10) Daß Unmündige und Blödsinnige, wenn sie gleich durch den blosen Willen den Besitz auf keine Wei- se aufgeben können 52), dennoch den Besitz alsdann ver- lieren, wenn sie ihn an einen solchen übertragen haben, der ihren Zustand nicht kannte 53). Wer demnach von einem Pupillen, den er aus verzeihlichen Irrthum für mündig hielt, oder von einem Blödsinnigen, den er für einen verständigen Menschen hielt, eine Sache gekauft hat, erlangt durch die Uebergabe wenigstens einen solchen Besitz, daß er die erkaufte Sache verjähren kann, wenn auch im Uebrigen der Kauf nichtig ist 54).
II) Der andere Grund, aus welchem die römischen Gesetzgeber dem Besitze so vieles Rechtliche beygemischt haben, liegt in dem Zusammenhange der einzelnen Sätze dieser Materie mit andern, die damit ver- wandt sind. Denn darinn besteht eine vorzügliche Pflicht der Gesetzgebung, überall auf Analogie des Rechts zu sehen, damit jede Rechtsmaterie auch mit an- dern, mit welchen sie gewissermaßen verwandt ist, genau und auf die gehörige Art zusammenhänge. Insonder- heit aber müssen die allgemeinen Rechtsprincipien so viel möglich bey Kräften bleiben. Um nun diese Analogie auch in der Lehre vom Besitz zu erhalten, so haben sich die römischen Gesetzgeber manche Fiction erlauben, und
der
52)L. 27. et 29. D. de contr. Emt. Vendit.
53)L. 2. §. 15. et 16. D. pro Emtore. In der letztern Stelle wird gesagt, daß dieser Rechtssatz utilitatis causa sey ange- nommen worden. Aequum enim est, sagt chesius Interpreta- tionum Iuris lib. II. cap. 39. wo er die letztere Stelle erläu- tert, ut emtor possit usucapere, ne iustus error ei noceat, et ne dominium in incerto sit.
54) S. Westphal in dem öfters angeführten System §. 585. §. 678. und 679.
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De diviſione rerum et qualitate.
10) Daß Unmuͤndige und Bloͤdſinnige, wenn ſie gleich durch den bloſen Willen den Beſitz auf keine Wei- ſe aufgeben koͤnnen 52), dennoch den Beſitz alsdann ver- lieren, wenn ſie ihn an einen ſolchen uͤbertragen haben, der ihren Zuſtand nicht kannte 53). Wer demnach von einem Pupillen, den er aus verzeihlichen Irrthum fuͤr muͤndig hielt, oder von einem Bloͤdſinnigen, den er fuͤr einen verſtaͤndigen Menſchen hielt, eine Sache gekauft hat, erlangt durch die Uebergabe wenigſtens einen ſolchen Beſitz, daß er die erkaufte Sache verjaͤhren kann, wenn auch im Uebrigen der Kauf nichtig iſt 54).
II) Der andere Grund, aus welchem die roͤmiſchen Geſetzgeber dem Beſitze ſo vieles Rechtliche beygemiſcht haben, liegt in dem Zuſammenhange der einzelnen Saͤtze dieſer Materie mit andern, die damit ver- wandt ſind. Denn darinn beſteht eine vorzuͤgliche Pflicht der Geſetzgebung, uͤberall auf Analogie des Rechts zu ſehen, damit jede Rechtsmaterie auch mit an- dern, mit welchen ſie gewiſſermaßen verwandt iſt, genau und auf die gehoͤrige Art zuſammenhaͤnge. Inſonder- heit aber muͤſſen die allgemeinen Rechtsprincipien ſo viel moͤglich bey Kraͤften bleiben. Um nun dieſe Analogie auch in der Lehre vom Beſitz zu erhalten, ſo haben ſich die roͤmiſchen Geſetzgeber manche Fiction erlauben, und
der
52)L. 27. et 29. D. de contr. Emt. Vendit.
53)L. 2. §. 15. et 16. D. pro Emtore. In der letztern Stelle wird geſagt, daß dieſer Rechtsſatz utilitatis cauſa ſey ange- nommen worden. Aequum enim eſt, ſagt chesius Interpreta- tionum Iuris lib. II. cap. 39. wo er die letztere Stelle erlaͤu- tert, ut emtor poſſit uſucapere, ne iuſtus error ei noceat, et ne dominium in incerto ſit.
54) S. Weſtphal in dem oͤfters angefuͤhrten Syſtem §. 585. §. 678. und 679.
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lieren, wenn ſie ihn an einen ſolchen uͤbertragen haben,
der ihren Zuſtand nicht kannte 53). Wer demnach von
einem Pupillen, den er aus verzeihlichen Irrthum fuͤr
muͤndig hielt, oder von einem Bloͤdſinnigen, den er fuͤr
einen verſtaͤndigen Menſchen hielt, eine Sache gekauft
hat, erlangt durch die Uebergabe wenigſtens einen ſolchen
Beſitz, daß er die erkaufte Sache verjaͤhren kann, wenn
auch im Uebrigen der Kauf nichtig iſt 54).
II) Der andere Grund, aus welchem die roͤmiſchen
Geſetzgeber dem Beſitze ſo vieles Rechtliche beygemiſcht
haben, liegt in dem Zuſammenhange der einzelnen
Saͤtze dieſer Materie mit andern, die damit ver-
wandt ſind. Denn darinn beſteht eine vorzuͤgliche
Pflicht der Geſetzgebung, uͤberall auf Analogie des
Rechts zu ſehen, damit jede Rechtsmaterie auch mit an-
dern, mit welchen ſie gewiſſermaßen verwandt iſt, genau
und auf die gehoͤrige Art zuſammenhaͤnge. Inſonder-
heit aber muͤſſen die allgemeinen Rechtsprincipien ſo viel
moͤglich bey Kraͤften bleiben. Um nun dieſe Analogie
auch in der Lehre vom Beſitz zu erhalten, ſo haben ſich
die roͤmiſchen Geſetzgeber manche Fiction erlauben, und
der
52) L. 27. et 29. D. de contr. Emt. Vendit.
53) L. 2. §. 15. et 16. D. pro Emtore. In der letztern Stelle
wird geſagt, daß dieſer Rechtsſatz utilitatis cauſa ſey ange-
nommen worden. Aequum enim eſt, ſagt chesius Interpreta-
tionum Iuris lib. II. cap. 39. wo er die letztere Stelle erlaͤu-
tert, ut emtor poſſit uſucapere, ne iuſtus error ei noceat, et
ne dominium in incerto ſit.
54) S. Weſtphal in dem oͤfters angefuͤhrten Syſtem §. 585.
§. 678. und 679.
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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/555>, abgerufen am 25.07.2024.
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