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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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de Legibus, Senatusconsultis et longa consuet.
noch nicht vorgekommen, dennoch nicht nur
überhaupt unter ein gewisses genus von
Fällen zu zählen ist, von welchen derselbe
als eine Species anzusehen, sondern auch
insonderheit bey dem jetzigen einzelnen Fal-
le eben der Grund, welcher vom ganzen Ge-
schlecht gilt, statt findet
. Ist dieses, so ist der
gegebene Fall allerdings für gleichartig zu halten,
und es ist genug, wenn die Gewohnheit nur von dem
genere casuum erwiesen wird, unter welchem der streiti-
ge Fall als eine Species begriffen ist. Man setze zum
Beyspiel, daß in einem gewissen Orte die Töchter aus
der Verlassenschaft ihrer Mütter die Gerade für sich ver-
langten, und sich in einem Gewohnheitsrecht gründeten.
Sie bewiesen hierauf, daß man sich an diesem Orte in
Erbfällen von je her nach dem sächsischen Rechte gerich-
tet; so haben sie auch in Ansehung der zum voraus ver-
langten Gerade das behauptete Gewohnheitsrecht erwiesen,
weil auch diese sächsischen Rechtens ist. Ein anderer Fall.
Ein Edelmann verlangt von einem Witwer, der seiner
ohne Leibeserben verstorbenen Ehefrauen lehnbahres Guth
ererbet, vermöge eines Gewohnheitsrechts das Erb- oder
Sterbhandlohn. Der Lehnmann glaubt hiezu nicht ver-
bunden zu seyn. Ersterer soll also seine angemaßte Be-
fugniß erweisen. Der Edelmann beweiset nun mit einer
Reihe von Fällen, daß ihm jederzeit die Witwe, welche
ihres ohne Kinder verstorbenen Mannes Lehnguth ererbt,
die Sterbelehn als persona in investitura non com-
prehensa
habe entrichten müssen. Quaeritur, hat Klä-
ger hierdurch sein Recht, auch in dem jetzigen Fall ein
Erbhandlohn zu fordern, erwiesen? ich glaube, aller-
dings! Denn ist gleich der sich jetzt zugetragene umgekehr-
te Fall vorher noch nicht in individuo vorgekommen, wer

wird
G g 4

de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
noch nicht vorgekommen, dennoch nicht nur
uͤberhaupt unter ein gewiſſes genus von
Faͤllen zu zaͤhlen iſt, von welchen derſelbe
als eine Species anzuſehen, ſondern auch
inſonderheit bey dem jetzigen einzelnen Fal-
le eben der Grund, welcher vom ganzen Ge-
ſchlecht gilt, ſtatt findet
. Iſt dieſes, ſo iſt der
gegebene Fall allerdings fuͤr gleichartig zu halten,
und es iſt genug, wenn die Gewohnheit nur von dem
genere caſuum erwieſen wird, unter welchem der ſtreiti-
ge Fall als eine Species begriffen iſt. Man ſetze zum
Beyſpiel, daß in einem gewiſſen Orte die Toͤchter aus
der Verlaſſenſchaft ihrer Muͤtter die Gerade fuͤr ſich ver-
langten, und ſich in einem Gewohnheitsrecht gruͤndeten.
Sie bewieſen hierauf, daß man ſich an dieſem Orte in
Erbfaͤllen von je her nach dem ſaͤchſiſchen Rechte gerich-
tet; ſo haben ſie auch in Anſehung der zum voraus ver-
langten Gerade das behauptete Gewohnheitsrecht erwieſen,
weil auch dieſe ſaͤchſiſchen Rechtens iſt. Ein anderer Fall.
Ein Edelmann verlangt von einem Witwer, der ſeiner
ohne Leibeserben verſtorbenen Ehefrauen lehnbahres Guth
ererbet, vermoͤge eines Gewohnheitsrechts das Erb- oder
Sterbhandlohn. Der Lehnmann glaubt hiezu nicht ver-
bunden zu ſeyn. Erſterer ſoll alſo ſeine angemaßte Be-
fugniß erweiſen. Der Edelmann beweiſet nun mit einer
Reihe von Faͤllen, daß ihm jederzeit die Witwe, welche
ihres ohne Kinder verſtorbenen Mannes Lehnguth ererbt,
die Sterbelehn als perſona in inveſtitura non com-
prehenſa
habe entrichten muͤſſen. Quaeritur, hat Klaͤ-
ger hierdurch ſein Recht, auch in dem jetzigen Fall ein
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[469/0489] de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. noch nicht vorgekommen, dennoch nicht nur uͤberhaupt unter ein gewiſſes genus von Faͤllen zu zaͤhlen iſt, von welchen derſelbe als eine Species anzuſehen, ſondern auch inſonderheit bey dem jetzigen einzelnen Fal- le eben der Grund, welcher vom ganzen Ge- ſchlecht gilt, ſtatt findet. Iſt dieſes, ſo iſt der gegebene Fall allerdings fuͤr gleichartig zu halten, und es iſt genug, wenn die Gewohnheit nur von dem genere caſuum erwieſen wird, unter welchem der ſtreiti- ge Fall als eine Species begriffen iſt. Man ſetze zum Beyſpiel, daß in einem gewiſſen Orte die Toͤchter aus der Verlaſſenſchaft ihrer Muͤtter die Gerade fuͤr ſich ver- langten, und ſich in einem Gewohnheitsrecht gruͤndeten. Sie bewieſen hierauf, daß man ſich an dieſem Orte in Erbfaͤllen von je her nach dem ſaͤchſiſchen Rechte gerich- tet; ſo haben ſie auch in Anſehung der zum voraus ver- langten Gerade das behauptete Gewohnheitsrecht erwieſen, weil auch dieſe ſaͤchſiſchen Rechtens iſt. Ein anderer Fall. Ein Edelmann verlangt von einem Witwer, der ſeiner ohne Leibeserben verſtorbenen Ehefrauen lehnbahres Guth ererbet, vermoͤge eines Gewohnheitsrechts das Erb- oder Sterbhandlohn. Der Lehnmann glaubt hiezu nicht ver- bunden zu ſeyn. Erſterer ſoll alſo ſeine angemaßte Be- fugniß erweiſen. Der Edelmann beweiſet nun mit einer Reihe von Faͤllen, daß ihm jederzeit die Witwe, welche ihres ohne Kinder verſtorbenen Mannes Lehnguth ererbt, die Sterbelehn als perſona in inveſtitura non com- prehenſa habe entrichten muͤſſen. Quaeritur, hat Klaͤ- ger hierdurch ſein Recht, auch in dem jetzigen Fall ein Erbhandlohn zu fordern, erwieſen? ich glaube, aller- dings! Denn iſt gleich der ſich jetzt zugetragene umgekehr- te Fall vorher noch nicht in individuo vorgekommen, wer wird G g 4

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/489>, abgerufen am 22.11.2024.