Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite
1. Buch. 1. Tit.
Beschaffenheit und den Eigenschaften derjenigen Hand-
lungen, welche zu dem Gegenstand der Rechtsgelehr-
samkeit gehören; nicht weniger eine vollständige und
richtige Kenntnis der Folgen, welche die bürgerliche
Rechtshandlungen nach sich ziehen. Zur ächten The-
orie des Rechts gehört also

1) die Fähigkeit, den wahren Sinn der
Gesetze, als welche die Normen der bürgerli-
chen Handlungen sind, festzusetzen
. Diese
Fähigkeit muß ein jeder, der auf eine gründliche
Rechtsgelehrsamkeit Anspruch macht, in ihrem Um-
pfange besitzen, denn ohne dieselbe wird ohne Unter-
laß in der Anwendung gefehlet. Die Erfahrung lehrt,
daß die Gesetze gemeiniglich nur einen oder wenige
Fälle zur Veranlassung haben; und daß die Absicht
des Gesezgebers oft viel weiter gehe, als die Worte
ausdrucken, wird niemand leugnen, der nur einige
Kenntnis von den Gesetzen hat. Hier hat nun der
Jurist es auszumachen, ob dieser oder jener Fall die
Absicht des Gesezgebers erreiche oder nicht. Ferner
ist alsdann auch diese Eigenschaft einem Rechtsgelehr-
ten unentbehrlich, wenn sich zwar der im Gesez be-
stimmte Fall zuträgt, jedoch andere Umstände dabey
vorkommen, als wovon das Gesez redet, und weswe-
gen die Verordnung entweder weiter auszudehnen
oder einzuschränken ist.

Zur Rechtstheorie gehört weiter 2) die genaue
Kenntnis von der Beschaffenheit der bürger-
lichen Handlungen, welche den Gegenstand
der Rechtsgelehrsamkeit ausmachen
. Denn
nach der Verschiedenheit dieser Handlungen richten sich
die Gerechtsame und die Verbindlichkeiten der Par-
theyen. Darf es nun keinem Rechtsgelehrten gleich-

gül-
1. Buch. 1. Tit.
Beſchaffenheit und den Eigenſchaften derjenigen Hand-
lungen, welche zu dem Gegenſtand der Rechtsgelehr-
ſamkeit gehoͤren; nicht weniger eine vollſtaͤndige und
richtige Kenntnis der Folgen, welche die buͤrgerliche
Rechtshandlungen nach ſich ziehen. Zur aͤchten The-
orie des Rechts gehoͤrt alſo

1) die Faͤhigkeit, den wahren Sinn der
Geſetze, als welche die Normen der buͤrgerli-
chen Handlungen ſind, feſtzuſetzen
. Dieſe
Faͤhigkeit muß ein jeder, der auf eine gruͤndliche
Rechtsgelehrſamkeit Anſpruch macht, in ihrem Um-
pfange beſitzen, denn ohne dieſelbe wird ohne Unter-
laß in der Anwendung gefehlet. Die Erfahrung lehrt,
daß die Geſetze gemeiniglich nur einen oder wenige
Faͤlle zur Veranlaſſung haben; und daß die Abſicht
des Geſezgebers oft viel weiter gehe, als die Worte
ausdrucken, wird niemand leugnen, der nur einige
Kenntnis von den Geſetzen hat. Hier hat nun der
Juriſt es auszumachen, ob dieſer oder jener Fall die
Abſicht des Geſezgebers erreiche oder nicht. Ferner
iſt alsdann auch dieſe Eigenſchaft einem Rechtsgelehr-
ten unentbehrlich, wenn ſich zwar der im Geſez be-
ſtimmte Fall zutraͤgt, jedoch andere Umſtaͤnde dabey
vorkommen, als wovon das Geſez redet, und weswe-
gen die Verordnung entweder weiter auszudehnen
oder einzuſchraͤnken iſt.

Zur Rechtstheorie gehoͤrt weiter 2) die genaue
Kenntnis von der Beſchaffenheit der buͤrger-
lichen Handlungen, welche den Gegenſtand
der Rechtsgelehrſamkeit ausmachen
. Denn
nach der Verſchiedenheit dieſer Handlungen richten ſich
die Gerechtſame und die Verbindlichkeiten der Par-
theyen. Darf es nun keinem Rechtsgelehrten gleich-

