Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

tragen; als seyen sie verschiedene Völkerschaften, sind
sie gegeneinander ausgezogen, und feinden sich gehäs¬
sig an. Jeder für sich baut nach eignen Ansichten
und Interessen sich seine eigne Welt und die ihm be¬
queme Verfassung, aber keine durchgehende Axe will
das Widersprechende vereinen. Nach dem Beyspiele,
das die Höheren gegeben, will keiner zu einem Opfer
sich willig finden; und da alle bürgerliche Ordnung
ein Geben im Nehmen und ein Nehmen im Geben
ist, so will keine Solche sich gestalten, weil nur Neh¬
mer, aber keine Geber zur Stelle sind. In Mitte der
Verwirrung schwanken die Regierungen rathlos und
ungewiß; zürnend haben des Himmels Sterne ihnen
sich verhüllt, der irdische Compaß schwankt und trügt, die
Politik ist ausgegangen, und die Tradition hat sie verlassen;
was ihnen helfen kann, jagt ihnen Furcht ein, wor¬
auf sie Vertrauen haben, zergeht und zerbricht kraftlos in
ihren Händen; ihre Ordnung erscheint der Zeit wie
Pedanterie, und ihnen dafür jede Kraft und Willens¬
macht als Jacobinism. Die da scheiden sollten die
Partheyungen durch ruhige Würde und Gerechtig¬
keit, haben sich selbst unter die Streitenden gemischt,
und indem sie Parthey genommen, werden sie in der
Hitze des Kampfes zertreten mit den Andern.

Besonders auf die Jugend mußte diese Zwie¬
tracht der bewegten Zeit einen merklichen Einfluß
üben. Wenn wirklich aus der Verwesung der ver¬
gangenen Welt ein neuer Geist bildend und neu ge¬
staltend aufsteigen soll, dann muß er nothwendig zu¬
erst in dem neuen Geschlechte geboren werden, das
die werdende Zeit zu beherrschen gesendet ist. Mag

tragen; als ſeyen ſie verſchiedene Völkerſchaften, ſind
ſie gegeneinander ausgezogen, und feinden ſich gehäſ¬
ſig an. Jeder für ſich baut nach eignen Anſichten
und Intereſſen ſich ſeine eigne Welt und die ihm be¬
queme Verfaſſung, aber keine durchgehende Axe will
das Widerſprechende vereinen. Nach dem Beyſpiele,
das die Höheren gegeben, will keiner zu einem Opfer
ſich willig finden; und da alle bürgerliche Ordnung
ein Geben im Nehmen und ein Nehmen im Geben
iſt, ſo will keine Solche ſich geſtalten, weil nur Neh¬
mer, aber keine Geber zur Stelle ſind. In Mitte der
Verwirrung ſchwanken die Regierungen rathlos und
ungewiß; zürnend haben des Himmels Sterne ihnen
ſich verhüllt, der irdiſche Compaß ſchwankt und trügt, die
Politik iſt ausgegangen, und die Tradition hat ſie verlaſſen;
was ihnen helfen kann, jagt ihnen Furcht ein, wor¬
auf ſie Vertrauen haben, zergeht und zerbricht kraftlos in
ihren Händen; ihre Ordnung erſcheint der Zeit wie
Pedanterie, und ihnen dafür jede Kraft und Willens¬
macht als Jacobinism. Die da ſcheiden ſollten die
Partheyungen durch ruhige Würde und Gerechtig¬
keit, haben ſich ſelbſt unter die Streitenden gemiſcht,
und indem ſie Parthey genommen, werden ſie in der
Hitze des Kampfes zertreten mit den Andern.

Beſonders auf die Jugend mußte dieſe Zwie¬
tracht der bewegten Zeit einen merklichen Einfluß
üben. Wenn wirklich aus der Verweſung der ver¬
gangenen Welt ein neuer Geiſt bildend und neu ge¬
ſtaltend aufſteigen ſoll, dann muß er nothwendig zu¬
erſt in dem neuen Geſchlechte geboren werden, das
die werdende Zeit zu beherrſchen geſendet iſt. Mag

