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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 1. Tit.
daß wir uns selbst dazu bestimmen, oder wir werden
dazu durch eine unwiderstehliche Kraft ohne unsern Wil-
len determinirt. Im ersten Fall stehet sie in unse-
rer Gewalt
; im zweiten aber ist's eine Handlung,
die nicht in unserer Gewalt stehet
. Hand-
lungen der letztern Art werden nichtwilkührliche,
oder unfreywillige Handlungen genennet, und
diese können zwiefach seyn, entweder solche, wozu wir
durch eine äusserliche unwiderstehliche Gewalt genöthiget
werden, oder solche, wozu wir von unserer Natur durch
ein in der Organisation unseres Cörpers gegründetes
Principium bestimmt werden, jene werden erzwunge-
ne
, diese aber physisch nothwendige Handlungen
genennet. Wenn im Gegentheil eine Handlung in un-
serer Gewalt stehet, so daß wir sie nach Gefallen thun
und auch unterlassen können, so nennet man sie eine
willkührliche Handlung (actio arbitraria). Wer
nun eine solche willkührliche Handlung unternimmt, ist
entweder im Stande, sich die Folgen derselben vorzu-
stellen, und darnach mit Ueberlegung seinen Willen zu
lenken, oder es ist dem Handelnden dies nicht möglich.
Im ersten Fall heißt die Handlung eine freye, im
weiten eine blos willkührliche nicht freye Hand-
[l]ung
. Wer ferner frey handeln d. i. die Folgen einer
u[n]ternommenen Handlung überlegen konnte, war nun
au[ch] entweder wirklich nicht eher zu der Handlung ge-
sch[rit]ten, als nach einer vorher angestellten reiflichen Ue-
berl[eg]ung, oder er hatte nicht über die Folgen der Hand-
lung gehörig nachgedacht, sondern die Handlung unüber-
legt aus Uebereilung oder in der Hitze der Leidenschaft
begangen. Ob nun gleich die Handlung auch im letzten
Fall nach immer freye Handlung bleibt, so ist
doch nicht zu läugnen, daß ein Mensch in der Hitze
des Affects nicht mit völliger Vernunft handele, und

folg-

1. Buch. 1. Tit.
daß wir uns ſelbſt dazu beſtimmen, oder wir werden
dazu durch eine unwiderſtehliche Kraft ohne unſern Wil-
len determinirt. Im erſten Fall ſtehet ſie in unſe-
rer Gewalt
; im zweiten aber iſt’s eine Handlung,
die nicht in unſerer Gewalt ſtehet
. Hand-
lungen der letztern Art werden nichtwilkuͤhrliche,
oder unfreywillige Handlungen genennet, und
dieſe koͤnnen zwiefach ſeyn, entweder ſolche, wozu wir
durch eine aͤuſſerliche unwiderſtehliche Gewalt genoͤthiget
werden, oder ſolche, wozu wir von unſerer Natur durch
ein in der Organiſation unſeres Coͤrpers gegruͤndetes
Principium beſtimmt werden, jene werden erzwunge-
ne
, dieſe aber phyſiſch nothwendige Handlungen
genennet. Wenn im Gegentheil eine Handlung in un-
ſerer Gewalt ſtehet, ſo daß wir ſie nach Gefallen thun
und auch unterlaſſen koͤnnen, ſo nennet man ſie eine
willkuͤhrliche Handlung (actio arbitraria). Wer
nun eine ſolche willkuͤhrliche Handlung unternimmt, iſt
entweder im Stande, ſich die Folgen derſelben vorzu-
ſtellen, und darnach mit Ueberlegung ſeinen Willen zu
lenken, oder es iſt dem Handelnden dies nicht moͤglich.
Im erſten Fall heißt die Handlung eine freye, im
weiten eine blos willkuͤhrliche nicht freye Hand-
[l]ung
. Wer ferner frey handeln d. i. die Folgen einer
u[n]ternommenen Handlung uͤberlegen konnte, war nun
au[ch] entweder wirklich nicht eher zu der Handlung ge-
ſch[rit]ten, als nach einer vorher angeſtellten reiflichen Ue-
berl[eg]ung, oder er hatte nicht uͤber die Folgen der Hand-
lung gehoͤrig nachgedacht, ſondern die Handlung unuͤber-
legt aus Uebereilung oder in der Hitze der Leidenſchaft
begangen. Ob nun gleich die Handlung auch im letzten
Fall nach immer freye Handlung bleibt, ſo iſt
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[70/0090] 1. Buch. 1. Tit. daß wir uns ſelbſt dazu beſtimmen, oder wir werden dazu durch eine unwiderſtehliche Kraft ohne unſern Wil- len determinirt. Im erſten Fall ſtehet ſie in unſe- rer Gewalt; im zweiten aber iſt’s eine Handlung, die nicht in unſerer Gewalt ſtehet. Hand- lungen der letztern Art werden nichtwilkuͤhrliche, oder unfreywillige Handlungen genennet, und dieſe koͤnnen zwiefach ſeyn, entweder ſolche, wozu wir durch eine aͤuſſerliche unwiderſtehliche Gewalt genoͤthiget werden, oder ſolche, wozu wir von unſerer Natur durch ein in der Organiſation unſeres Coͤrpers gegruͤndetes Principium beſtimmt werden, jene werden erzwunge- ne, dieſe aber phyſiſch nothwendige Handlungen genennet. Wenn im Gegentheil eine Handlung in un- ſerer Gewalt ſtehet, ſo daß wir ſie nach Gefallen thun und auch unterlaſſen koͤnnen, ſo nennet man ſie eine willkuͤhrliche Handlung (actio arbitraria). Wer nun eine ſolche willkuͤhrliche Handlung unternimmt, iſt entweder im Stande, ſich die Folgen derſelben vorzu- ſtellen, und darnach mit Ueberlegung ſeinen Willen zu lenken, oder es iſt dem Handelnden dies nicht moͤglich. Im erſten Fall heißt die Handlung eine freye, im weiten eine blos willkuͤhrliche nicht freye Hand- lung. Wer ferner frey handeln d. i. die Folgen einer unternommenen Handlung uͤberlegen konnte, war nun auch entweder wirklich nicht eher zu der Handlung ge- ſchritten, als nach einer vorher angeſtellten reiflichen Ue- berlegung, oder er hatte nicht uͤber die Folgen der Hand- lung gehoͤrig nachgedacht, ſondern die Handlung unuͤber- legt aus Uebereilung oder in der Hitze der Leidenſchaft begangen. Ob nun gleich die Handlung auch im letzten Fall nach immer freye Handlung bleibt, ſo iſt doch nicht zu laͤugnen, daß ein Menſch in der Hitze des Affects nicht mit voͤlliger Vernunft handele, und folg-

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/90>, abgerufen am 27.11.2024.