Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glück, Christian Friedrich von: Berichtigungen und Zusätze zum zweyten Bande des Glückischen Commentars über die Pandecten. Für die Besitzer der ersten Ausgabe. Erlangen, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

den ist, aber unter Umständen, wo die Civilgesetze diese Absicht
verwerfen. Dahin gehört a) wenn der Besitzer seiner persönli-
chen Verhältnisse wegen keines Eigenthums fähig ist. Daher
konnte z. B. ein Sklave bey den Römern nur naturaliter besi-
tzen 97). b) Wenn der Grund des Besitzes von den Civilge-
setzen verworfen ist. So besitzt ein Ehegatte die ihm von dem
andern geschenkte Sache bey Lebzeiten des Schenkenden nur na-
turaliter
98), weil Schenkungen unter Ehegatten nicht gelten, so
lange der schenkende Ehegatte lebt 99). c) Wenn die Sache an
sich nicht im Commerz, d. i. keines Privateigenthums fähig ist.
Daher kann man freye Menschen nicht anders als naturaliter
besitzen 100). Bey dieser so verschiedenen Bedeutung der posses-
sionis naturalis
muß also jederzeit aus dem Zusammenhange der.
einzelnen Gesetzstellen beurtheilet werden, in welchem Sinne diese
Benennung zu nehmen sey. Eben so verschieden ist nun auch

II) die Bedeutung von possessio civilis in unsern Gesetzen.
Die Römischen Juristen verstehen darunter

1) die wirkliche Detention einer Sache, welche mit der Ab-
sicht, dieselbe für sich zu behalten, verbunden ist, jedoch als
verschieden von der Proprietät betrachtet wird. Also was man
possessio im eigenthümlichen Sinne des Civilrechts nennt. Denn
bürgerlich nannten die Röm. Juristen vorzüglich dasjenige,
was mit dem Civilrechte übereinstimmt, oder einen eigenthüm-
lichen Sinn nach der Sprache der Gesetze hat 1).

2) Heißt possessio civilis die körperliche Detention einer Sa-
che, mit welcher nicht nur die Absicht, die Sache als die seinige

zu
97) Ist die Note 83. der ersten Ausgabe.
98) Ist die Note 84. der ersten Ausgabe, welcher noch beyzufü-
gen ist: L. 46. D. eodem. L. 1. §. 4. L. 16. D. de acquir. vel
amitt. poss. L. 13. §. 1. D. de heredit. petit.
99) L. 1. L. 32. D. de donat. inter. vir. et uxor.
100) L. 23. §. 2. D. de acquir. vel amitt. possess.
1) brissonius de Verb. Signif. v. Civilis. cuperus de natura
possessionis. Cap. III. pag. 28. sqq.
K 3

den iſt, aber unter Umſtaͤnden, wo die Civilgeſetze dieſe Abſicht
verwerfen. Dahin gehoͤrt a) wenn der Beſitzer ſeiner perſoͤnli-
chen Verhaͤltniſſe wegen keines Eigenthums faͤhig iſt. Daher
konnte z. B. ein Sklave bey den Roͤmern nur naturaliter beſi-
tzen 97). b) Wenn der Grund des Beſitzes von den Civilge-
ſetzen verworfen iſt. So beſitzt ein Ehegatte die ihm von dem
andern geſchenkte Sache bey Lebzeiten des Schenkenden nur na-
turaliter
98), weil Schenkungen unter Ehegatten nicht gelten, ſo
lange der ſchenkende Ehegatte lebt 99). c) Wenn die Sache an
ſich nicht im Commerz, d. i. keines Privateigenthums faͤhig iſt.
Daher kann man freye Menſchen nicht anders als naturaliter
beſitzen 100). Bey dieſer ſo verſchiedenen Bedeutung der poſſeſ-
ſionis naturalis
muß alſo jederzeit aus dem Zuſammenhange der.
einzelnen Geſetzſtellen beurtheilet werden, in welchem Sinne dieſe
Benennung zu nehmen ſey. Eben ſo verſchieden iſt nun auch

II) die Bedeutung von poſſeſſio civilis in unſern Geſetzen.
Die Roͤmiſchen Juriſten verſtehen darunter

1) die wirkliche Detention einer Sache, welche mit der Ab-
ſicht, dieſelbe fuͤr ſich zu behalten, verbunden iſt, jedoch als
verſchieden von der Proprietaͤt betrachtet wird. Alſo was man
poſſeſſio im eigenthuͤmlichen Sinne des Civilrechts nennt. Denn
buͤrgerlich nannten die Roͤm. Juriſten vorzuͤglich dasjenige,
was mit dem Civilrechte uͤbereinſtimmt, oder einen eigenthuͤm-
lichen Sinn nach der Sprache der Geſetze hat 1).

