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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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de Origine Iuris.
verbum ex legibus sic accipiendum esse, tam ex le-
gum sententia, quam ex verbis
. Und diese Rechtsa-
nalogie wird daher auch in der Ordnung denjenigen
Plaz einnehmen, wo das Recht stehet, von dessen Ana-
logie die Rede ist.

Wie soll also in Ermangelung positiver Privatge-
setze bestimmt werden, was in einem Falle recht oder
unrecht, wozu dieser verbunden, jener berechtiget sey? --
Da ist nun die lezte Zuflucht zu demjenigen Recht zu
nehmen, welches die gesunde Vernunft jeden Menschen
lehret 39). Denn daß das Naturrecht auch in der bür-
gerlichen Gesellschaft gelte, ist eine unbestrittene Wahr-
heit. (§. 17.) Indes bleibt dieses doch immer nur die
leztere Zuflucht, sollten daher ungeschriebene Gesetze, d.
i. rechtsbewährte und erwiesene Gewohnheiten vorhanden
seyn, so stehen diese mit geschriebenen Gesetzen in einer-
ley Verhältnis, und dienen, wenn sie sonst nur nicht
den guten Sitten, der Religion und der gemeinen
Wohlfahrt entgegen, und aus solchen Gründen etwa
verwerflich sind, in sofern allerdings zur Entscheidung.

Wie aber, wenn Gesezbücher und Gewohnheits-
rechte in Collision gerathen? Wie, wenn Gebräuche, die
ohne ausdrückliche Genehmigung der höchsten Ge-
walt in Gang gekommen sind, mit dem, was geschrie-
bene Gesetze enthalten, im Widerspruch stehen, wie wird
das Verhältniß derselben gegen einander seyn? Da wir

über
39) Ubi enim iuris civilis aut positivi cuiuscunque deficit de-
finitio, ibi Iuris Naturalis dispositio defectum supplet
, sagt
der berühmte Herr geistliche Rath endres in seiner vor-
treflichen Diss. de necessario iurisprudentiae naturalis cum
ecclesiastica nexu, et illius in hac usu. Wirceb. 1761.
Cap. I. §. XIX.
in schmidt Thes. Iur. Eccles. T. I. N. I.
S. 16.

de Origine Iuris.
verbum ex legibus ſic accipiendum eſſe, tam ex le-
gum ſententia, quam ex verbis
. Und dieſe Rechtsa-
nalogie wird daher auch in der Ordnung denjenigen
Plaz einnehmen, wo das Recht ſtehet, von deſſen Ana-
logie die Rede iſt.

Wie ſoll alſo in Ermangelung poſitiver Privatge-
ſetze beſtimmt werden, was in einem Falle recht oder
unrecht, wozu dieſer verbunden, jener berechtiget ſey? —
Da iſt nun die lezte Zuflucht zu demjenigen Recht zu
nehmen, welches die geſunde Vernunft jeden Menſchen
lehret 39). Denn daß das Naturrecht auch in der buͤr-
gerlichen Geſellſchaft gelte, iſt eine unbeſtrittene Wahr-
heit. (§. 17.) Indes bleibt dieſes doch immer nur die
leztere Zuflucht, ſollten daher ungeſchriebene Geſetze, d.
i. rechtsbewaͤhrte und erwieſene Gewohnheiten vorhanden
ſeyn, ſo ſtehen dieſe mit geſchriebenen Geſetzen in einer-
ley Verhaͤltnis, und dienen, wenn ſie ſonſt nur nicht
den guten Sitten, der Religion und der gemeinen
Wohlfahrt entgegen, und aus ſolchen Gruͤnden etwa
verwerflich ſind, in ſofern allerdings zur Entſcheidung.

Wie aber, wenn Geſezbuͤcher und Gewohnheits-
rechte in Colliſion gerathen? Wie, wenn Gebraͤuche, die
ohne ausdruͤckliche Genehmigung der hoͤchſten Ge-
walt in Gang gekommen ſind, mit dem, was geſchrie-
bene Geſetze enthalten, im Widerſpruch ſtehen, wie wird
das Verhaͤltniß derſelben gegen einander ſeyn? Da wir

uͤber
39) Ubi enim iuris civilis aut poſitivi cuiuscunque deficit de-
finitio, ibi Iuris Naturalis diſpoſitio defectum ſupplet
, ſagt
der beruͤhmte Herr geiſtliche Rath endres in ſeiner vor-
treflichen Diſſ. de neceſſario iurisprudentiae naturalis cum
eccleſiaſtica nexu, et illius in hac uſu. Wirceb. 1761.
Cap. I. §. XIX.
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S. 16.
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[413/0433] de Origine Iuris. verbum ex legibus ſic accipiendum eſſe, tam ex le- gum ſententia, quam ex verbis. Und dieſe Rechtsa- nalogie wird daher auch in der Ordnung denjenigen Plaz einnehmen, wo das Recht ſtehet, von deſſen Ana- logie die Rede iſt. Wie ſoll alſo in Ermangelung poſitiver Privatge- ſetze beſtimmt werden, was in einem Falle recht oder unrecht, wozu dieſer verbunden, jener berechtiget ſey? — Da iſt nun die lezte Zuflucht zu demjenigen Recht zu nehmen, welches die geſunde Vernunft jeden Menſchen lehret 39). Denn daß das Naturrecht auch in der buͤr- gerlichen Geſellſchaft gelte, iſt eine unbeſtrittene Wahr- heit. (§. 17.) Indes bleibt dieſes doch immer nur die leztere Zuflucht, ſollten daher ungeſchriebene Geſetze, d. i. rechtsbewaͤhrte und erwieſene Gewohnheiten vorhanden ſeyn, ſo ſtehen dieſe mit geſchriebenen Geſetzen in einer- ley Verhaͤltnis, und dienen, wenn ſie ſonſt nur nicht den guten Sitten, der Religion und der gemeinen Wohlfahrt entgegen, und aus ſolchen Gruͤnden etwa verwerflich ſind, in ſofern allerdings zur Entſcheidung. Wie aber, wenn Geſezbuͤcher und Gewohnheits- rechte in Colliſion gerathen? Wie, wenn Gebraͤuche, die ohne ausdruͤckliche Genehmigung der hoͤchſten Ge- walt in Gang gekommen ſind, mit dem, was geſchrie- bene Geſetze enthalten, im Widerſpruch ſtehen, wie wird das Verhaͤltniß derſelben gegen einander ſeyn? Da wir uͤber 39) Ubi enim iuris civilis aut poſitivi cuiuscunque deficit de- finitio, ibi Iuris Naturalis diſpoſitio defectum ſupplet, ſagt der beruͤhmte Herr geiſtliche Rath endres in ſeiner vor- treflichen Diſſ. de neceſſario iurisprudentiae naturalis cum eccleſiaſtica nexu, et illius in hac uſu. Wirceb. 1761. Cap. I. §. XIX. in schmidt Theſ. Iur. Eccleſ. T. I. N. I. S. 16.

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/433>, abgerufen am 24.11.2024.