Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Leider hatte der Henriot darauf den Beweis gegeben, daß er wirklich nur ein armer Tropf war, denn er hatte Pierre Bardet gebeten, um ein paar tausend Francs mehr oder weniger nicht erst zu streiten. Aber Bardet wußte, was sich für einen Hochzeitsunterhändler schickt, hier zumal, wo es nicht heißen durfte, daß die Schwestertochter des reichen Bardet als Bettlerin in das Haus des Henriot's gekommen sei. Laßt mich nur machen, mein Junge, sagte er selbstgefällig. Wenn ich dem Prosper Vidal nicht den letzten Sou abpresse, den die Claudine zu fordern hat, will ich barfuß von hier nach Saint-Gaudens laufen. Mit Heirathsangelegenheiten weiß ich besser Bescheid, als mancher Notar -- das werdet Ihr noch einsehen. Und nun saß er dem Schwager gegenüber am großen Eichentisch; zwischen ihnen standen zwei frisch gefüllte Litreflaschen, in den Gläsern funkelte der dunkelrothe Wein von Jurancon, und der Kampf begann. Vorsichtig ihre Kräfte messend gingen die Streiter auf einander los; Jeder bot weniger, als er zu geben Willens war; Jeder brach über die Forderungen des Andern in Klagen und Verwünschungen aus; Jeder rief Himmel und Hölle zum Zeugen, daß er nicht mehr geben könne, als er zuerst gesagt -- dann legte der Eine hier, der Andere dort etwas zu; dabei wurde getrunken, geflucht, auf den Tisch geschlagen; die Gesichter wurden immer röther, die Stimmen immer lauter. Pierre Bardet bedauerte nur, daß Niemand da war, Leider hatte der Henriot darauf den Beweis gegeben, daß er wirklich nur ein armer Tropf war, denn er hatte Pierre Bardet gebeten, um ein paar tausend Francs mehr oder weniger nicht erst zu streiten. Aber Bardet wußte, was sich für einen Hochzeitsunterhändler schickt, hier zumal, wo es nicht heißen durfte, daß die Schwestertochter des reichen Bardet als Bettlerin in das Haus des Henriot's gekommen sei. Laßt mich nur machen, mein Junge, sagte er selbstgefällig. Wenn ich dem Prosper Vidal nicht den letzten Sou abpresse, den die Claudine zu fordern hat, will ich barfuß von hier nach Saint-Gaudens laufen. Mit Heirathsangelegenheiten weiß ich besser Bescheid, als mancher Notar — das werdet Ihr noch einsehen. Und nun saß er dem Schwager gegenüber am großen Eichentisch; zwischen ihnen standen zwei frisch gefüllte Litreflaschen, in den Gläsern funkelte der dunkelrothe Wein von Jurançon, und der Kampf begann. Vorsichtig ihre Kräfte messend gingen die Streiter auf einander los; Jeder bot weniger, als er zu geben Willens war; Jeder brach über die Forderungen des Andern in Klagen und Verwünschungen aus; Jeder rief Himmel und Hölle zum Zeugen, daß er nicht mehr geben könne, als er zuerst gesagt — dann legte der Eine hier, der Andere dort etwas zu; dabei wurde getrunken, geflucht, auf den Tisch geschlagen; die Gesichter wurden immer röther, die Stimmen immer lauter. Pierre Bardet bedauerte nur, daß Niemand da war, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <pb facs="#f0029"/> <p>Leider hatte der Henriot darauf den Beweis gegeben, daß er wirklich nur ein armer Tropf war, denn er hatte Pierre Bardet gebeten, um ein paar tausend Francs mehr oder weniger nicht erst zu streiten. Aber Bardet wußte, was sich für einen Hochzeitsunterhändler schickt, hier zumal, wo es nicht heißen durfte, daß die Schwestertochter des reichen Bardet als Bettlerin in das Haus des Henriot's gekommen sei.</p><lb/> <p>Laßt mich nur machen, mein Junge, sagte er selbstgefällig. Wenn ich dem Prosper Vidal nicht den letzten Sou abpresse, den die Claudine zu fordern hat, will ich barfuß von hier nach Saint-Gaudens laufen. Mit Heirathsangelegenheiten weiß ich besser Bescheid, als mancher Notar — das werdet Ihr noch einsehen.</p><lb/> <p>Und nun saß er dem Schwager gegenüber am großen Eichentisch; zwischen ihnen standen zwei frisch gefüllte Litreflaschen, in den Gläsern funkelte der dunkelrothe Wein von Jurançon, und der Kampf begann.</p><lb/> <p>Vorsichtig ihre Kräfte messend gingen die Streiter auf einander los; Jeder bot weniger, als er zu geben Willens war; Jeder brach über die Forderungen des Andern in Klagen und Verwünschungen aus; Jeder rief Himmel und Hölle zum Zeugen, daß er nicht mehr geben könne, als er zuerst gesagt — dann legte der Eine hier, der Andere dort etwas zu; dabei wurde getrunken, geflucht, auf den Tisch geschlagen; die Gesichter wurden immer röther, die Stimmen immer lauter. Pierre Bardet bedauerte nur, daß Niemand da war,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0029]
Leider hatte der Henriot darauf den Beweis gegeben, daß er wirklich nur ein armer Tropf war, denn er hatte Pierre Bardet gebeten, um ein paar tausend Francs mehr oder weniger nicht erst zu streiten. Aber Bardet wußte, was sich für einen Hochzeitsunterhändler schickt, hier zumal, wo es nicht heißen durfte, daß die Schwestertochter des reichen Bardet als Bettlerin in das Haus des Henriot's gekommen sei.
Laßt mich nur machen, mein Junge, sagte er selbstgefällig. Wenn ich dem Prosper Vidal nicht den letzten Sou abpresse, den die Claudine zu fordern hat, will ich barfuß von hier nach Saint-Gaudens laufen. Mit Heirathsangelegenheiten weiß ich besser Bescheid, als mancher Notar — das werdet Ihr noch einsehen.
Und nun saß er dem Schwager gegenüber am großen Eichentisch; zwischen ihnen standen zwei frisch gefüllte Litreflaschen, in den Gläsern funkelte der dunkelrothe Wein von Jurançon, und der Kampf begann.
Vorsichtig ihre Kräfte messend gingen die Streiter auf einander los; Jeder bot weniger, als er zu geben Willens war; Jeder brach über die Forderungen des Andern in Klagen und Verwünschungen aus; Jeder rief Himmel und Hölle zum Zeugen, daß er nicht mehr geben könne, als er zuerst gesagt — dann legte der Eine hier, der Andere dort etwas zu; dabei wurde getrunken, geflucht, auf den Tisch geschlagen; die Gesichter wurden immer röther, die Stimmen immer lauter. Pierre Bardet bedauerte nur, daß Niemand da war,
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Zitationshilfe: | Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910/29>, abgerufen am 23.07.2024. |