2) Heißt poſſeſſio civilis die koͤrperliche Detention einer Sa-
che, mit welcher nicht nur die Abſicht, die Sache als die ſeinige

zu
97) Iſt die Note 83. der erſten Ausgabe.
98) Iſt die Note 84. der erſten Ausgabe, welcher noch beyzufuͤ-
gen iſt: L. 46. D. eodem. L. 1. §. 4. L. 16. D. de acquir. vel
amitt. poſſ. L. 13. §. 1. D. de heredit. petit.
99) L. 1. L. 32. D. de donat. inter. vir. et uxor.
100) L. 23. §. 2. D. de acquir. vel amitt. poſſeſſ.
1) brissonius de Verb. Signif. v. Civilis. cuperus de natura
poſſeſſionis. Cap. III. pag. 28. ſqq.
K 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0155" n="149"/>
den i&#x017F;t, aber unter Um&#x017F;ta&#x0364;nden, wo die Civilge&#x017F;etze die&#x017F;e Ab&#x017F;icht<lb/>
verwerfen. Dahin geho&#x0364;rt <hi rendition="#aq">a</hi>) wenn der Be&#x017F;itzer &#x017F;einer per&#x017F;o&#x0364;nli-<lb/>
chen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e wegen keines Eigenthums fa&#x0364;hig i&#x017F;t. Daher<lb/>
konnte z. B. ein Sklave bey den Ro&#x0364;mern nur <hi rendition="#aq">naturaliter</hi> be&#x017F;i-<lb/>
tzen <note place="foot" n="97)">I&#x017F;t die Note 83. der er&#x017F;ten Ausgabe.</note>. <hi rendition="#aq">b</hi>) Wenn der Grund des Be&#x017F;itzes von den Civilge-<lb/>
&#x017F;etzen verworfen i&#x017F;t. So be&#x017F;itzt ein Ehegatte die ihm von dem<lb/>
andern ge&#x017F;chenkte Sache bey Lebzeiten des Schenkenden nur <hi rendition="#aq">na-<lb/>
turaliter</hi> <note place="foot" n="98)">I&#x017F;t die Note 84. der er&#x017F;ten Ausgabe, welcher noch beyzufu&#x0364;-<lb/>
gen i&#x017F;t: <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L. 46. D. eodem. L. 1. §. 4. L. 16. D. de acquir. vel<lb/>
amitt. po&#x017F;&#x017F;. L. 13. §. 1. D. de heredit. petit.</hi></hi></note>, weil Schenkungen unter Ehegatten nicht gelten, &#x017F;o<lb/>
lange der &#x017F;chenkende Ehegatte lebt <note place="foot" n="99)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L. 1. L. 32. D. de donat. inter. vir. et uxor.</hi></hi></note>. <hi rendition="#aq">c</hi>) Wenn die Sache an<lb/>
&#x017F;ich nicht im Commerz, d. i. keines Privateigenthums fa&#x0364;hig i&#x017F;t.<lb/>
Daher kann man freye Men&#x017F;chen nicht anders als <hi rendition="#aq">naturaliter</hi><lb/>
be&#x017F;itzen <note place="foot" n="100)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 23. <hi rendition="#i">§</hi>. 2. <hi rendition="#i">D. de acquir. vel amitt. po&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;.</hi></hi></note>. Bey die&#x017F;er &#x017F;o ver&#x017F;chiedenen Bedeutung der <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">po&#x017F;&#x017F;e&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ionis naturalis</hi></hi> muß al&#x017F;o jederzeit aus dem Zu&#x017F;ammenhange der.<lb/>
einzelnen Ge&#x017F;etz&#x017F;tellen beurtheilet werden, in welchem Sinne die&#x017F;e<lb/>
Benennung zu nehmen &#x017F;ey. Eben &#x017F;o ver&#x017F;chieden i&#x017F;t nun auch</p><lb/>
          <p><hi rendition="#aq">II</hi>) die Bedeutung von <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">po&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;io civilis</hi></hi> in un&#x017F;ern Ge&#x017F;etzen.<lb/>
Die Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Juri&#x017F;ten ver&#x017F;tehen darunter</p><lb/>
          <p>1) die wirkliche Detention einer Sache, welche mit der Ab-<lb/>
&#x017F;icht, die&#x017F;elbe fu&#x0364;r &#x017F;ich zu behalten, verbunden i&#x017F;t, jedoch als<lb/>
