Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

de Iustitia et Iure.
Auch giebt uns ferner der Grundsaz des gemeinen
Menschenverstandes, nicht gedankenlos zu reden, eine
vierte Regel an die Hand: daß im Zweifel kein
Wort umsonst im Gesez zu stehen vermuthet
werden könne, sondern in jedem ein Aus-
druck, Bestimmung oder Aufklärung des Wil-
lens des Gesezgebers, und zwar derjenige
zu suchen sey, der diesem Wort entspricht
94).
Da übrigens unsere Gesezbücher, besonders das römische
und kanonische, aus den Gesetzen sehr verschiedener Zeit.
alter und Verfasser sind zusammengetragen worden, so
verstehet sich daraus, welches die fünfte Regel ist, daß
die Worte der Gesetze jederzeit nach denjeni-
gen Redegebrauch zu erklären sind, welcher
zu der Zeit, da dieselbe gegeben worden,
und unter der Classe von Leuten, die ihre
Verfasser waren, üblich gewesen ist
. Man
darf in der That nur wenig Belesenheit in den römi-
schen Classikern haben, so wird man bald einen grosen
Unterschied zwischen der Latinität der römischen Rechts-

gelehr-
quae rei gerendae aptior est. Und L. 19. D. de LI.
sagt: In ambigua voce legis ea potius accipienda est
significatio, quae vitio caret;
d. i. wie es Ant. faber
in Rational. in Pandect. h, l
. richtig erklärt,
per quam fiat, ne quid male et absurde constitutum
videatur
.
94) celsus L. 7. §. 2. D. de supellect. legat. sagt: Nemo
existimandus est dixisse, quod non mente agitaverit
.
Zuweilen ist es jedoch selbst denen römischen Rechtsgelehr-
ten begegnet, daß sie anders gedacht, als sie geredet ha-
ben, und ihre Werte mit ihrer Meinung, oder dem,
was sie eigentlich sagen wollten, nicht übereinstimmen.
Man sehe H. G. von vryhoff Observat. iuris ci-
vil
. cap. XXIV
. S. 124.
Glücks Erläut. d. Pand. 1. Th. P

de Iuſtitia et Iure.
Auch giebt uns ferner der Grundſaz des gemeinen
Menſchenverſtandes, nicht gedankenlos zu reden, eine
vierte Regel an die Hand: daß im Zweifel kein
Wort umſonſt im Geſez zu ſtehen vermuthet
werden koͤnne, ſondern in jedem ein Aus-
druck, Beſtimmung oder Aufklaͤrung des Wil-
lens des Geſezgebers, und zwar derjenige
zu ſuchen ſey, der dieſem Wort entſpricht
94).
Da uͤbrigens unſere Geſezbuͤcher, beſonders das roͤmiſche
und kanoniſche, aus den Geſetzen ſehr verſchiedener Zeit.
alter und Verfaſſer ſind zuſammengetragen worden, ſo
verſtehet ſich daraus, welches die fuͤnfte Regel iſt, daß
die Worte der Geſetze jederzeit nach denjeni-
gen Redegebrauch zu erklaͤren ſind, welcher
zu der Zeit, da dieſelbe gegeben worden,
und unter der Claſſe von Leuten, die ihre
Verfaſſer waren, uͤblich geweſen iſt
. Man
darf in der That nur wenig Beleſenheit in den roͤmi-
ſchen Claſſikern haben, ſo wird man bald einen groſen
Unterſchied zwiſchen der Latinitaͤt der roͤmiſchen Rechts-

