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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

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die werden billig als tolle Narren an die Kette gelegt,
ob sie etwa noch lernen die Geschmeidigkeit, die jene
mit stets heiterer Stirne durch alle Schande durch¬
geführt. Die aber stehen eben so billig oben an, die
wenn sie mit dem Feinde gezettelt, und ihm jede sich
gegen die Knechtschaft erhebende Reaktion verrathen
haben, später ihr Thun mit der großen Zeit zu ent¬
schuldigen frech genug gewesen.

In solcher gänzlichen Umkehr binnen so kurzer Frist
aber hat sich nothwendig der ganze Ideenkreis der be¬
dächtigen Teutschen verwirrt, verschoben und umge¬
kehrt. Den Einen ist alles Historische ein Aberglaube;
den Andern jede Vertheidigung des guten Rechts ein
revolutionärer Greuel; in toller Verwirrung treiben
die Meinungen durcheinander; kein Grundsatz steht
fest, kein Band hält die bunte Gedankenwelt in sich
zusammen; keines knüpft was gestern galt, an das
was Morgen gelten wird; ein kurzes, stets kürzerwer¬
dendes Gedächtniß vergräbt das Vergangene in glück¬
liche Vergessenheit. Nach den Einen sind zwar nur
vortreffliche Fürsten im ganzen teutschen Lande, aber
ein verruchter Adel ist eingewandert, der alles Ue¬
bels Ursprung, Mitte und Ende seine Zwingburgen
wieder zu bauen denkt, um dort Wegelagerung zu
üben, und ob zwar ohne Fäuste, doch das Faust¬
recht zurück zu führen. Nach den Andern ist eine
Gattung Jacobiner im Reiche aufgestanden, die eine
unterirrdische Revolution betreiben, und nachdem alle
vornehme Hälse abgeschnitten, die eine und untheil¬
bare Republik errichten werden. Nicht mehr Glieder
eines Leibes wollen die verschiednen Stände sich ver¬

die werden billig als tolle Narren an die Kette gelegt,
ob ſie etwa noch lernen die Geſchmeidigkeit, die jene
mit ſtets heiterer Stirne durch alle Schande durch¬
geführt. Die aber ſtehen eben ſo billig oben an, die
wenn ſie mit dem Feinde gezettelt, und ihm jede ſich
gegen die Knechtſchaft erhebende Reaktion verrathen
haben, ſpäter ihr Thun mit der großen Zeit zu ent¬
ſchuldigen frech genug geweſen.

In ſolcher gänzlichen Umkehr binnen ſo kurzer Friſt
aber hat ſich nothwendig der ganze Ideenkreis der be¬
dächtigen Teutſchen verwirrt, verſchoben und umge¬
kehrt. Den Einen iſt alles Hiſtoriſche ein Aberglaube;
den Andern jede Vertheidigung des guten Rechts ein
revolutionärer Greuel; in toller Verwirrung treiben
die Meinungen durcheinander; kein Grundſatz ſteht
feſt, kein Band hält die bunte Gedankenwelt in ſich
zuſammen; keines knüpft was geſtern galt, an das
was Morgen gelten wird; ein kurzes, ſtets kürzerwer¬
dendes Gedächtniß vergräbt das Vergangene in glück¬
liche Vergeſſenheit. Nach den Einen ſind zwar nur
vortreffliche Fürſten im ganzen teutſchen Lande, aber
ein verruchter Adel iſt eingewandert, der alles Ue¬
bels Urſprung, Mitte und Ende ſeine Zwingburgen
wieder zu bauen denkt, um dort Wegelagerung zu
üben, und ob zwar ohne Fäuſte, doch das Fauſt¬
recht zurück zu führen. Nach den Andern iſt eine
Gattung Jacobiner im Reiche aufgeſtanden, die eine
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[100/0108] die werden billig als tolle Narren an die Kette gelegt, ob ſie etwa noch lernen die Geſchmeidigkeit, die jene mit ſtets heiterer Stirne durch alle Schande durch¬ geführt. Die aber ſtehen eben ſo billig oben an, die wenn ſie mit dem Feinde gezettelt, und ihm jede ſich gegen die Knechtſchaft erhebende Reaktion verrathen haben, ſpäter ihr Thun mit der großen Zeit zu ent¬ ſchuldigen frech genug geweſen. In ſolcher gänzlichen Umkehr binnen ſo kurzer Friſt aber hat ſich nothwendig der ganze Ideenkreis der be¬ dächtigen Teutſchen verwirrt, verſchoben und umge¬ kehrt. Den Einen iſt alles Hiſtoriſche ein Aberglaube; den Andern jede Vertheidigung des guten Rechts ein revolutionärer Greuel; in toller Verwirrung treiben die Meinungen durcheinander; kein Grundſatz ſteht feſt, kein Band hält die bunte Gedankenwelt in ſich zuſammen; keines knüpft was geſtern galt, an das was Morgen gelten wird; ein kurzes, ſtets kürzerwer¬ dendes Gedächtniß vergräbt das Vergangene in glück¬ liche Vergeſſenheit. Nach den Einen ſind zwar nur vortreffliche Fürſten im ganzen teutſchen Lande, aber ein verruchter Adel iſt eingewandert, der alles Ue¬ bels Urſprung, Mitte und Ende ſeine Zwingburgen wieder zu bauen denkt, um dort Wegelagerung zu üben, und ob zwar ohne Fäuſte, doch das Fauſt¬ recht zurück zu führen. Nach den Andern iſt eine Gattung Jacobiner im Reiche aufgeſtanden, die eine unterirrdiſche Revolution betreiben, und nachdem alle vornehme Hälſe abgeſchnitten, die eine und untheil¬ bare Republik errichten werden. Nicht mehr Glieder eines Leibes wollen die verſchiednen Stände ſich ver¬

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Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/108>, abgerufen am 24.11.2024.