Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

de Legibus, Senatusconsultis et longa consuet.
gentlich sogenannte ius civile 27), so aus den Gesezer-
klärungen und Gutachten der römischen Rechtsgelehrten
seinen Ursprung genommen, und durch den Gerichtsge-
brauch bestättiget worden, ursprünglich bloses Gewohn-
heitsrecht (ius non scriptum), und doch konnte Ju-
stinian
zu seinen Zeiten beydes ganz richtig zum ius
scriptum
zählen 28)? Auch in neuern Zeiten sind die
Beyspiele hiervon nicht selten. Nur darf in einem sol-
chen Fälle, da bisherige Gewohnheitsrechte in geschrie-
bene Gesetze verwandelt werden, ihre ursprüngliche Ei-
genschaft nie vergessen, und daher solche mit andern
Gesetzen, die ganz neue Verordnungen enthalten, nie
auf einerley Fuß behandelt werden. Wenigstens der
Rechtsgelehrte muß immer eingedenk seyn, daß der In-
halt solcher Gesetze schon lange vorher seine Rechtskraft
hatte, und daß also der Ursprung und der wahre Grund
eines solchen Rechts nicht erst in jenen neuern Gesetzen,
sondern schon in weit ältern Zeiten zu suchen ist. Denn
sonst würde man in Auslegung und Anwendung solcher
Gesetze nur gar zu oft das wahre Ziel verfehlen 29).
Endlich 4) kann auch ein ursprünglich kundgemachtes
Recht vim legis scriptae verliehren, und nur als Ge-
wohnheitsrecht (tanquam ius non scriptum) beybehal-
ten werden. Die Gesetze der römischen Könige, die
Gesetze der alten teutschen Völker, die Capitularien der

frän-
27) L. 2. §. 5. D. de O. I. -- Haec disputatio (fori) et
hoc ius, quod sine scripto venit, compositum a Pru-
dentibus
, propria parte aliqua non appellatur -- sed
communi nomine appellatur ius civile,
und §. 12.
heißt es: est proprium ius civile, quod sine scripto in
sola Prudentium interpretatione consistit.
28) §. 3. I. de I. N. G. et Civ.
29) S. Pütters Beyträge zum T. Staats- und Fürsten-
Rechte. 2. Th. S. 22.

de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
gentlich ſogenannte ius civile 27), ſo aus den Geſezer-
klaͤrungen und Gutachten der roͤmiſchen Rechtsgelehrten
ſeinen Urſprung genommen, und durch den Gerichtsge-
brauch beſtaͤttiget worden, urſpruͤnglich bloſes Gewohn-
heitsrecht (ius non ſcriptum), und doch konnte Ju-
ſtinian
zu ſeinen Zeiten beydes ganz richtig zum ius
ſcriptum
zaͤhlen 28)? Auch in neuern Zeiten ſind die
Beyſpiele hiervon nicht ſelten. Nur darf in einem ſol-
chen Faͤlle, da bisherige Gewohnheitsrechte in geſchrie-
bene Geſetze verwandelt werden, ihre urſpruͤngliche Ei-
genſchaft nie vergeſſen, und daher ſolche mit andern
Geſetzen, die ganz neue Verordnungen enthalten, nie
auf einerley Fuß behandelt werden. Wenigſtens der
Rechtsgelehrte muß immer eingedenk ſeyn, daß der In-
halt ſolcher Geſetze ſchon lange vorher ſeine Rechtskraft
hatte, und daß alſo der Urſprung und der wahre Grund
eines ſolchen Rechts nicht erſt in jenen neuern Geſetzen,
ſondern ſchon in weit aͤltern Zeiten zu ſuchen iſt. Denn
ſonſt wuͤrde man in Auslegung und Anwendung ſolcher
Geſetze nur gar zu oft das wahre Ziel verfehlen 29).
