Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.kam sie wieder und hatte die Tasche voll Fünffrankenthaler -- die sollte die Mariannette haben, wenn sie sich entschloß, ihr eigenes Kindchen, im Fall die kleine Clausdine sterben sollte, der Müllerin zu überlassen. Die Marianette wollte sich nicht dazu verstehen, da gab ihr die Müllerin Bedenkzeit und ließ ihr inzwischen das Geld. Das nächste Mal aber, als sie wieder kam, lag ihr Kindchen im Sterben, und das Geld war längst in den Händen des Prosper. Und nun redete die Müllerin der Mariannette noch eifriger zu; versprach ihr noch ein paar hundert Francs, stellte ihr vor, wie gut es ihre Kleine als reiche Müllerstochter haben würde, und wie viel leichter sich der Prosper zum Heirathen entschließen würde, wenn er von der Sorge für das Stiefkind befreit wäre. So habe ich mich vom Teufel blenden lassen und habe mein eigen Fleisch und Blut verkauft, sagte die Mariannette, und man brauchte nur den Ton zu hören, in dem sie's sagte, um zu wissen, wie sie's bereute und wie schwer sie dafür gestraft worden war. Den Tausch der Kinder machte die Abgeschiedenheit, in der die Mariannette gelebt hatte, sehr leicht. Seit Monaten war keine Menschenseele in die Waldhütte gekommen, außer dem Prosper Babiche, und der hatte die kleinen Geschöpfe kaum angesehen. So ging denn auch Alles glatt und gut von statten; sogar der Müller, den die Krankheit auch im Geist schwach gemacht haben mochte, ließ sich hinters Licht führen, war kam sie wieder und hatte die Tasche voll Fünffrankenthaler — die sollte die Mariannette haben, wenn sie sich entschloß, ihr eigenes Kindchen, im Fall die kleine Clausdine sterben sollte, der Müllerin zu überlassen. Die Marianette wollte sich nicht dazu verstehen, da gab ihr die Müllerin Bedenkzeit und ließ ihr inzwischen das Geld. Das nächste Mal aber, als sie wieder kam, lag ihr Kindchen im Sterben, und das Geld war längst in den Händen des Prosper. Und nun redete die Müllerin der Mariannette noch eifriger zu; versprach ihr noch ein paar hundert Francs, stellte ihr vor, wie gut es ihre Kleine als reiche Müllerstochter haben würde, und wie viel leichter sich der Prosper zum Heirathen entschließen würde, wenn er von der Sorge für das Stiefkind befreit wäre. So habe ich mich vom Teufel blenden lassen und habe mein eigen Fleisch und Blut verkauft, sagte die Mariannette, und man brauchte nur den Ton zu hören, in dem sie's sagte, um zu wissen, wie sie's bereute und wie schwer sie dafür gestraft worden war. Den Tausch der Kinder machte die Abgeschiedenheit, in der die Mariannette gelebt hatte, sehr leicht. Seit Monaten war keine Menschenseele in die Waldhütte gekommen, außer dem Prosper Babiche, und der hatte die kleinen Geschöpfe kaum angesehen. So ging denn auch Alles glatt und gut von statten; sogar der Müller, den die Krankheit auch im Geist schwach gemacht haben mochte, ließ sich hinters Licht führen, war <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0069"/> kam sie wieder und hatte die Tasche voll Fünffrankenthaler — die sollte die Mariannette haben, wenn sie sich entschloß, ihr eigenes Kindchen, im Fall die kleine Clausdine sterben sollte, der Müllerin zu überlassen. Die Marianette wollte sich nicht dazu verstehen, da gab ihr die Müllerin Bedenkzeit und ließ ihr inzwischen das Geld. Das nächste Mal aber, als sie wieder kam, lag ihr Kindchen im Sterben, und das Geld war längst in den Händen des Prosper.</p><lb/> <p>Und nun redete die Müllerin der Mariannette noch eifriger zu; versprach ihr noch ein paar hundert Francs, stellte ihr vor, wie gut es ihre Kleine als reiche Müllerstochter haben würde, und wie viel leichter sich der Prosper zum Heirathen entschließen würde, wenn er von der Sorge für das Stiefkind befreit wäre. So habe ich mich vom Teufel blenden lassen und habe mein eigen Fleisch und Blut verkauft, sagte die Mariannette, und man brauchte nur den Ton zu hören, in dem sie's sagte, um zu wissen, wie sie's bereute und wie schwer sie dafür gestraft worden war.</p><lb/> <p>Den Tausch der Kinder machte die Abgeschiedenheit, in der die Mariannette gelebt hatte, sehr leicht. Seit Monaten war keine Menschenseele in die Waldhütte gekommen, außer dem Prosper Babiche, und der hatte die kleinen Geschöpfe kaum angesehen. So ging denn auch Alles glatt und gut von statten; sogar der Müller, den die Krankheit auch im Geist schwach gemacht haben mochte, ließ sich hinters Licht führen, war<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0069]
kam sie wieder und hatte die Tasche voll Fünffrankenthaler — die sollte die Mariannette haben, wenn sie sich entschloß, ihr eigenes Kindchen, im Fall die kleine Clausdine sterben sollte, der Müllerin zu überlassen. Die Marianette wollte sich nicht dazu verstehen, da gab ihr die Müllerin Bedenkzeit und ließ ihr inzwischen das Geld. Das nächste Mal aber, als sie wieder kam, lag ihr Kindchen im Sterben, und das Geld war längst in den Händen des Prosper.
Und nun redete die Müllerin der Mariannette noch eifriger zu; versprach ihr noch ein paar hundert Francs, stellte ihr vor, wie gut es ihre Kleine als reiche Müllerstochter haben würde, und wie viel leichter sich der Prosper zum Heirathen entschließen würde, wenn er von der Sorge für das Stiefkind befreit wäre. So habe ich mich vom Teufel blenden lassen und habe mein eigen Fleisch und Blut verkauft, sagte die Mariannette, und man brauchte nur den Ton zu hören, in dem sie's sagte, um zu wissen, wie sie's bereute und wie schwer sie dafür gestraft worden war.
Den Tausch der Kinder machte die Abgeschiedenheit, in der die Mariannette gelebt hatte, sehr leicht. Seit Monaten war keine Menschenseele in die Waldhütte gekommen, außer dem Prosper Babiche, und der hatte die kleinen Geschöpfe kaum angesehen. So ging denn auch Alles glatt und gut von statten; sogar der Müller, den die Krankheit auch im Geist schwach gemacht haben mochte, ließ sich hinters Licht führen, war
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Zitationshilfe: | Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910/69>, abgerufen am 23.07.2024. |