Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und mit Lächeln und Augenwinken dankten, wenn aus den Gruppen der Zuschauer, unter denen sich eine Menge fremder Gäste befanden, der Ausruf: hero beroyo! (sehr schön!) gehört wurde. Die jungen Mädchen hatten sich dem Fest zu Ehren nach Kräften geputzt; sie trugen grellfarbige Kleider und Kopftücher, große Ohrgehänge, Broschen und Kreuze von Gold oder Silber, aber Francois hatte keinen Sinn für diese Pracht. Claudinens dunkler, schmuckloser Anzug gefiel ihm besser, und die blühendsten Wangen, die lachendsten Augen, die anmuthigsten Farben erschienen ihm nicht so reizend, wie ihre hohe, schlanke Gestalt, ihr ernstes, blasses Gesicht mit den ernsten, dunklen Augen. Sie war nicht immer so gewesen. Seine Erinnerung zeigte sie ihm rosig, neckisch, übermüthig wie nur Eine. Immer hatte sie ein Lied auf den Lippen gehabt, und wenn sie ging, sah es aus, als ob sie tanzte. Plötzlich war es anders geworden. Francois preßte die Hände zusammen. Heilige Mutter Gottes! hatte er nicht die erste Veränderung an ihr bemerkt, als er, von seinen Brandwunden genesen, zum ersten Mal wieder in die Mühle gekommen war? Und damals, das hatte sie ihm heute gestanden -- war ihr klar geworden, daß sie ihn lieb hatte und daß sie ihn aufgeben mußte. War es möglich, daß er ihr mit seinen Vorwürfen Unrecht gethan? War sie unglücklich, wie und mit Lächeln und Augenwinken dankten, wenn aus den Gruppen der Zuschauer, unter denen sich eine Menge fremder Gäste befanden, der Ausruf: héro béroyo! (sehr schön!) gehört wurde. Die jungen Mädchen hatten sich dem Fest zu Ehren nach Kräften geputzt; sie trugen grellfarbige Kleider und Kopftücher, große Ohrgehänge, Broschen und Kreuze von Gold oder Silber, aber François hatte keinen Sinn für diese Pracht. Claudinens dunkler, schmuckloser Anzug gefiel ihm besser, und die blühendsten Wangen, die lachendsten Augen, die anmuthigsten Farben erschienen ihm nicht so reizend, wie ihre hohe, schlanke Gestalt, ihr ernstes, blasses Gesicht mit den ernsten, dunklen Augen. Sie war nicht immer so gewesen. Seine Erinnerung zeigte sie ihm rosig, neckisch, übermüthig wie nur Eine. Immer hatte sie ein Lied auf den Lippen gehabt, und wenn sie ging, sah es aus, als ob sie tanzte. Plötzlich war es anders geworden. François preßte die Hände zusammen. Heilige Mutter Gottes! hatte er nicht die erste Veränderung an ihr bemerkt, als er, von seinen Brandwunden genesen, zum ersten Mal wieder in die Mühle gekommen war? Und damals, das hatte sie ihm heute gestanden — war ihr klar geworden, daß sie ihn lieb hatte und daß sie ihn aufgeben mußte. War es möglich, daß er ihr mit seinen Vorwürfen Unrecht gethan? War sie unglücklich, wie <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0032"/> und mit Lächeln und Augenwinken dankten, wenn aus den Gruppen der Zuschauer, unter denen sich eine Menge fremder Gäste befanden, der Ausruf: héro béroyo! (sehr schön!) gehört wurde.</p><lb/> <p>Die jungen Mädchen hatten sich dem Fest zu Ehren nach Kräften geputzt; sie trugen grellfarbige Kleider und Kopftücher, große Ohrgehänge, Broschen und Kreuze von Gold oder Silber, aber François hatte keinen Sinn für diese Pracht. Claudinens dunkler, schmuckloser Anzug gefiel ihm besser, und die blühendsten Wangen, die lachendsten Augen, die anmuthigsten Farben erschienen ihm nicht so reizend, wie ihre hohe, schlanke Gestalt, ihr ernstes, blasses Gesicht mit den ernsten, dunklen Augen.</p><lb/> <p>Sie war nicht immer so gewesen. Seine Erinnerung zeigte sie ihm rosig, neckisch, übermüthig wie nur Eine. Immer hatte sie ein Lied auf den Lippen gehabt, und wenn sie ging, sah es aus, als ob sie tanzte.</p><lb/> <p>Plötzlich war es anders geworden. François preßte die Hände zusammen. Heilige Mutter Gottes! hatte er nicht die erste Veränderung an ihr bemerkt, als er, von seinen Brandwunden genesen, zum ersten Mal wieder in die Mühle gekommen war? Und damals, das hatte sie ihm heute gestanden — war ihr klar geworden, daß sie ihn lieb hatte und daß sie ihn aufgeben mußte. War es möglich, daß er ihr mit seinen Vorwürfen Unrecht gethan? War sie unglücklich, wie<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
und mit Lächeln und Augenwinken dankten, wenn aus den Gruppen der Zuschauer, unter denen sich eine Menge fremder Gäste befanden, der Ausruf: héro béroyo! (sehr schön!) gehört wurde.
Die jungen Mädchen hatten sich dem Fest zu Ehren nach Kräften geputzt; sie trugen grellfarbige Kleider und Kopftücher, große Ohrgehänge, Broschen und Kreuze von Gold oder Silber, aber François hatte keinen Sinn für diese Pracht. Claudinens dunkler, schmuckloser Anzug gefiel ihm besser, und die blühendsten Wangen, die lachendsten Augen, die anmuthigsten Farben erschienen ihm nicht so reizend, wie ihre hohe, schlanke Gestalt, ihr ernstes, blasses Gesicht mit den ernsten, dunklen Augen.
Sie war nicht immer so gewesen. Seine Erinnerung zeigte sie ihm rosig, neckisch, übermüthig wie nur Eine. Immer hatte sie ein Lied auf den Lippen gehabt, und wenn sie ging, sah es aus, als ob sie tanzte.
Plötzlich war es anders geworden. François preßte die Hände zusammen. Heilige Mutter Gottes! hatte er nicht die erste Veränderung an ihr bemerkt, als er, von seinen Brandwunden genesen, zum ersten Mal wieder in die Mühle gekommen war? Und damals, das hatte sie ihm heute gestanden — war ihr klar geworden, daß sie ihn lieb hatte und daß sie ihn aufgeben mußte. War es möglich, daß er ihr mit seinen Vorwürfen Unrecht gethan? War sie unglücklich, wie
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