Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.1. Buch. 2. Tit. vor dem andern bestimmt wissen will, weil, wenn gleichdas Canonische Recht in unsern Gerichten in sehr vielen Fällen vor dem Justinianeischen den Vorzug behaupte, doch auch genug Beyspiele vorhanden wären, da nach dem Gerichtsbrauch das Gegentheil statt finde. Ich bin noch immer überzeugt, daß unter diesen so verschie- denen Meinungen diejenige die richtigste sey, nach wel- cher dem canonischen Rechte in der Regel der Vorzug vor dem Römischen eingeräumet wird, so lange nicht nach einem genugsam bewährten Gerichtsbrauche das Gegen- theil statt findet 97). Schon dadurch, daß der Ge- richtsbrauch dem canonischen Rechte in den meisten Fäl- len ohne allen Zweifel den Vorzug vor dem römischen giebt, rechtfertiget sich zwar diese Regel vollkommen; allein wir wollen die Gründe selbst anführen, auf wel- chen dieser Vorzug des Canonischen Rechts beruher. Sie sind folgende. Erstens hat man seit den ältesten Zeiten in Teutschland für das Canonische Recht stets günstige Vorurtheile geheget, und sich überredet, daß es den teutschen Sitten und unsrer Verfassung nicht allein an und für sich mehr, als das Römische, angemessen sey 98), sondern auch die Grundsätze desselben besser, als die des römischen Rechts, mit der Billigkeit übereinstimmen. Zwei- 97) Dieser Meinung sind unter den neuern Rechtsgelehrten ausser endres in der angeführten Diss. §. XIV. Eich- mann in den Erklärungen des bürgerlichen Rechts 1. Th. S. 358. u. folgg. und Io. Th. Ad. kind Diss. de fontibus iuris iudiciarii civ. quod per Germa- niam obtinet. Lipsiae 1785. §. V. S. 14. 98) Daß das canonische Recht manches Ueberbleibsel unserer
alten Gesetze und Rechtsgewohnheiten enthalte, haben Car. Ferd. hommel Rhapsod. Obs. 649. und 650. und Io. Gottl. heineccius in Element. iuris Germ. Lib. I. §. 254. not. *) mit vielen Beispielen erwiesen. 1. Buch. 2. Tit. vor dem andern beſtimmt wiſſen will, weil, wenn gleichdas Canoniſche Recht in unſern Gerichten in ſehr vielen Faͤllen vor dem Juſtinianeiſchen den Vorzug behaupte, doch auch genug Beyſpiele vorhanden waͤren, da nach dem Gerichtsbrauch das Gegentheil ſtatt finde. Ich bin noch immer uͤberzeugt, daß unter dieſen ſo verſchie- denen Meinungen diejenige die richtigſte ſey, nach wel- cher dem canoniſchen Rechte in der Regel der Vorzug vor dem Roͤmiſchen eingeraͤumet wird, ſo lange nicht nach einem genugſam bewaͤhrten Gerichtsbrauche das Gegen- theil ſtatt findet 97). Schon dadurch, daß der Ge- richtsbrauch dem canoniſchen Rechte in den meiſten Faͤl- len ohne allen Zweifel den Vorzug vor dem roͤmiſchen giebt, rechtfertiget ſich zwar dieſe Regel vollkommen; allein wir wollen die Gruͤnde ſelbſt anfuͤhren, auf wel- chen dieſer Vorzug des Canoniſchen Rechts beruher. Sie ſind folgende. Erſtens hat man ſeit den aͤlteſten Zeiten in Teutſchland fuͤr das Canoniſche Recht ſtets guͤnſtige Vorurtheile geheget, und ſich uͤberredet, daß es den teutſchen Sitten und unſrer Verfaſſung nicht allein an und fuͤr ſich mehr, als das Roͤmiſche, angemeſſen ſey 98), ſondern auch die Grundſaͤtze deſſelben beſſer, als die des roͤmiſchen Rechts, mit der Billigkeit uͤbereinſtimmen. Zwei- 97) Dieſer Meinung ſind unter den neuern Rechtsgelehrten auſſer endres in der angefuͤhrten Diſſ. §. XIV. Eich- mann in den Erklaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts 1. Th. S. 358. u. folgg. und Io. Th. Ad. kind Diſſ. de fontibus iuris iudiciarii civ. quod per Germa- niam obtinet. Lipſiae 1785. §. V. S. 14. 98) Daß das canoniſche Recht manches Ueberbleibſel unſerer