ver&#x017F;chieden von der Proprieta&#x0364;t betrachtet wird. Al&#x017F;o was man<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">po&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;io</hi></hi> im eigenthu&#x0364;mlichen Sinne des Civilrechts nennt. Denn<lb/><hi rendition="#g">bu&#x0364;rgerlich</hi> nannten die Ro&#x0364;m. Juri&#x017F;ten vorzu&#x0364;glich dasjenige,<lb/>
was mit dem Civilrechte u&#x0364;berein&#x017F;timmt, oder einen eigenthu&#x0364;m-<lb/>
lichen Sinn nach der Sprache der Ge&#x017F;etze hat <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">brissonius</hi> de Verb. Signif. v. <hi rendition="#i">Civilis.</hi> <hi rendition="#k">cuperus</hi> de natura<lb/>
po&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;ionis. Cap. III. pag. 28. &#x017F;qq.</hi></note>.</p><lb/>
          <p>2) Heißt <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">po&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;io civilis</hi></hi> die ko&#x0364;rperliche Detention einer Sa-<lb/>
che, mit welcher nicht nur die Ab&#x017F;icht, die Sache als die &#x017F;einige<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K 3</fw><fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0155] den iſt, aber unter Umſtaͤnden, wo die Civilgeſetze dieſe Abſicht verwerfen. Dahin gehoͤrt a) wenn der Beſitzer ſeiner perſoͤnli- chen Verhaͤltniſſe wegen keines Eigenthums faͤhig iſt. Daher konnte z. B. ein Sklave bey den Roͤmern nur naturaliter beſi- tzen 97). b) Wenn der Grund des Beſitzes von den Civilge- ſetzen verworfen iſt. So beſitzt ein Ehegatte die ihm von dem andern geſchenkte Sache bey Lebzeiten des Schenkenden nur na- turaliter 98), weil Schenkungen unter Ehegatten nicht gelten, ſo lange der ſchenkende Ehegatte lebt 99). c) Wenn die Sache an ſich nicht im Commerz, d. i. keines Privateigenthums faͤhig iſt. Daher kann man freye Menſchen nicht anders als naturaliter beſitzen 100). Bey dieſer ſo verſchiedenen Bedeutung der poſſeſ- ſionis naturalis muß alſo jederzeit aus dem Zuſammenhange der. einzelnen Geſetzſtellen beurtheilet werden, in welchem Sinne dieſe Benennung zu nehmen ſey. Eben ſo verſchieden iſt nun auch II) die Bedeutung von poſſeſſio civilis in unſern Geſetzen. Die Roͤmiſchen Juriſten verſtehen darunter 1) die wirkliche Detention einer Sache, welche mit der Ab- ſicht, dieſelbe fuͤr ſich zu behalten, verbunden iſt, jedoch als verſchieden von der Proprietaͤt betrachtet wird. Alſo was man poſſeſſio im eigenthuͤmlichen Sinne des Civilrechts nennt. Denn buͤrgerlich nannten die Roͤm. Juriſten vorzuͤglich dasjenige, was mit dem Civilrechte uͤbereinſtimmt, oder einen eigenthuͤm- lichen Sinn nach der Sprache der Geſetze hat 1). 2) Heißt poſſeſſio civilis die koͤrperliche Detention einer Sa- che, mit welcher nicht nur die Abſicht, die Sache als die ſeinige zu 97) Iſt die Note 83. der erſten Ausgabe. 98) Iſt die Note 84. der erſten Ausgabe, welcher noch beyzufuͤ- gen iſt: L. 46. D. eodem. L. 1. §. 4. L. 16. D. de acquir. vel amitt. poſſ. L. 13. §. 1. D. de heredit. petit. 99) L. 1. L. 32. D. de donat. inter. vir. et uxor. 100) L. 23. §. 2. D. de acquir. vel amitt. poſſeſſ. 1) brissonius de Verb. Signif. v. Civilis. cuperus de natura poſſeſſionis. Cap. III. pag. 28. ſqq. K 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02verbesserungen_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02verbesserungen_1800/155
Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Berichtigungen und Zusätze zum zweyten Bande des Glückischen Commentars über die Pandecten. Für die Besitzer der ersten Ausgabe. Erlangen, 1800, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02verbesserungen_1800/155>, abgerufen am 22.11.2024.