Endlich 4) kann auch ein urſpruͤnglich kundgemachtes
Recht vim legis ſcriptae verliehren, und nur als Ge-
wohnheitsrecht (tanquam ius non ſcriptum) beybehal-
ten werden. Die Geſetze der roͤmiſchen Koͤnige, die
Geſetze der alten teutſchen Voͤlker, die Capitularien der

fraͤn-
27) L. 2. §. 5. D. de O. I. — Haec diſputatio (fori) et
hoc ius, quod ſine ſcripto venit, compoſitum a Pru-
dentibus
, propria parte aliqua non appellatur — ſed
communi nomine appellatur ius civile,
und §. 12.
heißt es: eſt proprium ius civile, quod ſine ſcripto in
ſola Prudentium interpretatione conſiſtit.
28) §. 3. I. de I. N. G. et Civ.
29) S. Puͤtters Beytraͤge zum T. Staats- und Fuͤrſten-
Rechte. 2. Th. S. 22.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0447" n="427"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">de Legibus, Senatuscon&#x017F;ultis et longa con&#x017F;uet.</hi></fw><lb/>
gentlich &#x017F;ogenannte <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">ius civile</hi></hi> <note place="foot" n="27)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L. 2. §. 5. D. de O. I</hi>. &#x2014; Haec di&#x017F;putatio (fori) et<lb/>
hoc ius, quod <hi rendition="#i">&#x017F;ine &#x017F;cripto</hi> venit, compo&#x017F;itum a <hi rendition="#i">Pru-<lb/>
dentibus</hi>, propria parte aliqua non appellatur &#x2014; &#x017F;ed<lb/>
communi nomine appellatur <hi rendition="#k">ius civile</hi>,</hi> und §. 12.<lb/>
heißt es: <hi rendition="#aq">e&#x017F;t proprium <hi rendition="#k">ius civile</hi>, quod <hi rendition="#i">&#x017F;ine &#x017F;cripto</hi> in<lb/>
&#x017F;ola <hi rendition="#i">Prudentium</hi> interpretatione con&#x017F;i&#x017F;tit.</hi></note>, &#x017F;o aus den Ge&#x017F;ezer-<lb/>
kla&#x0364;rungen und Gutachten der ro&#x0364;mi&#x017F;chen Rechtsgelehrten<lb/>
&#x017F;einen Ur&#x017F;prung genommen, und durch den Gerichtsge-<lb/>
brauch be&#x017F;ta&#x0364;ttiget worden, ur&#x017F;pru&#x0364;nglich blo&#x017F;es Gewohn-<lb/>
heitsrecht <hi rendition="#aq">(ius non &#x017F;criptum),</hi> und doch konnte <hi rendition="#g">Ju-<lb/>
&#x017F;tinian</hi> zu &#x017F;einen Zeiten beydes ganz richtig zum <hi rendition="#aq">ius<lb/>
&#x017F;criptum</hi> za&#x0364;hlen <note place="foot" n="28)"><hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">§. 3. I. de I. N. G. et Civ.</hi></hi></note>? Auch in neuern Zeiten &#x017F;ind die<lb/>
Bey&#x017F;piele hiervon nicht &#x017F;elten. Nur darf in einem &#x017F;ol-<lb/>
chen Fa&#x0364;lle, da bisherige Gewohnheitsrechte in ge&#x017F;chrie-<lb/>
bene Ge&#x017F;etze verwandelt werden, ihre ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche Ei-<lb/>
gen&#x017F;chaft nie verge&#x017F;&#x017F;en, und daher &#x017F;olche mit andern<lb/>
Ge&#x017F;etzen, die ganz neue Verordnungen enthalten, nie<lb/>
auf einerley Fuß behandelt werden. Wenig&#x017F;tens der<lb/>
Rechtsgelehrte muß immer eingedenk &#x017F;eyn, daß der In-<lb/>
halt &#x017F;olcher Ge&#x017F;etze &#x017F;chon lange vorher &#x017F;eine Rechtskraft<lb/>