gelehr-
quae rei gerendae aptior eſt. Und L. 19. D. de LI.
ſagt: In ambigua voce legis ea potius accipienda eſt
ſignificatio, quae vitio caret;
d. i. wie es Ant. faber
in Rational. in Pandect. h, l
. richtig erklaͤrt,
per quam fiat, ne quid male et abſurde conſtitutum
videatur
.
94) celsus L. 7. §. 2. D. de ſupellect. legat. ſagt: Nemo
exiſtimandus eſt dixiſſe, quod non mente agitaverit
.
Zuweilen iſt es jedoch ſelbſt denen roͤmiſchen Rechtsgelehr-
ten begegnet, daß ſie anders gedacht, als ſie geredet ha-
ben, und ihre Werte mit ihrer Meinung, oder dem,
was ſie eigentlich ſagen wollten, nicht uͤbereinſtimmen.
Man ſehe H. G. von vryhoff Obſervat. iuris ci-
vil
. cap. XXIV
. S. 124.
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. P
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0245" n="225"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">de Iu&#x017F;titia et Iure.</hi></fw><lb/>
Auch giebt uns ferner der Grund&#x017F;az des gemeinen<lb/>
Men&#x017F;chenver&#x017F;tandes, nicht gedankenlos zu reden, eine<lb/>
vierte Regel an die Hand: <hi rendition="#g">daß im Zweifel kein<lb/>
Wort um&#x017F;on&#x017F;t im Ge&#x017F;ez zu &#x017F;tehen vermuthet<lb/>
werden ko&#x0364;nne, &#x017F;ondern in jedem ein Aus-<lb/>
druck, Be&#x017F;timmung oder Aufkla&#x0364;rung des Wil-<lb/>
lens des Ge&#x017F;ezgebers, und zwar derjenige<lb/>
zu &#x017F;uchen &#x017F;ey, der die&#x017F;em Wort ent&#x017F;pricht</hi> <note place="foot" n="94)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">celsus</hi><hi rendition="#i">L. 7. §. 2. D. de &#x017F;upellect. legat</hi></hi>. &#x017F;agt: <hi rendition="#aq">Nemo<lb/>
exi&#x017F;timandus e&#x017F;t dixi&#x017F;&#x017F;e, quod non mente agitaverit</hi>.<lb/>
Zuweilen i&#x017F;t es jedoch &#x017F;elb&#x017F;t denen ro&#x0364;mi&#x017F;chen Rechtsgelehr-<lb/>
ten begegnet, daß &#x017F;ie anders gedacht, als &#x017F;ie geredet ha-<lb/>
ben, und ihre Werte mit ihrer Meinung, oder dem,<lb/>
was &#x017F;ie eigentlich &#x017F;agen wollten, nicht u&#x0364;berein&#x017F;timmen.<lb/>
Man &#x017F;ehe <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">H. G. von</hi><hi rendition="#k">vryhoff</hi><hi rendition="#g">Ob&#x017F;ervat. iuris ci-<lb/>
vil</hi>. cap. XXIV</hi>. S. 124.</note>.<lb/>
Da u&#x0364;brigens un&#x017F;ere Ge&#x017F;ezbu&#x0364;cher, be&#x017F;onders das ro&#x0364;mi&#x017F;che<lb/>
und kanoni&#x017F;che, aus den Ge&#x017F;etzen &#x017F;ehr ver&#x017F;chiedener Zeit.<lb/>
alter und Verfa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ind zu&#x017F;ammengetragen worden, &#x017F;o<lb/>
ver&#x017F;tehet &#x017F;ich daraus, welches die fu&#x0364;nfte Regel i&#x017F;t, <hi rendition="#g">daß<lb/>
die Worte der Ge&#x017F;etze jederzeit nach denjeni-<lb/>
gen Redegebrauch zu erkla&#x0364;ren &#x017F;ind, welcher<lb/>
zu der Zeit, da die&#x017F;elbe gegeben worden,<lb/>
und unter der Cla&#x017F;&#x017F;e von Leuten, die ihre<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;er waren, u&#x0364;blich gewe&#x017F;en i&#x017F;t</hi>. Man<lb/>
darf in der That nur wenig Bele&#x017F;enheit in den ro&#x0364;mi-<lb/>
&#x017F;chen Cla&#x017F;&#x017F;ikern haben, &#x017F;o wird man bald einen gro&#x017F;en<lb/>
Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen der Latinita&#x0364;t der ro&#x0364;mi&#x017F;chen Rechts-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gelehr-</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_25_2" prev="#seg2pn_25_1" place="foot" n="93)"><hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">quae rei gerendae aptior e&#x017F;t</hi>.</hi> Und <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">L. 19. D. de LI</hi>.</hi><lb/>
&#x017F;agt: <hi rendition="#aq">In ambigua voce legis ea potius accipienda e&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ignificatio, <hi rendition="#i">quae vitio caret;</hi></hi> d. i. wie es <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Ant</hi>. <hi rendition="#k">faber</hi><lb/>
in <hi rendition="#g">Rational. in Pandect</hi>. h, l</hi>. richtig erkla&#x0364;rt,<lb/><hi rendition="#aq">per quam fiat, ne quid male et ab&#x017F;urde con&#x017F;titutum<lb/>
videatur</hi>.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Glu&#x0364;cks Erla&#x0364;ut. d. Pand. 1. Th. P</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0245] de Iuſtitia et Iure. Auch giebt uns ferner der Grundſaz des gemeinen Menſchenverſtandes, nicht gedankenlos zu reden, eine vierte Regel an die Hand: daß im Zweifel kein Wort umſonſt im Geſez zu ſtehen vermuthet werden koͤnne, ſondern in jedem ein Aus- druck, Beſtimmung oder Aufklaͤrung des Wil- lens des Geſezgebers, und zwar derjenige zu ſuchen ſey, der dieſem Wort entſpricht 94). Da uͤbrigens unſere Geſezbuͤcher, beſonders das roͤmiſche und kanoniſche, aus den Geſetzen ſehr verſchiedener Zeit. alter und Verfaſſer ſind zuſammengetragen worden, ſo verſtehet ſich daraus, welches die fuͤnfte Regel iſt, daß die Worte der Geſetze jederzeit nach denjeni- gen Redegebrauch zu erklaͤren ſind, welcher zu der Zeit, da dieſelbe gegeben worden, und unter der Claſſe von Leuten, die ihre Verfaſſer waren, uͤblich geweſen iſt. Man darf in der That nur wenig Beleſenheit in den roͤmi- ſchen Claſſikern haben, ſo wird man bald einen groſen Unterſchied zwiſchen der Latinitaͤt der roͤmiſchen Rechts- gelehr- 93) 94) celsus L. 7. §. 2. D. de ſupellect. legat. ſagt: Nemo exiſtimandus eſt dixiſſe, quod non mente agitaverit. Zuweilen iſt es jedoch ſelbſt denen roͤmiſchen Rechtsgelehr- ten begegnet, daß ſie anders gedacht, als ſie geredet ha- ben, und ihre Werte mit ihrer Meinung, oder dem, was ſie eigentlich ſagen wollten, nicht uͤbereinſtimmen. Man ſehe H. G. von vryhoff Obſervat. iuris ci- vil. cap. XXIV. S. 124. 93) quae rei gerendae aptior eſt. Und L. 19. D. de LI. ſagt: In ambigua voce legis ea potius accipienda eſt ſignificatio, quae vitio caret; d. i. wie es Ant. faber in Rational. in Pandect. h, l. richtig erklaͤrt, per quam fiat, ne quid male et abſurde conſtitutum videatur. Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. P

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/245
Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/245>, abgerufen am 24.11.2024.