Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.auch nicht einen Augenblick gewartet werden solle; ihre Gäste stimmten eifrig bei, setzten sich zu Tisch, und bald war der Sünder vergessen, denn köstliche fette Kohlsuppe, Rindfleisch mit stark gepfefferter Tomatensauce, Lammbraten, Hühner, Omeletten und der beste Wein aus Bardet's Keller nahmen die Aufmerksamkeit in Anspruch. Nur der Henriot sah immer wieder von seinem Ehrenplatz verstohlen nach der Thür, ob der Francois nicht noch käme, während Claudine dem Himmel dankte, daß sein Platz am Tische leer blieb. Seine Augen würden ihr diese Stunde sehr erschwert haben. Jetzt aber wechselte sie kaum die Farbe, als sich ihr Stiefvater beim Auftragen des Kuchens erhob und die Verlobung seiner Tochter Claudine mit dem Basil Henriot von Aressi verkündigte; ruhig gab sie dem Bräutigam den Handschlag, und ruhig nahm sie neben dem verlegen lächelnden Henriot die Glückwünsche der Verwandten in Empfang, die -- wie es der Gebrauch verlangte -- einzeln herantraten, um Braut und Bräutigam die Hand zu schütteln. Aber dies war nur der erste Act der Feierlichkeit! Nicht umsonst hatte Pierre Bardet die Verlobung auf den Tag des Dorffestes verlegt -- ganz Jurancon sollte gratuliren und ihn um die Verwandtschaft mit dem reichen Henriot beneiden. Macht, daß wir hinauskommen, mahnte er. Hört nur, wie lustig es schon zugeht. Vorwärts, Henriot, gebt der Claudine den Arm, wir Anderen folgen auch nicht einen Augenblick gewartet werden solle; ihre Gäste stimmten eifrig bei, setzten sich zu Tisch, und bald war der Sünder vergessen, denn köstliche fette Kohlsuppe, Rindfleisch mit stark gepfefferter Tomatensauce, Lammbraten, Hühner, Omeletten und der beste Wein aus Bardet's Keller nahmen die Aufmerksamkeit in Anspruch. Nur der Henriot sah immer wieder von seinem Ehrenplatz verstohlen nach der Thür, ob der François nicht noch käme, während Claudine dem Himmel dankte, daß sein Platz am Tische leer blieb. Seine Augen würden ihr diese Stunde sehr erschwert haben. Jetzt aber wechselte sie kaum die Farbe, als sich ihr Stiefvater beim Auftragen des Kuchens erhob und die Verlobung seiner Tochter Claudine mit dem Basil Henriot von Aressi verkündigte; ruhig gab sie dem Bräutigam den Handschlag, und ruhig nahm sie neben dem verlegen lächelnden Henriot die Glückwünsche der Verwandten in Empfang, die — wie es der Gebrauch verlangte — einzeln herantraten, um Braut und Bräutigam die Hand zu schütteln. Aber dies war nur der erste Act der Feierlichkeit! Nicht umsonst hatte Pierre Bardet die Verlobung auf den Tag des Dorffestes verlegt — ganz Jurançon sollte gratuliren und ihn um die Verwandtschaft mit dem reichen Henriot beneiden. Macht, daß wir hinauskommen, mahnte er. Hört nur, wie lustig es schon zugeht. Vorwärts, Henriot, gebt der Claudine den Arm, wir Anderen folgen <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0035"/> auch nicht einen Augenblick gewartet werden solle; ihre Gäste stimmten eifrig bei, setzten sich zu Tisch, und bald war der Sünder vergessen, denn köstliche fette Kohlsuppe, Rindfleisch mit stark gepfefferter Tomatensauce, Lammbraten, Hühner, Omeletten und der beste Wein aus Bardet's Keller nahmen die Aufmerksamkeit in Anspruch. Nur der Henriot sah immer wieder von seinem Ehrenplatz verstohlen nach der Thür, ob der François nicht noch käme, während Claudine dem Himmel dankte, daß sein Platz am Tische leer blieb. Seine Augen würden ihr diese Stunde sehr erschwert haben.</p><lb/> <p>Jetzt aber wechselte sie kaum die Farbe, als sich ihr Stiefvater beim Auftragen des Kuchens erhob und die Verlobung seiner Tochter Claudine mit dem Basil Henriot von Aressi verkündigte; ruhig gab sie dem Bräutigam den Handschlag, und ruhig nahm sie neben dem verlegen lächelnden Henriot die Glückwünsche der Verwandten in Empfang, die — wie es der Gebrauch verlangte — einzeln herantraten, um Braut und Bräutigam die Hand zu schütteln.</p><lb/> <p>Aber dies war nur der erste Act der Feierlichkeit! Nicht umsonst hatte Pierre Bardet die Verlobung auf den Tag des Dorffestes verlegt — ganz Jurançon sollte gratuliren und ihn um die Verwandtschaft mit dem reichen Henriot beneiden.</p><lb/> <p>Macht, daß wir hinauskommen, mahnte er. Hört nur, wie lustig es schon zugeht. Vorwärts, Henriot, gebt der Claudine den Arm, wir Anderen folgen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0035]
auch nicht einen Augenblick gewartet werden solle; ihre Gäste stimmten eifrig bei, setzten sich zu Tisch, und bald war der Sünder vergessen, denn köstliche fette Kohlsuppe, Rindfleisch mit stark gepfefferter Tomatensauce, Lammbraten, Hühner, Omeletten und der beste Wein aus Bardet's Keller nahmen die Aufmerksamkeit in Anspruch. Nur der Henriot sah immer wieder von seinem Ehrenplatz verstohlen nach der Thür, ob der François nicht noch käme, während Claudine dem Himmel dankte, daß sein Platz am Tische leer blieb. Seine Augen würden ihr diese Stunde sehr erschwert haben.
Jetzt aber wechselte sie kaum die Farbe, als sich ihr Stiefvater beim Auftragen des Kuchens erhob und die Verlobung seiner Tochter Claudine mit dem Basil Henriot von Aressi verkündigte; ruhig gab sie dem Bräutigam den Handschlag, und ruhig nahm sie neben dem verlegen lächelnden Henriot die Glückwünsche der Verwandten in Empfang, die — wie es der Gebrauch verlangte — einzeln herantraten, um Braut und Bräutigam die Hand zu schütteln.
Aber dies war nur der erste Act der Feierlichkeit! Nicht umsonst hatte Pierre Bardet die Verlobung auf den Tag des Dorffestes verlegt — ganz Jurançon sollte gratuliren und ihn um die Verwandtschaft mit dem reichen Henriot beneiden.
Macht, daß wir hinauskommen, mahnte er. Hört nur, wie lustig es schon zugeht. Vorwärts, Henriot, gebt der Claudine den Arm, wir Anderen folgen
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Zitationshilfe: | Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910/35>, abgerufen am 23.07.2024. |