hatte, und daß al&#x017F;o der Ur&#x017F;prung und der wahre Grund<lb/>
eines &#x017F;olchen Rechts nicht er&#x017F;t in jenen neuern Ge&#x017F;etzen,<lb/>
&#x017F;ondern &#x017F;chon in weit a&#x0364;ltern Zeiten zu &#x017F;uchen i&#x017F;t. Denn<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rde man in Auslegung und Anwendung &#x017F;olcher<lb/>
Ge&#x017F;etze nur gar zu oft das wahre Ziel verfehlen <note place="foot" n="29)">S. Pu&#x0364;tters Beytra&#x0364;ge zum T. Staats- und Fu&#x0364;r&#x017F;ten-<lb/>
Rechte. 2. Th. S. 22.</note>.<lb/>
Endlich 4) kann auch ein ur&#x017F;pru&#x0364;nglich kundgemachtes<lb/>
Recht <hi rendition="#aq">vim legis &#x017F;criptae</hi> verliehren, und nur als Ge-<lb/>
wohnheitsrecht <hi rendition="#aq">(tanquam ius non &#x017F;criptum)</hi> beybehal-<lb/>
ten werden. Die Ge&#x017F;etze der ro&#x0364;mi&#x017F;chen Ko&#x0364;nige, die<lb/>
Ge&#x017F;etze der alten teut&#x017F;chen Vo&#x0364;lker, die Capitularien der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fra&#x0364;n-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[427/0447] de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet. gentlich ſogenannte ius civile 27), ſo aus den Geſezer- klaͤrungen und Gutachten der roͤmiſchen Rechtsgelehrten ſeinen Urſprung genommen, und durch den Gerichtsge- brauch beſtaͤttiget worden, urſpruͤnglich bloſes Gewohn- heitsrecht (ius non ſcriptum), und doch konnte Ju- ſtinian zu ſeinen Zeiten beydes ganz richtig zum ius ſcriptum zaͤhlen 28)? Auch in neuern Zeiten ſind die Beyſpiele hiervon nicht ſelten. Nur darf in einem ſol- chen Faͤlle, da bisherige Gewohnheitsrechte in geſchrie- bene Geſetze verwandelt werden, ihre urſpruͤngliche Ei- genſchaft nie vergeſſen, und daher ſolche mit andern Geſetzen, die ganz neue Verordnungen enthalten, nie auf einerley Fuß behandelt werden. Wenigſtens der Rechtsgelehrte muß immer eingedenk ſeyn, daß der In- halt ſolcher Geſetze ſchon lange vorher ſeine Rechtskraft hatte, und daß alſo der Urſprung und der wahre Grund eines ſolchen Rechts nicht erſt in jenen neuern Geſetzen, ſondern ſchon in weit aͤltern Zeiten zu ſuchen iſt. Denn ſonſt wuͤrde man in Auslegung und Anwendung ſolcher Geſetze nur gar zu oft das wahre Ziel verfehlen 29). Endlich 4) kann auch ein urſpruͤnglich kundgemachtes Recht vim legis ſcriptae verliehren, und nur als Ge- wohnheitsrecht (tanquam ius non ſcriptum) beybehal- ten werden. Die Geſetze der roͤmiſchen Koͤnige, die Geſetze der alten teutſchen Voͤlker, die Capitularien der fraͤn- 27) L. 2. §. 5. D. de O. I. — Haec diſputatio (fori) et hoc ius, quod ſine ſcripto venit, compoſitum a Pru- dentibus, propria parte aliqua non appellatur — ſed communi nomine appellatur ius civile, und §. 12. heißt es: eſt proprium ius civile, quod ſine ſcripto in ſola Prudentium interpretatione conſiſtit. 28) §. 3. I. de I. N. G. et Civ. 29) S. Puͤtters Beytraͤge zum T. Staats- und Fuͤrſten- Rechte. 2. Th. S. 22.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/447
Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/447>, abgerufen am 23.11.2024.