guͤl-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <list>
              <item><pb facs="#f0218" n="198"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr">1. Buch. 1. Tit.</hi></fw><lb/>
Be&#x017F;chaffenheit und den Eigen&#x017F;chaften derjenigen Hand-<lb/>
lungen, welche zu dem Gegen&#x017F;tand der Rechtsgelehr-<lb/>
&#x017F;amkeit geho&#x0364;ren; nicht weniger eine voll&#x017F;ta&#x0364;ndige und<lb/>
richtige Kenntnis der Folgen, welche die bu&#x0364;rgerliche<lb/>
Rechtshandlungen nach &#x017F;ich ziehen. Zur a&#x0364;chten The-<lb/>
orie des Rechts geho&#x0364;rt al&#x017F;o</item>
            </list><lb/>
            <p>1) die <hi rendition="#g">Fa&#x0364;higkeit, den wahren Sinn der<lb/>
Ge&#x017F;etze, als welche die Normen der bu&#x0364;rgerli-<lb/>
chen Handlungen &#x017F;ind, fe&#x017F;tzu&#x017F;etzen</hi>. Die&#x017F;e<lb/>
Fa&#x0364;higkeit muß ein jeder, der auf eine gru&#x0364;ndliche<lb/>
Rechtsgelehr&#x017F;amkeit An&#x017F;pruch macht, in ihrem Um-<lb/>
pfange be&#x017F;itzen, denn ohne die&#x017F;elbe wird ohne Unter-<lb/>
laß in der Anwendung gefehlet. Die Erfahrung lehrt,<lb/>
daß die Ge&#x017F;etze gemeiniglich nur einen oder wenige<lb/>
Fa&#x0364;lle zur Veranla&#x017F;&#x017F;ung haben; und daß die Ab&#x017F;icht<lb/>
des Ge&#x017F;ezgebers oft viel weiter gehe, als die Worte<lb/>
ausdrucken, wird niemand leugnen, der nur einige<lb/>
Kenntnis von den Ge&#x017F;etzen hat. Hier hat nun der<lb/>
Juri&#x017F;t es auszumachen, ob die&#x017F;er oder jener Fall die<lb/>
Ab&#x017F;icht des Ge&#x017F;ezgebers erreiche oder nicht. Ferner<lb/>
i&#x017F;t alsdann auch die&#x017F;e Eigen&#x017F;chaft einem Rechtsgelehr-<lb/>
ten unentbehrlich, wenn &#x017F;ich zwar der im Ge&#x017F;ez be-<lb/>
&#x017F;timmte Fall zutra&#x0364;gt, jedoch andere Um&#x017F;ta&#x0364;nde dabey<lb/>
vorkommen, als wovon das Ge&#x017F;ez redet, und weswe-<lb/>
gen die Verordnung entweder weiter auszudehnen<lb/>
oder einzu&#x017F;chra&#x0364;nken i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Zur Rechtstheorie geho&#x0364;rt weiter 2) die <hi rendition="#g">genaue<lb/>
Kenntnis von der Be&#x017F;chaffenheit der bu&#x0364;rger-<lb/>
lichen Handlungen, welche den Gegen&#x017F;tand<lb/>
der Rechtsgelehr&#x017F;amkeit ausmachen</hi>. Denn<lb/>
nach der Ver&#x017F;chiedenheit die&#x017F;er Handlungen richten &#x017F;ich<lb/>
die Gerecht&#x017F;ame und die Verbindlichkeiten der Par-<lb/>
theyen. Darf es nun keinem Rechtsgelehrten gleich-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gu&#x0364;l-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[198/0218] 1. Buch. 1. Tit. Beſchaffenheit und den Eigenſchaften derjenigen Hand- lungen, welche zu dem Gegenſtand der Rechtsgelehr- ſamkeit gehoͤren; nicht weniger eine vollſtaͤndige und richtige Kenntnis der Folgen, welche die buͤrgerliche Rechtshandlungen nach ſich ziehen. Zur aͤchten The- orie des Rechts gehoͤrt alſo 1) die Faͤhigkeit, den wahren Sinn der Geſetze, als welche die Normen der buͤrgerli- chen Handlungen ſind, feſtzuſetzen. Dieſe Faͤhigkeit muß ein jeder, der auf eine gruͤndliche Rechtsgelehrſamkeit Anſpruch macht, in ihrem Um- pfange beſitzen, denn ohne dieſelbe wird ohne Unter- laß in der Anwendung gefehlet. Die Erfahrung lehrt, daß die Geſetze gemeiniglich nur einen oder wenige Faͤlle zur Veranlaſſung haben; und daß die Abſicht des Geſezgebers oft viel weiter gehe, als die Worte ausdrucken, wird niemand leugnen, der nur einige Kenntnis von den Geſetzen hat. Hier hat nun der Juriſt es auszumachen, ob dieſer oder jener Fall die Abſicht des Geſezgebers erreiche oder nicht. Ferner iſt alsdann auch dieſe Eigenſchaft einem Rechtsgelehr- ten unentbehrlich, wenn ſich zwar der im Geſez be- ſtimmte Fall zutraͤgt, jedoch andere Umſtaͤnde dabey vorkommen, als wovon das Geſez redet, und weswe- gen die Verordnung entweder weiter auszudehnen oder einzuſchraͤnken iſt. Zur Rechtstheorie gehoͤrt weiter 2) die genaue Kenntnis von der Beſchaffenheit der buͤrger- lichen Handlungen, welche den Gegenſtand der Rechtsgelehrſamkeit ausmachen. Denn nach der Verſchiedenheit dieſer Handlungen richten ſich die Gerechtſame und die Verbindlichkeiten der Par- theyen. Darf es nun keinem Rechtsgelehrten gleich- guͤl-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/218
Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/218>, abgerufen am 24.11.2024.