also von keinem Grundsatze der Unterordnung, sondern allein von dem der Beyordnung der weltlichen Macht zur geistlichen die Rede seyn, und die absteigende Bewegung die seit¬ her diese zu jener herabgerissen, muß so lange rück¬ läufig werden, bis es zu jenem Punkte des Gleichge¬ wichts gekommen, wo sie sich dann befestigen mag. Dort kann im wechselseitigen Verhältniß Beyder nur eine vollkommene Gleichheit der Rechte Beyder gültig seyn, allso daß auch für sie das Prinzip der christlichen
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Wendepunkt ſeyn wird, wo dieſer Geiſt, der nun auch zu ſeinem Aeußerſten gekommen, gezwungen ſeyn wird, wieder einer höhern und würdigern Anſicht das Feld zu räumen. Eine Kirche, die bey der teutſchen Souverainität zu Hofe gienge, die ihr nachtretend in ſo viele Faktionen wie jetzt das gemeine Weſen ſich zertheilte; die die Gewalt über die Gewiſſen den Launen, Einfällen, Ge¬ meinheiten und Frivolitäten der Höflinge hinzugeben ſich erniedrigte; die ihre Lehre dem Winde der Theo¬ rien preißgäbe, daß er ſie hin und herüber wehe, würde bald die verächtlichſte aller Inſtitutionen, da nicht einmal ein Bundestag ſcheinbar die loſen Glieder zuſammenhielte.
Darum wenn in frühern Zeiten die Vertheidiger der Freyheit ſich zu dem Staat gehalten, als es gegolten, einen wirklichen Napoleonism der Päpſte zu bekämpfen: dann iſt ihr Ort jetzt bey der ſchmählich unterdrückten Kirche, daß ſie ihre Freyheit und Unabhängigkeit gegen die Anmaßungen der Staatsgewalt vertheidigen, und die Idee retten aus den Banden, in denen ſie eine uſurpirende Macht gefangen hält. Für die katholiſche Kirche zunächſt kann alſo von keinem Grundſatze der Unterordnung, ſondern allein von dem der Beyordnung der weltlichen Macht zur geiſtlichen die Rede ſeyn, und die abſteigende Bewegung die ſeit¬ her dieſe zu jener herabgeriſſen, muß ſo lange rück¬ läufig werden, bis es zu jenem Punkte des Gleichge¬ wichts gekommen, wo ſie ſich dann befeſtigen mag. Dort kann im wechſelſeitigen Verhältniß Beyder nur eine vollkommene Gleichheit der Rechte Beyder gültig ſeyn, allſo daß auch für ſie das Prinzip der chriſtlichen
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Wendepunkt ſeyn wird, wo dieſer Geiſt, der nun
auch zu ſeinem Aeußerſten gekommen, gezwungen
ſeyn wird, wieder einer höhern und würdigern
Anſicht das Feld zu räumen. Eine Kirche, die
bey der teutſchen Souverainität zu Hofe gienge,
die ihr nachtretend in ſo viele Faktionen wie jetzt
das gemeine Weſen ſich zertheilte; die die Gewalt
über die Gewiſſen den Launen, Einfällen, Ge¬
meinheiten und Frivolitäten der Höflinge hinzugeben
ſich erniedrigte; die ihre Lehre dem Winde der Theo¬
rien preißgäbe, daß er ſie hin und herüber wehe,
würde bald die verächtlichſte aller Inſtitutionen, da
nicht einmal ein Bundestag ſcheinbar die loſen Glieder
zuſammenhielte.
Darum wenn in frühern Zeiten die Vertheidiger der
Freyheit ſich zu dem Staat gehalten, als es gegolten,
einen wirklichen Napoleonism der Päpſte zu bekämpfen:
dann iſt ihr Ort jetzt bey der ſchmählich unterdrückten
Kirche, daß ſie ihre Freyheit und Unabhängigkeit gegen
die Anmaßungen der Staatsgewalt vertheidigen, und
die Idee retten aus den Banden, in denen ſie eine
uſurpirende Macht gefangen hält. Für die katholiſche
Kirche zunächſt kann alſo von keinem Grundſatze der
Unterordnung, ſondern allein von dem der
Beyordnung der weltlichen Macht zur geiſtlichen
die Rede ſeyn, und die abſteigende Bewegung die ſeit¬
her dieſe zu jener herabgeriſſen, muß ſo lange rück¬
läufig werden, bis es zu jenem Punkte des Gleichge¬
wichts gekommen, wo ſie ſich dann befeſtigen mag.
Dort kann im wechſelſeitigen Verhältniß Beyder nur
eine vollkommene Gleichheit der Rechte Beyder gültig
ſeyn, allſo daß auch für ſie das Prinzip der chriſtlichen
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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/155>, abgerufen am 20.07.2024.
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