Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Stall zu helfen suchte, und mochte etwa elf Jahre alt sein, als ihn die Heirath des Müllers zum Spielkameraden und Wächter Claudine's machte. Schon damals hatte sie's ihm angethan, so daß er keinen andern Gedanken hatte, als sie. Er wußte, ohne daß sie es sagte, ob ihr Laufen oder Stillsitzen, Plaudern oder Schweigen, Sonnenschein oder Schatten Noth that. Jede Blume oder Beere, die er pflückte, jeder Vogel, den er fing, war von vornherein für sie bestimmt, und wie oft hatte er, als sie später nach Jurancon zur Schule ging, die kleine, leichte Gestalt in Schneegestöber und Gewittersturm in seinen Schaaffellmantel gehüllt und über die schlüpfrigen Steine der Aventinsschlucht getragen, durch die sie gehen mußte, weil der Fahrweg zu weit war. Dafür hatte sie denn auch Keinen so lieb, als ihn; jeden guten Bissen mußte er mit ihr theilen; wenn Sanct Sylvester die Neujahrsgaben brachte, mußte sein Holzschuh neben dem ihrigen im Kamin stehen, und selbst als ihre zwei Brüder geboren wurden, die sie wie ihre Puppen liebte und hätschelte, hieß es in der Aufzählung ihrer Lieblinge: Zuerst kommt der Francois. Wann und warum war das anders geworden? Bei dieser Frage sprang Francois auf. Es ist eine Schande, sagte er zu sich selbst, ich will mich nicht mehr um sie grämen; aus dem guten, warmherzigen Kinde ist ein kaltes, hochmüthiges, eitles Geschöpf geworden. Reichthum und Ansehen ist's, was Stall zu helfen suchte, und mochte etwa elf Jahre alt sein, als ihn die Heirath des Müllers zum Spielkameraden und Wächter Claudine's machte. Schon damals hatte sie's ihm angethan, so daß er keinen andern Gedanken hatte, als sie. Er wußte, ohne daß sie es sagte, ob ihr Laufen oder Stillsitzen, Plaudern oder Schweigen, Sonnenschein oder Schatten Noth that. Jede Blume oder Beere, die er pflückte, jeder Vogel, den er fing, war von vornherein für sie bestimmt, und wie oft hatte er, als sie später nach Jurançon zur Schule ging, die kleine, leichte Gestalt in Schneegestöber und Gewittersturm in seinen Schaaffellmantel gehüllt und über die schlüpfrigen Steine der Aventinsschlucht getragen, durch die sie gehen mußte, weil der Fahrweg zu weit war. Dafür hatte sie denn auch Keinen so lieb, als ihn; jeden guten Bissen mußte er mit ihr theilen; wenn Sanct Sylvester die Neujahrsgaben brachte, mußte sein Holzschuh neben dem ihrigen im Kamin stehen, und selbst als ihre zwei Brüder geboren wurden, die sie wie ihre Puppen liebte und hätschelte, hieß es in der Aufzählung ihrer Lieblinge: Zuerst kommt der François. Wann und warum war das anders geworden? Bei dieser Frage sprang François auf. Es ist eine Schande, sagte er zu sich selbst, ich will mich nicht mehr um sie grämen; aus dem guten, warmherzigen Kinde ist ein kaltes, hochmüthiges, eitles Geschöpf geworden. Reichthum und Ansehen ist's, was <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0027"/> Stall zu helfen suchte, und mochte etwa elf Jahre alt sein, als ihn die Heirath des Müllers zum Spielkameraden und Wächter Claudine's machte. Schon damals hatte sie's ihm angethan, so daß er keinen andern Gedanken hatte, als sie. Er wußte, ohne daß sie es sagte, ob ihr Laufen oder Stillsitzen, Plaudern oder Schweigen, Sonnenschein oder Schatten Noth that. Jede Blume oder Beere, die er pflückte, jeder Vogel, den er fing, war von vornherein für sie bestimmt, und wie oft hatte er, als sie später nach Jurançon zur Schule ging, die kleine, leichte Gestalt in Schneegestöber und Gewittersturm in seinen Schaaffellmantel gehüllt und über die schlüpfrigen Steine der Aventinsschlucht getragen, durch die sie gehen mußte, weil der Fahrweg zu weit war. Dafür hatte sie denn auch Keinen so lieb, als ihn; jeden guten Bissen mußte er mit ihr theilen; wenn Sanct Sylvester die Neujahrsgaben brachte, mußte sein Holzschuh neben dem ihrigen im Kamin stehen, und selbst als ihre zwei Brüder geboren wurden, die sie wie ihre Puppen liebte und hätschelte, hieß es in der Aufzählung ihrer Lieblinge: Zuerst kommt der François.</p><lb/> <p>Wann und warum war das anders geworden?</p><lb/> <p>Bei dieser Frage sprang François auf.</p><lb/> <p>Es ist eine Schande, sagte er zu sich selbst, ich will mich nicht mehr um sie grämen; aus dem guten, warmherzigen Kinde ist ein kaltes, hochmüthiges, eitles Geschöpf geworden. Reichthum und Ansehen ist's, was<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0027]
Stall zu helfen suchte, und mochte etwa elf Jahre alt sein, als ihn die Heirath des Müllers zum Spielkameraden und Wächter Claudine's machte. Schon damals hatte sie's ihm angethan, so daß er keinen andern Gedanken hatte, als sie. Er wußte, ohne daß sie es sagte, ob ihr Laufen oder Stillsitzen, Plaudern oder Schweigen, Sonnenschein oder Schatten Noth that. Jede Blume oder Beere, die er pflückte, jeder Vogel, den er fing, war von vornherein für sie bestimmt, und wie oft hatte er, als sie später nach Jurançon zur Schule ging, die kleine, leichte Gestalt in Schneegestöber und Gewittersturm in seinen Schaaffellmantel gehüllt und über die schlüpfrigen Steine der Aventinsschlucht getragen, durch die sie gehen mußte, weil der Fahrweg zu weit war. Dafür hatte sie denn auch Keinen so lieb, als ihn; jeden guten Bissen mußte er mit ihr theilen; wenn Sanct Sylvester die Neujahrsgaben brachte, mußte sein Holzschuh neben dem ihrigen im Kamin stehen, und selbst als ihre zwei Brüder geboren wurden, die sie wie ihre Puppen liebte und hätschelte, hieß es in der Aufzählung ihrer Lieblinge: Zuerst kommt der François.
Wann und warum war das anders geworden?
Bei dieser Frage sprang François auf.
Es ist eine Schande, sagte er zu sich selbst, ich will mich nicht mehr um sie grämen; aus dem guten, warmherzigen Kinde ist ein kaltes, hochmüthiges, eitles Geschöpf geworden. Reichthum und Ansehen ist's, was
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-14T15:29:37Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-14T15:29:37Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |