Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Mutter gehört, und die Vidals, die meines Vaters und meines Stiefvaters Verwandtschaft sind, weißt du! Kann ich allein mich gegen sie Alle setzen? Wenn deine Liebe von der rechten Art gewesen wäre, hättest du's gethan. O, Francois, solche Liebe wäre eine Sünde. Ich habe dir damals schon gesagt, daß ich, weil die Mutter zu krank war, um bei ihr Rath und Trost zu suchen, zur Beichte gegangen bin, und daß mir der Herr Pfarrer den Bescheid gegeben hat: ein Jeder müsse auf dem Platz, den ihm die Heiligen angewiesen haben, leben und sterben. Und mit dem Bescheid hast du dich zufrieden gegeben und hast vergnügt weiter gelebt, während ich . . . Vergnügt! fiel sie ihm ins Wort, und es war etwas in ihrem Ton, das ihm das Herz bewegte und ihn fast unwillkürlich zu der Frage trieb: Wenn du nun aber arm und niedrig geboren wärest? Dann hätten wir mit einander glücklich sein dürfen, antwortete sie mit trübem Lächeln. Und wenn du jetzt auf einmal arm und niedrig würdest, könntest du das für ein Glück halten? fuhr er fort, faßte ihre Hand und sah sie mit dunkel glühenden Augen so seltsam an, daß sie sich vor ihm fürchtete, sich losmachte und mit erzwungener Ruhe sagte: Was kann es helfen, darüber nachzugrübeln! Ich muß, wie der Herr Pfarrer gesagt hat, auf dem Platze Mutter gehört, und die Vidals, die meines Vaters und meines Stiefvaters Verwandtschaft sind, weißt du! Kann ich allein mich gegen sie Alle setzen? Wenn deine Liebe von der rechten Art gewesen wäre, hättest du's gethan. O, François, solche Liebe wäre eine Sünde. Ich habe dir damals schon gesagt, daß ich, weil die Mutter zu krank war, um bei ihr Rath und Trost zu suchen, zur Beichte gegangen bin, und daß mir der Herr Pfarrer den Bescheid gegeben hat: ein Jeder müsse auf dem Platz, den ihm die Heiligen angewiesen haben, leben und sterben. Und mit dem Bescheid hast du dich zufrieden gegeben und hast vergnügt weiter gelebt, während ich . . . Vergnügt! fiel sie ihm ins Wort, und es war etwas in ihrem Ton, das ihm das Herz bewegte und ihn fast unwillkürlich zu der Frage trieb: Wenn du nun aber arm und niedrig geboren wärest? Dann hätten wir mit einander glücklich sein dürfen, antwortete sie mit trübem Lächeln. Und wenn du jetzt auf einmal arm und niedrig würdest, könntest du das für ein Glück halten? fuhr er fort, faßte ihre Hand und sah sie mit dunkel glühenden Augen so seltsam an, daß sie sich vor ihm fürchtete, sich losmachte und mit erzwungener Ruhe sagte: Was kann es helfen, darüber nachzugrübeln! Ich muß, wie der Herr Pfarrer gesagt hat, auf dem Platze <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0025"/> Mutter gehört, und die Vidals, die meines Vaters und meines Stiefvaters Verwandtschaft sind, weißt du! Kann ich allein mich gegen sie Alle setzen?</p><lb/> <p>Wenn deine Liebe von der rechten Art gewesen wäre, hättest du's gethan.</p><lb/> <p>O, François, solche Liebe wäre eine Sünde. Ich habe dir damals schon gesagt, daß ich, weil die Mutter zu krank war, um bei ihr Rath und Trost zu suchen, zur Beichte gegangen bin, und daß mir der Herr Pfarrer den Bescheid gegeben hat: ein Jeder müsse auf dem Platz, den ihm die Heiligen angewiesen haben, leben und sterben.</p><lb/> <p>Und mit dem Bescheid hast du dich zufrieden gegeben und hast vergnügt weiter gelebt, während ich . . .</p><lb/> <p>Vergnügt! fiel sie ihm ins Wort, und es war etwas in ihrem Ton, das ihm das Herz bewegte und ihn fast unwillkürlich zu der Frage trieb:</p><lb/> <p>Wenn du nun aber arm und niedrig geboren wärest?</p><lb/> <p>Dann hätten wir mit einander glücklich sein dürfen, antwortete sie mit trübem Lächeln.</p><lb/> <p>Und wenn du jetzt auf einmal arm und niedrig würdest, könntest du das für ein Glück halten? fuhr er fort, faßte ihre Hand und sah sie mit dunkel glühenden Augen so seltsam an, daß sie sich vor ihm fürchtete, sich losmachte und mit erzwungener Ruhe sagte:</p><lb/> <p>Was kann es helfen, darüber nachzugrübeln! Ich muß, wie der Herr Pfarrer gesagt hat, auf dem Platze<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0025]
Mutter gehört, und die Vidals, die meines Vaters und meines Stiefvaters Verwandtschaft sind, weißt du! Kann ich allein mich gegen sie Alle setzen?
Wenn deine Liebe von der rechten Art gewesen wäre, hättest du's gethan.
O, François, solche Liebe wäre eine Sünde. Ich habe dir damals schon gesagt, daß ich, weil die Mutter zu krank war, um bei ihr Rath und Trost zu suchen, zur Beichte gegangen bin, und daß mir der Herr Pfarrer den Bescheid gegeben hat: ein Jeder müsse auf dem Platz, den ihm die Heiligen angewiesen haben, leben und sterben.
Und mit dem Bescheid hast du dich zufrieden gegeben und hast vergnügt weiter gelebt, während ich . . .
Vergnügt! fiel sie ihm ins Wort, und es war etwas in ihrem Ton, das ihm das Herz bewegte und ihn fast unwillkürlich zu der Frage trieb:
Wenn du nun aber arm und niedrig geboren wärest?
Dann hätten wir mit einander glücklich sein dürfen, antwortete sie mit trübem Lächeln.
Und wenn du jetzt auf einmal arm und niedrig würdest, könntest du das für ein Glück halten? fuhr er fort, faßte ihre Hand und sah sie mit dunkel glühenden Augen so seltsam an, daß sie sich vor ihm fürchtete, sich losmachte und mit erzwungener Ruhe sagte:
Was kann es helfen, darüber nachzugrübeln! Ich muß, wie der Herr Pfarrer gesagt hat, auf dem Platze
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Zitationshilfe: | Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910/25>, abgerufen am 23.07.2024. |