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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791.

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1. Buch. 6. Tit. §. 135.
sie in dem Stande ihrer Unabhängigkeit auszuüben ge-
wohnt waren. Auch war es um der Auswärtigen wil-
len nothwendig, die Rechte des römischen Bürgers so
glänzend, als möglich, zu machen, um Fremde anzurei-
zen, sich dieses Bürgerrechts theilhaftig zu machen, und
durch dieses Mittel die Bevölkerung des damals noch klei-
nen Staats zu befördern. So wie nun aber Gesetze mit
den Zeitumständen sich ändern, so wurden auch in der
Folge mit der veränderten Staatsverfassung Roms die
Rechte der väterlichen Gewalt sehr eingeschränkt. Denn
so wurde i) dem Vater das Recht über Leben und
Tod seiner Kinder
gänzlich genommen. Die ei-
gentliche Zeitperiode, zu welcher dieses geschehen, ist un-
gewiß. Gerhard Noodt 33) glaubt, es sey zu den Zei-
ten der Kaiser Valentinian, Valens und Gratian
geschehen 34). Cornelius van Bynkershök 35) hinge-
gen meint, daß schon zu Trajans, Hadrians und An-
tonins
des Frommen Zeiten dem Vater jenes Recht
genommen worden sey. Allein da Hadrian nur den
Mißbrauch desselben bestraft hat 36) so muß das Recht
selbst zu seinen Zeiten wohl noch nicht abgeschaft gewe-
sen seyn; und wenn dem Vater durch verschiedene Se-
natusconsulte unter Hadrian die Verbindlichkeit, seine
Kinder zu ernähren, eingeschärft worden ist 37), so läßt
sich daraus nur so viel schliessen, daß der Vater nicht ha-
be tyrannisch über das Leben und Tod der Kinder gebieten
dürfen. Soviel ist indessen richtig, daß zu den Zeiten des
K. Alexander Severus dem Vater dieses Recht nicht mehr

gestat-
33) in Iulio Paulo Tom. I. Operum pag. 565.
34) L. 8 C ad L. Cornel. de Sicar.
35) in Opusc. de iure occidendi, vend. et exponendi lib.
36) L. 5. D. de Lege Pompeia de parricidio.
37) L. 5. pr. et §. 1. D. de agnosc, et alend. lib.

1. Buch. 6. Tit. §. 135.
ſie in dem Stande ihrer Unabhaͤngigkeit auszuuͤben ge-
wohnt waren. Auch war es um der Auswaͤrtigen wil-
len nothwendig, die Rechte des roͤmiſchen Buͤrgers ſo
glaͤnzend, als moͤglich, zu machen, um Fremde anzurei-
zen, ſich dieſes Buͤrgerrechts theilhaftig zu machen, und
durch dieſes Mittel die Bevoͤlkerung des damals noch klei-
nen Staats zu befoͤrdern. So wie nun aber Geſetze mit
den Zeitumſtaͤnden ſich aͤndern, ſo wurden auch in der
Folge mit der veraͤnderten Staatsverfaſſung Roms die
Rechte der vaͤterlichen Gewalt ſehr eingeſchraͤnkt. Denn
ſo wurde i) dem Vater das Recht uͤber Leben und
Tod ſeiner Kinder
gaͤnzlich genommen. Die ei-
gentliche Zeitperiode, zu welcher dieſes geſchehen, iſt un-
gewiß. Gerhard Noodt 33) glaubt, es ſey zu den Zei-
ten der Kaiſer Valentinian, Valens und Gratian
geſchehen 34). Cornelius van Bynkershoͤk 35) hinge-
gen meint, daß ſchon zu Trajans, Hadrians und An-
tonins
des Frommen Zeiten dem Vater jenes Recht
genommen worden ſey. Allein da Hadrian nur den
Mißbrauch deſſelben beſtraft hat 36) ſo muß das Recht
ſelbſt zu ſeinen Zeiten wohl noch nicht abgeſchaft gewe-
ſen ſeyn; und wenn dem Vater durch verſchiedene Se-
natusconſulte unter Hadrian die Verbindlichkeit, ſeine
Kinder zu ernaͤhren, eingeſchaͤrft worden iſt 37), ſo laͤßt
ſich daraus nur ſo viel ſchlieſſen, daß der Vater nicht ha-
be tyranniſch uͤber das Leben und Tod der Kinder gebieten
duͤrfen. Soviel iſt indeſſen richtig, daß zu den Zeiten des
K. Alexander Severus dem Vater dieſes Recht nicht mehr

geſtat-
33) in Iulio Paulo Tom. I. Operum pag. 565.
34) L. 8 C ad L. Cornel. de Sicar.
35) in Opuſc. de iure occidendi, vend. et exponendi lib.
36) L. 5. D. de Lege Pompeia de parricidio.
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[212/0226] 1. Buch. 6. Tit. §. 135. ſie in dem Stande ihrer Unabhaͤngigkeit auszuuͤben ge- wohnt waren. Auch war es um der Auswaͤrtigen wil- len nothwendig, die Rechte des roͤmiſchen Buͤrgers ſo glaͤnzend, als moͤglich, zu machen, um Fremde anzurei- zen, ſich dieſes Buͤrgerrechts theilhaftig zu machen, und durch dieſes Mittel die Bevoͤlkerung des damals noch klei- nen Staats zu befoͤrdern. So wie nun aber Geſetze mit den Zeitumſtaͤnden ſich aͤndern, ſo wurden auch in der Folge mit der veraͤnderten Staatsverfaſſung Roms die Rechte der vaͤterlichen Gewalt ſehr eingeſchraͤnkt. Denn ſo wurde i) dem Vater das Recht uͤber Leben und Tod ſeiner Kinder gaͤnzlich genommen. Die ei- gentliche Zeitperiode, zu welcher dieſes geſchehen, iſt un- gewiß. Gerhard Noodt 33) glaubt, es ſey zu den Zei- ten der Kaiſer Valentinian, Valens und Gratian geſchehen 34). Cornelius van Bynkershoͤk 35) hinge- gen meint, daß ſchon zu Trajans, Hadrians und An- tonins des Frommen Zeiten dem Vater jenes Recht genommen worden ſey. Allein da Hadrian nur den Mißbrauch deſſelben beſtraft hat 36) ſo muß das Recht ſelbſt zu ſeinen Zeiten wohl noch nicht abgeſchaft gewe- ſen ſeyn; und wenn dem Vater durch verſchiedene Se- natusconſulte unter Hadrian die Verbindlichkeit, ſeine Kinder zu ernaͤhren, eingeſchaͤrft worden iſt 37), ſo laͤßt ſich daraus nur ſo viel ſchlieſſen, daß der Vater nicht ha- be tyranniſch uͤber das Leben und Tod der Kinder gebieten duͤrfen. Soviel iſt indeſſen richtig, daß zu den Zeiten des K. Alexander Severus dem Vater dieſes Recht nicht mehr geſtat- 33) in Iulio Paulo Tom. I. Operum pag. 565. 34) L. 8 C ad L. Cornel. de Sicar. 35) in Opuſc. de iure occidendi, vend. et exponendi lib. 36) L. 5. D. de Lege Pompeia de parricidio. 37) L. 5. pr. et §. 1. D. de agnoſc, et alend. lib.

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/226>, abgerufen am 23.11.2024.