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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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de Iustitia et Iure.
würdiger Persohnen, oder andern dergleichen recht-
lichen Beweismitteln unmittelbar zu Tage liegt,
sondern auf die gewöhnlichen Eigenschaften und Ver-
hältnisse der Dinge, und diejenigen Umstände, die
solche gemeiniglich begleiten, auch daher wahrschein-
lich sind, gegründet wird, so nennt man dieses
Vermuthung. Oft nehmen die Gesetze selbst ge-
wisse Eigenschaften, Verhältnisse oder gewöhnliche
Folgen einer Sache für Wahrheit an, bis das Ge-
gentheil erwiesen worden, (praesumtiones iuris) ja
zuweilen lassen sie den Beweiß des Gegentheils nicht
einmahl zu (praesumtiones iuris et de iure). Sol-
che Rechtsvermuthungen befreyen daher den-
jenigen, welcher sie für sich hat, allemahl vom Be-
weise, und wälzen denselben auf den Gegentheil,
der die rechtliche Vermuthung wider sich hat. Blos
menschliche Vermuthungen, so in den Gesetzen nicht
gegründet sind, haben hingegen diese Wirkung nicht,
sondern adminiculiren nur zum Beweiß, und machen,
daß zuweilen auf den Erfüllungs- oder Reinigungs-
eid erkannt werden kann. Die rechtlichen Vermu-
thungen sind nun sehr mancherley, und lassen sich
auf keine allgemeine Regel zurückführen. Man kann
sie inzwischen füglich unter zwey Hauptelassen brin-
gen. Einige derselben gründen sich schon in der
Vernunft und allgemeinen Rechtsgrundsätzen; andere
hingegen haben keinen natürlichen und allgemeinen
Grund, sondern sind durch die bürgerlichen Gesetze
blos willkührlich eingeführt worden. Zu denen recht-
lichen Vermuthungen der erstern Art gehören z. E.
folgende: daß die ursprüngliche Beschaffenheit einer
Sache vermuthet werde, mithin eine vorgegebene
Veränderung allemahl bewiesen werden muß; -- eine
Thathandlung, es sey Vortrag, Testament, Ver-
brechen,
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de Iuſtitia et Iure.
wuͤrdiger Perſohnen, oder andern dergleichen recht-
lichen Beweismitteln unmittelbar zu Tage liegt,
ſondern auf die gewoͤhnlichen Eigenſchaften und Ver-
haͤltniſſe der Dinge, und diejenigen Umſtaͤnde, die
ſolche gemeiniglich begleiten, auch daher wahrſchein-
lich ſind, gegruͤndet wird, ſo nennt man dieſes
Vermuthung. Oft nehmen die Geſetze ſelbſt ge-
wiſſe Eigenſchaften, Verhaͤltniſſe oder gewoͤhnliche
Folgen einer Sache fuͤr Wahrheit an, bis das Ge-
gentheil erwieſen worden, (praeſumtiones iuris) ja
zuweilen laſſen ſie den Beweiß des Gegentheils nicht
einmahl zu (praeſumtiones iuris et de iure). Sol-
che Rechtsvermuthungen befreyen daher den-
jenigen, welcher ſie fuͤr ſich hat, allemahl vom Be-
weiſe, und waͤlzen denſelben auf den Gegentheil,
der die rechtliche Vermuthung wider ſich hat. Blos
menſchliche Vermuthungen, ſo in den Geſetzen nicht
gegruͤndet ſind, haben hingegen dieſe Wirkung nicht,
ſondern adminiculiren nur zum Beweiß, und machen,
daß zuweilen auf den Erfuͤllungs- oder Reinigungs-
eid erkannt werden kann. Die rechtlichen Vermu-
thungen ſind nun ſehr mancherley, und laſſen ſich
auf keine allgemeine Regel zuruͤckfuͤhren. Man kann
ſie inzwiſchen fuͤglich unter zwey Hauptelaſſen brin-
gen. Einige derſelben gruͤnden ſich ſchon in der
Vernunft und allgemeinen Rechtsgrundſaͤtzen; andere
hingegen haben keinen natuͤrlichen und allgemeinen
Grund, ſondern ſind durch die buͤrgerlichen Geſetze
blos willkuͤhrlich eingefuͤhrt worden. Zu denen recht-
lichen Vermuthungen der erſtern Art gehoͤren z. E.
folgende: daß die urſpruͤngliche Beſchaffenheit einer
Sache vermuthet werde, mithin eine vorgegebene
Veraͤnderung allemahl bewieſen werden muß; — eine
Thathandlung, es ſey Vortrag, Teſtament, Ver-
brechen,
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[265/0285] de Iuſtitia et Iure. wuͤrdiger Perſohnen, oder andern dergleichen recht- lichen Beweismitteln unmittelbar zu Tage liegt, ſondern auf die gewoͤhnlichen Eigenſchaften und Ver- haͤltniſſe der Dinge, und diejenigen Umſtaͤnde, die ſolche gemeiniglich begleiten, auch daher wahrſchein- lich ſind, gegruͤndet wird, ſo nennt man dieſes Vermuthung. Oft nehmen die Geſetze ſelbſt ge- wiſſe Eigenſchaften, Verhaͤltniſſe oder gewoͤhnliche Folgen einer Sache fuͤr Wahrheit an, bis das Ge- gentheil erwieſen worden, (praeſumtiones iuris) ja zuweilen laſſen ſie den Beweiß des Gegentheils nicht einmahl zu (praeſumtiones iuris et de iure). Sol- che Rechtsvermuthungen befreyen daher den- jenigen, welcher ſie fuͤr ſich hat, allemahl vom Be- weiſe, und waͤlzen denſelben auf den Gegentheil, der die rechtliche Vermuthung wider ſich hat. Blos menſchliche Vermuthungen, ſo in den Geſetzen nicht gegruͤndet ſind, haben hingegen dieſe Wirkung nicht, ſondern adminiculiren nur zum Beweiß, und machen, daß zuweilen auf den Erfuͤllungs- oder Reinigungs- eid erkannt werden kann. Die rechtlichen Vermu- thungen ſind nun ſehr mancherley, und laſſen ſich auf keine allgemeine Regel zuruͤckfuͤhren. Man kann ſie inzwiſchen fuͤglich unter zwey Hauptelaſſen brin- gen. Einige derſelben gruͤnden ſich ſchon in der Vernunft und allgemeinen Rechtsgrundſaͤtzen; andere hingegen haben keinen natuͤrlichen und allgemeinen Grund, ſondern ſind durch die buͤrgerlichen Geſetze blos willkuͤhrlich eingefuͤhrt worden. Zu denen recht- lichen Vermuthungen der erſtern Art gehoͤren z. E. folgende: daß die urſpruͤngliche Beſchaffenheit einer Sache vermuthet werde, mithin eine vorgegebene Veraͤnderung allemahl bewieſen werden muß; — eine Thathandlung, es ſey Vortrag, Teſtament, Ver- brechen, R 5

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/285>, abgerufen am 24.11.2024.