Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Die Müllerin antwortete durch ein häßliches, hartes Lachen. Versucht's! sagte sie dann; wer wird's Euch glauben? Jetzt hielt ich's nicht länger aus. Ich glaub's ihr! rief ich, indem ich aus meinem Verschlage hervortrat. Beide Frauen schrieen laut auf, aber die Müllerin faßte sich schnell, und während Mariannette auf den nächsten Schemel sank und ihr Gesicht in die Schürze drückte, sagte sie spöttisch: Macht keinen Unsinn, Cadet Caduchon! Eure Schwester ist, seit sie das viele Unglück gehabt hat, etwas verwirrt im Kopfe. Fragt nur die Leute von St. Benoeit, da werdet Ihr zum Beispiel hören, daß sie eines schönen Tages Hausgeräth, Kleider, Leinwand und sogar eine Kuh gekauft hat, unter dem Vorgeben, sie hätte eine kleine Erbschaft gemacht. Als die Verkäufer dann aber Geld haben wollten, hatte sie nichts. Ein anderes Mal erzählte sie im ganzen Dorfe: der Prosper Babiche, ein wüster Bursche, der nichts that als trinken, spielen und den Mädchen nachlaufen, hätte gedroht, sich umzubringen, wenn sie ihn nicht heirathe, und so hätte sie sich entschlossen, ihn zu nehmen. Denselben Tag ging er aber mit dem Schankmädchen aus der Rothen Ente auf und davon. Wenn die Mariannette heute nun die Behauptung aufstellte, meine Claudine wäre ihr Kind, so würden Vernünftige wissen, was davon zu halten ist. Uebrigens ist ja das Todtenregister da. Die Müllerin antwortete durch ein häßliches, hartes Lachen. Versucht's! sagte sie dann; wer wird's Euch glauben? Jetzt hielt ich's nicht länger aus. Ich glaub's ihr! rief ich, indem ich aus meinem Verschlage hervortrat. Beide Frauen schrieen laut auf, aber die Müllerin faßte sich schnell, und während Mariannette auf den nächsten Schemel sank und ihr Gesicht in die Schürze drückte, sagte sie spöttisch: Macht keinen Unsinn, Cadet Caduchon! Eure Schwester ist, seit sie das viele Unglück gehabt hat, etwas verwirrt im Kopfe. Fragt nur die Leute von St. Benoît, da werdet Ihr zum Beispiel hören, daß sie eines schönen Tages Hausgeräth, Kleider, Leinwand und sogar eine Kuh gekauft hat, unter dem Vorgeben, sie hätte eine kleine Erbschaft gemacht. Als die Verkäufer dann aber Geld haben wollten, hatte sie nichts. Ein anderes Mal erzählte sie im ganzen Dorfe: der Prosper Babiche, ein wüster Bursche, der nichts that als trinken, spielen und den Mädchen nachlaufen, hätte gedroht, sich umzubringen, wenn sie ihn nicht heirathe, und so hätte sie sich entschlossen, ihn zu nehmen. Denselben Tag ging er aber mit dem Schankmädchen aus der Rothen Ente auf und davon. Wenn die Mariannette heute nun die Behauptung aufstellte, meine Claudine wäre ihr Kind, so würden Vernünftige wissen, was davon zu halten ist. Uebrigens ist ja das Todtenregister da. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <pb facs="#f0062"/> <p>Die Müllerin antwortete durch ein häßliches, hartes Lachen.</p><lb/> <p>Versucht's! sagte sie dann; wer wird's Euch glauben?</p><lb/> <p>Jetzt hielt ich's nicht länger aus.</p><lb/> <p>Ich glaub's ihr! rief ich, indem ich aus meinem Verschlage hervortrat. Beide Frauen schrieen laut auf, aber die Müllerin faßte sich schnell, und während Mariannette auf den nächsten Schemel sank und ihr Gesicht in die Schürze drückte, sagte sie spöttisch: Macht keinen Unsinn, Cadet Caduchon! Eure Schwester ist, seit sie das viele Unglück gehabt hat, etwas verwirrt im Kopfe. Fragt nur die Leute von St. Benoît, da werdet Ihr zum Beispiel hören, daß sie eines schönen Tages Hausgeräth, Kleider, Leinwand und sogar eine Kuh gekauft hat, unter dem Vorgeben, sie hätte eine kleine Erbschaft gemacht. Als die Verkäufer dann aber Geld haben wollten, hatte sie nichts. Ein anderes Mal erzählte sie im ganzen Dorfe: der Prosper Babiche, ein wüster Bursche, der nichts that als trinken, spielen und den Mädchen nachlaufen, hätte gedroht, sich umzubringen, wenn sie ihn nicht heirathe, und so hätte sie sich entschlossen, ihn zu nehmen. Denselben Tag ging er aber mit dem Schankmädchen aus der Rothen Ente auf und davon. Wenn die Mariannette heute nun die Behauptung aufstellte, meine Claudine wäre ihr Kind, so würden Vernünftige wissen, was davon zu halten ist. Uebrigens ist ja das Todtenregister da.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0062]
Die Müllerin antwortete durch ein häßliches, hartes Lachen.
Versucht's! sagte sie dann; wer wird's Euch glauben?
Jetzt hielt ich's nicht länger aus.
Ich glaub's ihr! rief ich, indem ich aus meinem Verschlage hervortrat. Beide Frauen schrieen laut auf, aber die Müllerin faßte sich schnell, und während Mariannette auf den nächsten Schemel sank und ihr Gesicht in die Schürze drückte, sagte sie spöttisch: Macht keinen Unsinn, Cadet Caduchon! Eure Schwester ist, seit sie das viele Unglück gehabt hat, etwas verwirrt im Kopfe. Fragt nur die Leute von St. Benoît, da werdet Ihr zum Beispiel hören, daß sie eines schönen Tages Hausgeräth, Kleider, Leinwand und sogar eine Kuh gekauft hat, unter dem Vorgeben, sie hätte eine kleine Erbschaft gemacht. Als die Verkäufer dann aber Geld haben wollten, hatte sie nichts. Ein anderes Mal erzählte sie im ganzen Dorfe: der Prosper Babiche, ein wüster Bursche, der nichts that als trinken, spielen und den Mädchen nachlaufen, hätte gedroht, sich umzubringen, wenn sie ihn nicht heirathe, und so hätte sie sich entschlossen, ihn zu nehmen. Denselben Tag ging er aber mit dem Schankmädchen aus der Rothen Ente auf und davon. Wenn die Mariannette heute nun die Behauptung aufstellte, meine Claudine wäre ihr Kind, so würden Vernünftige wissen, was davon zu halten ist. Uebrigens ist ja das Todtenregister da.
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Zitationshilfe: | Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910/62>, abgerufen am 16.02.2025. |