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0109" n="101"/>
tragen; als &#x017F;eyen &#x017F;ie ver&#x017F;chiedene Völker&#x017F;chaften, &#x017F;ind<lb/>
&#x017F;ie gegeneinander ausgezogen, und feinden &#x017F;ich gehä&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;ig an. Jeder für &#x017F;ich baut nach eignen An&#x017F;ichten<lb/>
und Intere&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich &#x017F;eine eigne Welt und die ihm be¬<lb/>
queme Verfa&#x017F;&#x017F;ung, aber keine durchgehende Axe will<lb/>
das Wider&#x017F;prechende vereinen. Nach dem Bey&#x017F;piele,<lb/>
das die Höheren gegeben, will keiner zu einem Opfer<lb/>
&#x017F;ich willig finden; und da alle bürgerliche Ordnung<lb/>
ein Geben im Nehmen und ein Nehmen im Geben<lb/>
i&#x017F;t, &#x017F;o will keine Solche &#x017F;ich ge&#x017F;talten, weil nur Neh¬<lb/>
mer, aber keine Geber zur Stelle &#x017F;ind. In Mitte der<lb/>
Verwirrung &#x017F;chwanken die Regierungen rathlos und<lb/>
ungewiß; zürnend haben des Himmels Sterne ihnen<lb/>
&#x017F;ich verhüllt, der irdi&#x017F;che Compaß &#x017F;chwankt und trügt, die<lb/>
Politik i&#x017F;t ausgegangen, und die Tradition hat &#x017F;ie verla&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
was ihnen helfen kann, jagt ihnen Furcht ein, wor¬<lb/>
auf &#x017F;ie Vertrauen haben, zergeht und zerbricht kraftlos in<lb/>
ihren Händen; ihre Ordnung er&#x017F;cheint der Zeit wie<lb/>
Pedanterie, und ihnen dafür jede Kraft und Willens¬<lb/>
macht als Jacobinism. Die da &#x017F;cheiden &#x017F;ollten die<lb/>
Partheyungen durch ruhige Würde und Gerechtig¬<lb/>
keit, haben &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t unter die Streitenden gemi&#x017F;cht,<lb/>
und indem &#x017F;ie Parthey genommen, werden &#x017F;ie in der<lb/>
Hitze des Kampfes zertreten mit den Andern.</p><lb/>
      <p>Be&#x017F;onders auf die Jugend mußte die&#x017F;e Zwie¬<lb/>
tracht der bewegten Zeit einen merklichen Einfluß<lb/>
üben. Wenn wirklich aus der Verwe&#x017F;ung der ver¬<lb/>
gangenen Welt ein neuer Gei&#x017F;t bildend und neu ge¬<lb/>
&#x017F;taltend auf&#x017F;teigen &#x017F;oll, dann muß er nothwendig zu¬<lb/>
er&#x017F;t in dem neuen Ge&#x017F;chlechte geboren werden, das<lb/>
die werdende Zeit zu beherr&#x017F;chen ge&#x017F;endet i&#x017F;t. Mag<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0109] tragen; als ſeyen ſie verſchiedene Völkerſchaften, ſind ſie gegeneinander ausgezogen, und feinden ſich gehäſ¬ ſig an. Jeder für ſich baut nach eignen Anſichten und Intereſſen ſich ſeine eigne Welt und die ihm be¬ queme Verfaſſung, aber keine durchgehende Axe will das Widerſprechende vereinen. Nach dem Beyſpiele, das die Höheren gegeben, will keiner zu einem Opfer ſich willig finden; und da alle bürgerliche Ordnung ein Geben im Nehmen und ein Nehmen im Geben iſt, ſo will keine Solche ſich geſtalten, weil nur Neh¬ mer, aber keine Geber zur Stelle ſind. In Mitte der Verwirrung ſchwanken die Regierungen rathlos und ungewiß; zürnend haben des Himmels Sterne ihnen ſich verhüllt, der irdiſche Compaß ſchwankt und trügt, die Politik iſt ausgegangen, und die Tradition hat ſie verlaſſen; was ihnen helfen kann, jagt ihnen Furcht ein, wor¬ auf ſie Vertrauen haben, zergeht und zerbricht kraftlos in ihren Händen; ihre Ordnung erſcheint der Zeit wie Pedanterie, und ihnen dafür jede Kraft und Willens¬ macht als Jacobinism. Die da ſcheiden ſollten die Partheyungen durch ruhige Würde und Gerechtig¬ keit, haben ſich ſelbſt unter die Streitenden gemiſcht, und indem ſie Parthey genommen, werden ſie in der Hitze des Kampfes zertreten mit den Andern. Beſonders auf die Jugend mußte dieſe Zwie¬ tracht der bewegten Zeit einen merklichen Einfluß üben. Wenn wirklich aus der Verweſung der ver¬ gangenen Welt ein neuer Geiſt bildend und neu ge¬ ſtaltend aufſteigen ſoll, dann muß er nothwendig zu¬ erſt in dem neuen Geſchlechte geboren werden, das die werdende Zeit zu beherrſchen geſendet iſt. Mag

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/109
Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/109>, abgerufen am 24.11.2024.