alten Geſetze und Rechtsgewohnheiten enthalte, haben Car. Ferd. hommel Rhapſod. Obſ. 649. und 650. und Io. Gottl. heineccius in Element. iuris Germ. Lib. I. §. 254. not. *) mit vielen Beiſpielen erwieſen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0416" n="396"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr">1. Buch. 2. Tit.</hi></fw><lb/> vor dem andern beſtimmt wiſſen will, weil, wenn gleich<lb/> das Canoniſche Recht in unſern Gerichten in ſehr vielen<lb/> Faͤllen vor dem Juſtinianeiſchen den Vorzug behaupte,<lb/> doch auch genug Beyſpiele vorhanden waͤren, da nach<lb/> dem Gerichtsbrauch das Gegentheil ſtatt finde. Ich<lb/> bin noch immer uͤberzeugt, daß unter dieſen ſo verſchie-<lb/> denen Meinungen diejenige die richtigſte ſey, nach wel-<lb/> cher dem canoniſchen Rechte in der Regel der Vorzug<lb/> vor dem Roͤmiſchen eingeraͤumet wird, ſo lange nicht nach<lb/> einem genugſam bewaͤhrten Gerichtsbrauche das Gegen-<lb/> theil ſtatt findet <note place="foot" n="97)">Dieſer Meinung ſind unter den neuern Rechtsgelehrten<lb/> auſſer <hi rendition="#k"><hi rendition="#aq">endres</hi></hi> in der angefuͤhrten <hi rendition="#aq">Diſſ. §. XIV.</hi> Eich-<lb/> mann in den <hi rendition="#g">Erklaͤrungen des buͤrgerlichen<lb/> Rechts</hi> 1. Th. S. 358. u. folgg. und <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Io. Th. Ad.</hi><hi rendition="#k">kind</hi><lb/> Diſſ. de fontibus iuris iudiciarii civ. quod per Germa-<lb/> niam obtinet. Lipſiae 1785. §. V.</hi> S. 14.</note>. Schon dadurch, daß der Ge-<lb/> richtsbrauch dem canoniſchen Rechte in den meiſten Faͤl-<lb/> len ohne allen Zweifel den Vorzug vor dem roͤmiſchen<lb/> giebt, rechtfertiget ſich zwar dieſe Regel vollkommen;<lb/> allein wir wollen die Gruͤnde ſelbſt anfuͤhren, auf wel-<lb/> chen dieſer Vorzug des Canoniſchen Rechts beruher.<lb/> Sie ſind folgende. Erſtens hat man ſeit den aͤlteſten<lb/> Zeiten in Teutſchland fuͤr das Canoniſche Recht ſtets<lb/> guͤnſtige Vorurtheile geheget, und ſich uͤberredet, daß es<lb/> den teutſchen Sitten und unſrer Verfaſſung nicht allein an<lb/> und fuͤr ſich mehr, als das Roͤmiſche, angemeſſen ſey <note place="foot" n="98)">Daß das canoniſche Recht manches Ueberbleibſel unſerer<lb/> alten Geſetze und Rechtsgewohnheiten enthalte, haben<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Car. Ferd.</hi><hi rendition="#k">hommel</hi> Rhapſod. Obſ.</hi> 649. und 650. und<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Io. Gottl.</hi><hi rendition="#k">heineccius</hi></hi> in <hi rendition="#aq">Element. iuris Germ. Lib. I.<lb/> §. 254. not.</hi> *) mit vielen Beiſpielen erwieſen.</note>,<lb/> ſondern auch die Grundſaͤtze deſſelben beſſer, als die des<lb/> roͤmiſchen Rechts, mit der Billigkeit uͤbereinſtimmen.<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Zwei-</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [396/0416]
1. Buch. 2. Tit.
vor dem andern beſtimmt wiſſen will, weil, wenn gleich
das Canoniſche Recht in unſern Gerichten in ſehr vielen
Faͤllen vor dem Juſtinianeiſchen den Vorzug behaupte,
doch auch genug Beyſpiele vorhanden waͤren, da nach
dem Gerichtsbrauch das Gegentheil ſtatt finde. Ich
bin noch immer uͤberzeugt, daß unter dieſen ſo verſchie-
denen Meinungen diejenige die richtigſte ſey, nach wel-
cher dem canoniſchen Rechte in der Regel der Vorzug
vor dem Roͤmiſchen eingeraͤumet wird, ſo lange nicht nach
einem genugſam bewaͤhrten Gerichtsbrauche das Gegen-
theil ſtatt findet 97). Schon dadurch, daß der Ge-
richtsbrauch dem canoniſchen Rechte in den meiſten Faͤl-
len ohne allen Zweifel den Vorzug vor dem roͤmiſchen
giebt, rechtfertiget ſich zwar dieſe Regel vollkommen;
allein wir wollen die Gruͤnde ſelbſt anfuͤhren, auf wel-
chen dieſer Vorzug des Canoniſchen Rechts beruher.
Sie ſind folgende. Erſtens hat man ſeit den aͤlteſten
Zeiten in Teutſchland fuͤr das Canoniſche Recht ſtets
guͤnſtige Vorurtheile geheget, und ſich uͤberredet, daß es
den teutſchen Sitten und unſrer Verfaſſung nicht allein an
und fuͤr ſich mehr, als das Roͤmiſche, angemeſſen ſey 98),
ſondern auch die Grundſaͤtze deſſelben beſſer, als die des
roͤmiſchen Rechts, mit der Billigkeit uͤbereinſtimmen.
Zwei-
97) Dieſer Meinung ſind unter den neuern Rechtsgelehrten
auſſer endres in der angefuͤhrten Diſſ. §. XIV. Eich-
mann in den Erklaͤrungen des buͤrgerlichen
Rechts 1. Th. S. 358. u. folgg. und Io. Th. Ad. kind
Diſſ. de fontibus iuris iudiciarii civ. quod per Germa-
niam obtinet. Lipſiae 1785. §. V. S. 14.
98) Daß das canoniſche Recht manches Ueberbleibſel unſerer
alten Geſetze und Rechtsgewohnheiten enthalte, haben
Car. Ferd. hommel Rhapſod. Obſ. 649. und 650. und
Io. Gottl. heineccius in Element. iuris Germ. Lib. I.
§. 254. not. *) mit vielen Beiſpielen erwieſen.
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