Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.. . . von Alters her. Bei diesen Worten sah er die Claudine an, aber sie schlug die Augen nieder, preßte die Lippen zusammen und hatte den starren, stolzen Gesichtsausdruck, den er ebenfalls von Alters her kannte. Es war gut, daß ihm nicht Zeit blieb, sich länger um sie zu kümmern; alle bitteren Erinnerungen, die er für überwunden gehalten, wachten wieder auf. Aber der Henriot half ihm drüber hinweg. Du kannst fahren, und ich will dich begleiten, es wird für uns Beide zu thun geben, sagte er, indem er sich erhob und trotz der Einwendungen seiner Wirthe hinausging, um beim Anspannen zu helfen. Pierre Bardet folgte den Beiden, und die Hausfrau trug ihnen ein Glas Wein nach. Es war gegen allen Brauch, einen Gast, wenn er auch ein Knecht war, trocknen Mundes wieder fortzulassen. Als sie zurückkam, hatte Claudine die Arme auf den Tisch und das Gesicht auf die Arme gelegt. Sie war wohl müde von dem weiten, schnellen Gange. Base Bardet konnte darauf aber keine Rücksicht nehmen. Das muß ich sagen, fing sie an und war so sehr von ihrem Zorne hingenommen, daß sie, als Claudine in die Höhe fuhr, nicht einmal sah, wie heftig diese geweint hatte. Das muß ich sagen, für ein kluges Mädchen willst du gelten und benimmst dich, wie das albernste Kind! Ist es erhört, sich in solchem Aufzuge vor dem Manne zu zeigen, den man heirathen soll? Aber ich merke schon . . . denn wenn ich auch nicht den Bei- . . . von Alters her. Bei diesen Worten sah er die Claudine an, aber sie schlug die Augen nieder, preßte die Lippen zusammen und hatte den starren, stolzen Gesichtsausdruck, den er ebenfalls von Alters her kannte. Es war gut, daß ihm nicht Zeit blieb, sich länger um sie zu kümmern; alle bitteren Erinnerungen, die er für überwunden gehalten, wachten wieder auf. Aber der Henriot half ihm drüber hinweg. Du kannst fahren, und ich will dich begleiten, es wird für uns Beide zu thun geben, sagte er, indem er sich erhob und trotz der Einwendungen seiner Wirthe hinausging, um beim Anspannen zu helfen. Pierre Bardet folgte den Beiden, und die Hausfrau trug ihnen ein Glas Wein nach. Es war gegen allen Brauch, einen Gast, wenn er auch ein Knecht war, trocknen Mundes wieder fortzulassen. Als sie zurückkam, hatte Claudine die Arme auf den Tisch und das Gesicht auf die Arme gelegt. Sie war wohl müde von dem weiten, schnellen Gange. Base Bardet konnte darauf aber keine Rücksicht nehmen. Das muß ich sagen, fing sie an und war so sehr von ihrem Zorne hingenommen, daß sie, als Claudine in die Höhe fuhr, nicht einmal sah, wie heftig diese geweint hatte. Das muß ich sagen, für ein kluges Mädchen willst du gelten und benimmst dich, wie das albernste Kind! Ist es erhört, sich in solchem Aufzuge vor dem Manne zu zeigen, den man heirathen soll? Aber ich merke schon . . . denn wenn ich auch nicht den Bei- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0016"/> . . . von Alters her. Bei diesen Worten sah er die Claudine an, aber sie schlug die Augen nieder, preßte die Lippen zusammen und hatte den starren, stolzen Gesichtsausdruck, den er ebenfalls von Alters her kannte. Es war gut, daß ihm nicht Zeit blieb, sich länger um sie zu kümmern; alle bitteren Erinnerungen, die er für überwunden gehalten, wachten wieder auf. Aber der Henriot half ihm drüber hinweg.</p><lb/> <p>Du kannst fahren, und ich will dich begleiten, es wird für uns Beide zu thun geben, sagte er, indem er sich erhob und trotz der Einwendungen seiner Wirthe hinausging, um beim Anspannen zu helfen. Pierre Bardet folgte den Beiden, und die Hausfrau trug ihnen ein Glas Wein nach. Es war gegen allen Brauch, einen Gast, wenn er auch ein Knecht war, trocknen Mundes wieder fortzulassen.</p><lb/> <p>Als sie zurückkam, hatte Claudine die Arme auf den Tisch und das Gesicht auf die Arme gelegt. Sie war wohl müde von dem weiten, schnellen Gange. Base Bardet konnte darauf aber keine Rücksicht nehmen.</p><lb/> <p>Das muß ich sagen, fing sie an und war so sehr von ihrem Zorne hingenommen, daß sie, als Claudine in die Höhe fuhr, nicht einmal sah, wie heftig diese geweint hatte. Das muß ich sagen, für ein kluges Mädchen willst du gelten und benimmst dich, wie das albernste Kind! Ist es erhört, sich in solchem Aufzuge vor dem Manne zu zeigen, den man heirathen soll? Aber ich merke schon . . . denn wenn ich auch nicht den Bei-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0016]
. . . von Alters her. Bei diesen Worten sah er die Claudine an, aber sie schlug die Augen nieder, preßte die Lippen zusammen und hatte den starren, stolzen Gesichtsausdruck, den er ebenfalls von Alters her kannte. Es war gut, daß ihm nicht Zeit blieb, sich länger um sie zu kümmern; alle bitteren Erinnerungen, die er für überwunden gehalten, wachten wieder auf. Aber der Henriot half ihm drüber hinweg.
Du kannst fahren, und ich will dich begleiten, es wird für uns Beide zu thun geben, sagte er, indem er sich erhob und trotz der Einwendungen seiner Wirthe hinausging, um beim Anspannen zu helfen. Pierre Bardet folgte den Beiden, und die Hausfrau trug ihnen ein Glas Wein nach. Es war gegen allen Brauch, einen Gast, wenn er auch ein Knecht war, trocknen Mundes wieder fortzulassen.
Als sie zurückkam, hatte Claudine die Arme auf den Tisch und das Gesicht auf die Arme gelegt. Sie war wohl müde von dem weiten, schnellen Gange. Base Bardet konnte darauf aber keine Rücksicht nehmen.
Das muß ich sagen, fing sie an und war so sehr von ihrem Zorne hingenommen, daß sie, als Claudine in die Höhe fuhr, nicht einmal sah, wie heftig diese geweint hatte. Das muß ich sagen, für ein kluges Mädchen willst du gelten und benimmst dich, wie das albernste Kind! Ist es erhört, sich in solchem Aufzuge vor dem Manne zu zeigen, den man heirathen soll? Aber ich merke schon . . . denn wenn ich auch nicht den Bei-
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